Orbán setzt sein „Sklavengesetz“ durch

Viktor Orbán kann massiver Protest nicht beeindrucken, wenn der ungarische Regierungschef ein politisches Ziel seiner rechtspopulistischen Regierung durchsetzen will. Bei der Verabschiedung der Novellierung der Arbeitsgesetze kam es am Mittwoch im Budapester Parlament zu schweren und lautstarken Tumulten. Mit Pfiffen und Megaphonen wollte die Opposition von rechtsextrem bis links die von ihr als „Sklavengesetz“ bezeichnete Novellierung verhindern.

Am Ende nutzte der Protest nichts. Mit 130 Stimmen der Regierungspartei Fidesz wurde das kontroverse Gesetz angenommen. Nur 52 Abgeordnete stimmten gegen die umstrittene Regelung. Außerdem gab es eine Enthaltung. Damit fuhr der seit 2010 regierende Premier Orbán einen weiteren Sieg über die Opposition ein.

Mit dem sogenannten „Sklavengesetz“ will Orbán den Wirtschaftsstandort Ungarn gerade für ausländische Investoren stärken. In Zukunft wird es Unternehmen erlaubt sein, die Mitarbeiter auf 400 Überstunden pro Jahr zu verpflichten – statt wie bisher auf maximal 250.

Für Ausgleich oder Bezahlung der Überstunden können sich Arbeitgeber statt einem Jahr in Zukunft nun sogar drei Jahre Zeit lassen. Die Arbeitnehmer befürchten, dass durch die Hintertür die Sechstagewoche eingeführt werden könnte. Die IG Metall und die Gesamtbetriebsräte aus der deutschen Automobilindustrie und von Siemens unterstützten den Kampf gegen die Novellierung.

Das verabschiedete Gesetz spaltet das osteuropäische Land seit Wochen. Im Budapester Parlament kam es am Mittwoch teilweise zu bizarren Szenen. Die linksliberale Parlamentarierin Timea Szabo blies Regierungschef Orbán mit einer Trillerpfeife mitten ins Gesicht. Die 42-jährige Journalistin und Menschenrechtlerin gehört dem Parlament seit 2009 an.

Der Premier ließ sich aber von der Abgeordneten nicht provozieren. Oppositionelle Abgeordnete verhinderten zudem, dass der stellvertretende Parlamentspräsident die Plenarsitzung von seinem Platz aus leiten konnte. Für Orbán zählte am Ende das Ergebnis – und das stimmte aus seiner Sicht.

Der Gewerkschaftsbund MASZSZ drohte vor der Abstimmung wegen der umstrittenen Arbeitsgesetzreform der rechtspopulistischen Regierung mit einem Generalstreik. In Budapester Wirtschaftskreisen wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass die Gewerkschaft einen Generalstreik auf die Beine stellen kann.

Noch am Dienstag hatten die Gewerkschaften mit Straßensperren auf die Reform reagiert. Am Samstag waren mehrere Tausend Teilnehmer in Budapest zu einer Großdemonstration zusammengekommen, die vom Gewerkschaftsbund MASZSZ organisiert worden war.

Die IG Metall warnt die ungarische Regierung in einer Solidaritätserklärung mit den dortigen Arbeitnehmervertretern. „Bei Besuchen in Ungarn stellen wir immer wieder fest, dass viele Preise westeuropäisches Niveau haben (Kraftstoff, Kleidung, Konsumgüter, viele Lebensmittel), die Löhne aber nur ein Viertel oder ein Drittel unseres Niveaus betragen“, heißt es in der Erklärung.

„Davon haben die Leute die Nase voll, und sie werden den Unternehmen den Rücken kehren, wenn sie nun noch mehr und noch flexibler im Sinne des Arbeitgebers arbeiten müssen.“ Die Erklärung wurde von Gewerkschaftern wie Michael Brecht, Gesamtbetriebsratschef von Daimler, und Peter Mosch, Gesamtbetriebsratschef von Audi, unterzeichnet. Die VW-Tochter und Mercedes betreiben große Werke in den ungarischen Städten Györ und Kecskemét.

Auch die ungarische Metallgewerkschaft Vasas bezeichnet das schnelle Durchpeitschen des Gesetzes im Parlament als „skandalös“. „Wir finden den Geist der Novellierung inakzeptabel. Er ist inkompatibel mit den Interessen der Arbeitnehmer.“

Die ungarischen Gewerkschafter kritisieren die fehlende Dialogbereitschaft der Regierung scharf. Indirekt kündigten sie am Mittwoch weitere Schritte an, um die „Ausbeutung der Arbeiter“ zu verhindern. Welche konkreten Maßnahmen sie meinen, ließ die Metallgewerkschaft aber offen.

Die Opposition wirft der Regierung vor, dass ausländische Konzerne – allen voran aus Deutschland – auf die Arbeitsgesetzreform Einfluss genommen hätten. Außenminister Péter Szijjártó sagte Ende November bei einem Besuch in Düsseldorf, dass „die in Ungarn investierenden NRW-Unternehmen eindeutig positiv auf die ungarischen Gesetzvorschläge reagiert haben, die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter verbessern und den zuvor als Herausforderung angesehenen Fachkräftemangel mildern“.

Wie deutsche Wirtschaftsvertreter in Budapest berichten, gab es den Wunsch nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Aber die exakte Novellierung sei allein Sache der Politik gewesen.

Viele Unternehmen in Ungarn leiden unter dem Mangel an Fachkräften. Mit der Ausweitung der Überstundenregelung können insbesondere Industriebetriebe künftig flexibler auf die Auftragslage reagieren. Orbán will den Wirtschaftsboom des EU-Landes vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels durch die Überstundenreform erhalten.

Im dritten Quartal stieg das Bruttoinlandsprodukt um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Konjunkturaussichten sind weiterhin gut.