Orbáns Reisen: Hilfreich oder Provokation?
Seit gerade einmal einer Woche hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne und bereits jetzt gibt es Spannungen und Sorgen. Der Grund: Die Reiseaktivität des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Kiew, Moskau und nun Peking sind die bisherigen Stationen von Orbáns Reisen, die er unter dem Titel "Friedensmission 3.0" zusammenfasst.
Habeck: "Ungarische Politik sucht Nähe zu falschen politischen Führern"
Vertreterinnen und Vertreter in der EU sowie Regierungschefs anderer EU-Staaten betonen, dass Orbán bei seinen Reisen nicht die Europäische Union repräsentiert, sondern lediglich als ungarischer Ministerpräsident unterwegs ist. So distanzierte sich beispielsweise Deutschlands Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck vom Besuch Orbáns in Peking. Dem TV-Sender "Welt" sagte Habeck, Orban sei "als ungarischer Regierungschef und nicht als Repräsentant Europas" nach China gereist. Die ungarische Politik vertrete "ganz häufig nicht den Kerngedanken der Europäischen Union, nämlich Liberalität nach innen und europäisches Selbstbewusstsein nach außen, sondern sucht eine manchmal zu große Nähe zu meiner Ansicht nach den falschen politischen Führern", sagte Habeck.
"Klare Verstöße gegen EU-Positionen"
Der Ungarn-Experte der Denkfabrik German Marshall Fund, Daniel Hegedüs, erinnert daran, dass Orbáns Denkweise postkommunistisch geprägt ist. "Wenn man ein Reich oder ein Bündnis nicht mehr ernst nimmt und darüber lacht, ist es am Ende. Wir sehen hier eine strategische Kampagne, um die Europäische Union lächerlich zu machen und zu zeigen, dass Ministerpräsident Orbán all diese unkoordinierten Schritte – die klare Verstöße gegen gemeinsame und vereinbarte EU-Positionen darstellen – vollziehen kann und keine negativen Konsequenzen zu befürchten braucht", erklärt Hagedüs. Denn Orbán wisse, dass er damit einerseits auch seinen zukünftigen Handlungsspielraum und seine zukünftige politische Autonomie erweitert und andererseits auch die Wahrnehmung der EU-Außenpolitik bei wichtigen Partnern ernsthaft untergräbt.
Hagedüs: Orbáns Reisediplomatie hilft Ukraine nicht
Der ungarische Ministerpräsident behauptet, er sei der einzige europäische Staatschef, der mit Putin sprechen könne. Bei der Frage, ob Orbán tatsächlich etwas zu einem Friedensprozess zwischen Russland und der Ukraine beitragen könne, ist der Ungarn-Experte skeptisch: "Ministerpräsident Orbán ist der einzige europäische Staats- oder Regierungschef, der bereit ist, mit Herrn Putin zu sprechen. Damit verstößt er gegen das von den EU-Mitgliedstaaten gemeinsam aufgestellte Grundprinzip, dass über die Zukunft der Ukraine ohne deren direkte Beteiligung an den Gesprächen nicht gesprochen wird. Es ist also nicht die Fähigkeit, es ist nur die Bereitschaft", sagt Hagedüs. Er sehe keinen positiven Beitrag dieser Art von Reisediplomatie zur Lösung des Problems des Krieges in der Ukraine, denn das würde die Beteiligung aller Partner erfordern.
Der EU steht offen, auf die Provokationen von Viktor Orbán zu reagieren. Denkbar ist etwa eine Verkürzung der ungarischen EU-Präsidentschaft. Die Frage ist, ob die Mitgliedstaaten bereit sind, diesen Weg zu gehen. Die EU-Botschafter werden sich bei einem Treffen am kommenden Mittwoch um Erklärungen bemühen.