Die Organisatoren im Interview: „Natürlich ist Europa sexy“ – Pulse of Europe in Köln

Die Bürgerinitiative Pulse of Europe trifft sich jeden Sonntag auf dem Roncalliplatz.

Gegen die Radikalisierung und Nationalisierungstendenzen in der Politik wendet sich die Bürgerinitiative Pulse of Europe. In Köln treffen sich Interessierte jeden Sonntag um 14 Uhr auf dem Roncalliplatz. Diesen Sonntag wird unter anderem der Kabarettist Jürgen Becker sprechen. Pulse of Europe gibt es im Moment in 85 europäischen Städten. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach mit den Kölner Initatoren Elisabeth und Christophe Kühl. Bis vor einigen Monaten hielten Sie Demos für antiquiert, jetzt organisieren Sie jeden Sonntag die Pulse-of-Europe-Kundgebungen mit einigen Tausend Teilnehmern vor dem Dom. Wie kam es dazu? Christophe Kühl: Mein Trauzeuge Daniel Röder, der Pulse of Europe („Der Puls Europas“) mit seiner Frau Sabine initiiert hat und die Kundgebungen in Frankfurt ausrichtet, rief mich im November an und fragte, ob wir mitmachen wollen – wir hätten den Brexit gesehen und Trump, dem müsste man doch etwas entgegensetzen. Wir haben erst mal Nein gesagt. Warum? Elisabeth Kühl: Wir dachten wie wohl die meisten: Zeit ist superkostbar. Wir waren gefangen in unserer Blase aus Arbeiten, Kinder versorgen, Alltag organisieren und dem Gefühl: Wir rennen eh schon die ganze Zeit und kommen nicht mal zum Sportmachen. Christophe Kühl: Ich habe auch nicht wirklich dran geglaubt. Ich fand die Bewegung gut, habe mich aber nicht so richtig angesprochen gefühlt. Elisabeth Kühl: Ich habe es anfangs auf Facebook gelikt und geteilt. Man denkt ja als Internetnutzer fatalerweise, man könnte etwas bewegen, indem man es teilt… Ihr Freund hat Sie dann überzeugt? Elisabeth Kühl: Eines Morgens bist du aufgestanden, Christophe, und hast gesagt: Ich rufe Daniel jetzt mal an. Ich möchte die Demos in Köln organisieren. Christophe Kühl: Pegida ist ständig in den Medien präsent. Wenn die das Meinungsbild besetzen, kriegen wir es auch hin, dachte ich irgendwann. Tatsächlich kamen zur ersten Kundgebung mehrere Hundert Menschen, inzwischen sind es über 3000. Pulse of Europe gibt es in 85 europäischen Städten, und jede Woche werden es mehr. Das ist wunderbar. Viele glauben: Wenn die Bequemen in den USA gewählt hätten, wäre Trump nie gewählt worden. Nehmen wir die Errungenschaften der EU zu selbstverständlich? Christophe Kühl: Wenn vor allem die wählen gehen, die sich den Nationalstaat zurückwünschen, kann das auch in Frankreich schiefgehen. Ich war zuletzt 1997 auf einer Demo, damals gegen Le Pen in Montpellier, zählte also auch immer zu den Bequemen. Ich habe mich immer informiert, wir haben beim Essen über die Veränderung unserer Welt geredet, aber nie etwas getan. Dass wir zu selbstgewiss sind, zeigen der Umgang mit der Flüchtlingskrise wie der Zulauf für die Rechtspopulisten. Was, wenn in Frankreich Le Pen gewinnt und aus der EU austreten will? Vielleicht würde dann der Diskurs auch in Deutschland noch weiter nach rechts rücken. Elisabeth Kühl: Ich war zuletzt zu Abi-Zeiten Anfang der 90er Jahre auf einer Demo. Es war in einer Zeit der Identitätsfindung: Gegen Rechts, für Amnesty International. Ich denke auch, dass es höchste Zeit ist, dass die Gesellschaft politischer wird. Für mich war Pulse of Europe ein Weckruf. Christophe Kühl: Die 68er waren politisch, es gab die Friedensbewegung Anfang der 80er. Heute sind viele politisch desinteressiert oder frustriert. Wir kennen Freunde, die nicht mehr wählen gehen, weil sie das Vertrauen in die Politik verloren haben. Wenn wir einigen Menschen wieder Lust machen, sich zu engagieren, ist mir um die Demokratie nicht bange. Kritiker sagen: Pulse of Europe organisieren vor allem Anwälte, auf die Straße gehen die Besserverdiener, Gewinner der Globalisierung. Was denken Sie, wenn Sie das hören? Elisabeth Kühl: Ich kann nicht genau sagen, ob das stimmt mit den Besserverdienern, tendenziell ist es womöglich so – aber wäre das falsch? Die Teilnehmer unternehmen wenigstens etwas und wollen ja auch keinen ausschließen, im Gegenteil: Wir sind offen für alle. Was uns nervt, sind die Kritiker, die selbst nichts unternehmen und sich auf die Kritik der anderen beschränken. Christophe Kühl: Die „FAZ“ hat gerade von den „gut gelaunten besser Situierten“ geschrieben. Wir sehen sehr viele Leute, die 60 oder älter sind, von denen wir gar nicht wissen, ob sie Globalisierungsgewinner sind oder nicht. Wenn Biedermeier und Bildungsbürger unter den Teilnehmern sind, ist es auch gut! Es ist ja unter anderem die gesellschaftliche Mitte, die jetzt handeln muss. Elisabeth Kühl: Es gibt auch die, die fragen, ob es uns überhaupt zusteht zu demonstrieren: Ich antworte dann: Wir müssen es sogar! Sonst überlassen wir den Hetzern das Feld. Und aus Angst und Angstmache rücken dann viele in die rechtspopulistische Ecke. „Die Kölner reagieren mit so viel Engagement und Offenheit – Sie wollen helfen“ Erstaunlich ist schon, wie viele Menschen kommen – Europa galt bislang als ziemlich unsexy. Elisabeth Kühl: Natürlich ist der europäische Gedanke schon sexy, es geht um Frieden, Freiheit und Austausch – aber die EU hat sich stetig von den Menschen wegbewegt. Öffentlich wurde nur noch die Bürokratie wahrgenommen, aber nicht der freie Binnenmarkt, die gemeinsame Währung, die Reisefreiheit, die vielen Vorteile. Christophe Kühl: Es ist nicht gelungen, den europäischen Gedanken in so etwas wie Europa-Stolz zu verwandeln. Jetzt entsteht gerade ein Bewusstsein, wie wichtig Europa für uns ist, und wie fatal ein Austritt aus der EU womöglich ist, merken viele Engländer jetzt, nach dem Brexit. Was macht Bürgerbewegungen so erfolgreich – der Erfolg und nur der verbindet Pulse of Europe ja mit Pegida? Christophe Kühl: Die Menschen wünschen sich Gemeinsinn und Solidarität – das sehen wir bei den Menschenketten oder beim gemeinsamen Singen oder wenn die Leute ans Mikro kommen – das kann bei uns jeder, außer Politikern, von denen wir übrigens viele Anfragen erhalten. Wir sind für eine Sache, den europäischen Gedanken, Pegida ist gegen Einwanderung und kulturelle Vielfalt. Eine Schnittmenge ist die Angst vor der Zukunft. Elisabeth Kühl: Dieser Angst wollen wir entgegentreten. Der IS-Terror dient der Spaltung der Gesellschaft, die Demagogen und Nationalisten tun das auch. Überall wird Angst kreiert oder aufgegriffen, es gibt eine Radikalisierung und Renationalisierung … Christophe Kühl: … und leider ein Klima der Angst – bei unseren Demos ist das aber anders. Wir stehen da zusammen und machen eine Menschenkette. Das nennen einige naiv, na und? Europa eint der Gedanke, dass wir hier seit 70 Jahren in Frieden zusammen leben. Für unsere Kinder sind der Euro, die Reisefreiheit, Studieren oder Arbeiten in Frankreich, selbstverständlich. In unserer Jugend gab es noch die Mark, und sehr viele Ressentiments auf beiden Seiten. Ihre Großväter haben im Krieg gegeneinander gekämpft. Christophe Kühl: Meine Mutter ist Französin, mein Vater war Deutscher, meine Eltern haben sich auf einem Schüleraustausch kennengelernt. Mein französischer Großvater war in deutscher Kriegsgefangenschaft, mein deutscher Großvater ist auch in den Krieg gezogen. Sie sind nach der der Hochzeit ihrer Kinder Freunde geworden, wie Tausende andere. Ich war mit zehn auf einem Zeltlager in Frankreich, wir haben Deutsch gesprochen und ich habe gehört, wie andere Kinder abfällig über „die Deutschen da“ sprachen. Elisabeth Kühl: Ich bin als Jugendliche in Frankreich auch mal mit dem Hitler-Gruß begrüßt worden. Das ist alles zum Glück viel weniger geworden. Europa steht auch für den Respekt vor dem Individuum, die Rechte des Einzelnen gelten viel. Christophe Kühl: Das erleben wir im Moment hautnah: Es ist sehr einfach, eine Demo zu organisieren. Man muss fünf Zeilen ausfüllen, braucht noch nicht mal eine Unterschrift. Am nächsten Tag kommt ein Schreiben der Polizei: Ja, sie können das machen. Um die Themen Sicherheit, Krankenwagen und so weiter müssen wir uns nicht kümmern. Ich bin sehr begeistert, wie das in Deutschland läuft. Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht, aber auch gelebte Wirklichkeit. Und die Kölner reagieren mit so viel Engagement und Offenheit! Ich habe hier gerade 500 unbeantwortete Mails vor mir – die meisten Leute sagen Danke oder wollen helfen. Sie haben vier Kinder, als Anwalt haben Sie einen zeitintensiven Job, Herr Kühl – wie kriegen Sie das jetzt unter einen Hut, wo Sie doch schon vorher keine Zeit hatten? Elisabeth Kühl: Die tollen Reaktionen motivieren enorm. Ich arbeite quasi Vollzeit für die Bewegung, mein Mann übernimmt einen Teil der Verwaltungsarbeit und beantwortet Medienanfragen. Christophe Kühl: Aber auf Dauer ist es Raubbau. Unser Freund Daniel arbeitet so viel für Pulse of Europe, dass ihn Freunde fragen, ob er seine berufliche Zukunft aufs Spiel setzen wolle. Wir planen jetzt erst mal, bis zur Frankreich-Wahl und zur NRW-Wahl weiterzumachen – dann sehen wir weiter....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta