Ostrom-CEO Matthias Martensen - Zukunft der Stromversorgung: Wie ein schlauer Zähler Ihr Geld spart
Wenn unser Strom vollständig aus erneuerbaren Energiequellen bezogen wird, brauchen wir eine Strominfrastruktur, die mithalten kann. Digitalisierung ist dafür der Schlüssel – und die Modernisierung fängt in Privathaushalten an, sagt Ostrom-CEO Matthias Martensen.
Deutschland ist auf dem Weg zu einer Nation der regenerativen Energien. Im ersten Halbjahr 2024 wurde gerade erst wieder ein Rekord geknackt: Nach Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) konnte der Stromverbrauch in Deutschland in den ersten sechs Monaten des Jahres zu rund 58 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen abgedeckt werden. Ein Anstieg zum Vorjahreszeitraum um etwa sechs Prozent (Januar bis Juni 2023: 52 Prozent). Der deutsche Strommarkt steuert gezielt darauf zu, sich mehr und mehr auf regenerative Energiequellen zu verlassen. Das ist aus vielerlei Hinsicht erstrebenswert – sofern die dafür notwendige Infrastruktur geschaffen wird.
Versorgungssicherheit ist eine Frage des Lastmanagements
Obwohl der Anteil erneuerbarer Energiequellen in den letzten Jahren stark gestiegen ist, ist das Ziel noch deutlich ambitionierter: Geht es nach dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz soll bis 2035 eine nahezu vollständige Abdeckung durch erneuerbare Energien (inklusive Wasserstoff) ermöglicht werden. Angesichts der Klimakrise, steigender Energiekosten und schwindender Bodenschätze eine attraktive Vorstellung für Privathaushalte, Stromanbieter und die Umwelt. Diese radikale Umstellung unseres Stromsystems bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich. Es stellt sich die Frage: Wie wird die Stromversorgung sichergestellt, wenn der Strom aus volatilen Energiequellen stammt, die nur dann Strom bieten, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint – und das auch noch vergleichsweise unvorhersehbar?
Jeder Stromabnehmer erwartet, dass er, wenn er einen Stecker in die Steckdose steckt oder ein Gerät einschaltet, sofort so viel Strom nutzen kann, wie er benötigt. Das ist aber gar nicht so selbstverständlich: Dadurch, dass für ein funktionierendes Stromnetz physikalisch der eingespeiste Strom und der verwendete Strom immer ausgeglichen sein muss und – abgesehen von Speichern – nicht im Voraus “auf Halde” produziert werden kann, braucht es in einem Stromnetz mit hoher Einspeise-Volatilität die Möglichkeiten, den Strombedarf möglichst zielgerichtet und kurzfristig zu steuern. Erst recht, wenn Endverbraucher mithilfe von Photovoltaikanlagen zunehmend selbst Strom ins Netz einspeisen möchten.
Man spricht von dem sogenannten Lastmanagement: Ist der Stromverbrauch höher als erwartet, so wird aktuell mithilfe einer Kombination aus konventionellen Kraftwerken und Wind- oder Solarenergie mehr Strom eingespeist. Mit zunehmender Volatilität während der Erzeugung, ist ein Ausgleich auf der Einspeiseseite allerdings immer schwieriger. Wenn fast alle Energiequellen sich auf Wind und Sonne verlassen, es aber sowohl dunkel als auch windstill ist, können auch keine zusätzlichen Anlagen zugeschaltet werden. Der Fokus muss sich also auf die Nachfrage-Seite verlegen, auf das Demand Side Management.
Mit Smart Meter zu Smart Grids
Eine Schlüsseltechnologie, um diesen Perspektivwechsel möglich zu machen und Versorgungssicherheit in einem modernen Stromnetz zu gewährleisten, ist der sogenannte Smart Meter. Diese modernen, intelligenten Stromzähler sind selbst ihren digitalen Vorgängern um einiges voraus. Dadurch, dass sie ihre Daten nicht in Intervallen, sondern in Echtzeit liefern, sind sie in der Lage, sowohl für den Stromverbrauchern selbst Live-Informationen aufzuzeigen als auch den Netzbetreibern enorm nützliche pseudonymisierte Verbrauchsdaten zu übermitteln. Die Netzbetreiber können so Energieverbrauchsmuster besser verstehen, Überlastungen besser vorhersehen sowie lokal erzeugte oder gespeicherte Energie, beispielsweise durch Photovoltaikanlagen auf Dächern, erfassen und in das Lastmanagement einrechnen.
Vor allem aber ermöglichen es Smart Meter den Netzbetreibern, deutlich schneller und gezielter auf Überlastungen zu reagieren. So können die Versorger zum Beispiel dynamische Tarife anbieten, die in Schwachlastzeiten günstiger sind. Indem Smart Meter den Kunden dieser Tarife die Echtzeitinformationen über die aktuellen Preise liefern, motivieren sie diese, die Überlastzeiten zu meiden. In Verbindung mit Apps oder smarten Geräten ist das sogar automatisiert möglich, beispielsweise in der Nacht. Dadurch dass einige der Verbraucher so auf die Schwachlastzeiten ausweichen, sorgen sie dafür, dass die Nachfrage-Überlast zu einem anderen Zeitpunkt reduziert wird.
Je mehr Smart Meter im Markt sind, desto besser wird die Informationslage für die Netzbetreiber – und damit einhergehend verbessert sich die Versorgungssicherheit. Das Stromnetz wird zu einem “Smart Grid”. Länder wie Norwegen, Schweden oder Dänemark haben das bereits erreicht. Sie haben fast 100 Prozent ihrer Haushalte mit Smart Meter ausgestattet. Hierzulande sind wir davon allerdings noch weit entfernt: Derzeit haben etwa 500.000 der über 40 Millionen Messstellen in Deutschland einen Smart Meter.
Zukunftstechnologie im Haushalt – früh übt sich
Smart Meter bilden die Grundlage für die Digitalisierung der Stromversorgung und eines sicheren Stromnetzes in Zeiten erneuerbarer Energieversorgung. Sie sind das Kernprodukt der Stromversorgung von morgen. 2035 liegt noch einige Jahre in der Ferne. Das bedeutet aber nicht, dass die erforderlichen Technologien erst dann in der Breite zum Einsatz kommen oder dass sich erst dann von ihnen profitieren lässt. Schon heute können Privathaushalte mit Smart Metern ihren Stromverbrauch überwachen und auswerten, mit dynamischen Tarifen Geld sparen, mit Speicherlösungen und Photovoltaikanlagen von Stromanbietern unabhängiger werden und sogar bereits mit den ersten virtuellen Kraftwerken mit ihrem Stromverbrauch Geld verdienen.
Mittlerweile ist es keine Frage mehr, ob Technologien für das Demand Side Management in den kommenden Jahren in der Masse angewandt werden. Es ist nur die Frage, wann sie wie weit verbreitet sind. Wie mit allen neuen Technologien kann es vor diesem Hintergrund nur von Vorteil sein, sich möglichst früh mit den Neuerungen zu befassen und ihre Anwendungsmöglichkeiten kennenzulernen. Je früher und schneller es gelingt, sich Smart Meter und ähnliche Geräte zu Nutze zu machen, desto besser kann sowohl kurz- als auch langfristig von ihnen profitiert werden. Das gilt für einzelne Haushalte genauso wie für die Gesellschaft insgesamt.