Pädagoge überzeugt - Diese Methode hilft Ihrem Kind, Konflikte im Verkehr zu lösen

Kreativität trifft Sicherheit: Wie Fabeldichtung unsere Kinder zu aufmerksameren Verkehrsteilnehmern macht!<span class="copyright">Getty Images/Cavan Images RF</span>
Kreativität trifft Sicherheit: Wie Fabeldichtung unsere Kinder zu aufmerksameren Verkehrsteilnehmern macht!Getty Images/Cavan Images RF

Regeln einzuüben, ist langweilig und Verbote auszusprechen, auch nicht immer hilfreich, wenn es um Kindererziehung geht. Der Experimentalpsychologe und Didaktiker Siegbert Warwitz zeigt einen anderen Weg, wie sich Probleme im Verkehr mit Kindern spielerisch und spannend behandeln lassen.

Vorteilsdenken, Besserwissen oder Machtausüben sind weit verbreitete Verhaltensmotive im Verkehr, schon bei Kindern. Sie streiten miteinander beim Einsteigen in den Bus, kämpfen um den bevorzugten Fensterplatz, drängen sich in der Warteschlange vor. Dies immer wieder anzuprangern, als gefährlich und unsozial zu brandmarken und mit dem Einüben von Regeln zu bekämpfen, ist langweilig, so langweilig wie alle Moralappelle, Verbote und Ermahnungen, die täglich auf Kinder einprasseln.

Kinder werden von vielen Erwachsenen als „Mängelwesen“ gesehen, als „Noch-nicht-Erwachsene“, denen man einerseits angesichts ihrer Unreife einiges nachsehen muss und die es andererseits zu dem eigenen Reifestatus zu „erziehen“ gilt. Für das richtige Verhalten im Verkehr haben sie dafür die Verkehrserziehung erfunden und für deren Management die Verkehrserzieher.

Doch Kinder sind bereits eigenständige Wesen, neugierig, kreativ. Sie lernen spielerisch, auf ihre Weise, wenn man sie denn lässt und nur ein paar Impulse gibt. Um ihnen solch ein selbstständiges, schöpferisches Lernen zu ermöglichen, zum Beispiel sich in Gedankenexperimenten mit Fragen und Folgen des zweckmäßigen Verkehrsumgangs zu befassen, habe ich vor Jahren das Fabeldichten in die Verkehrserziehung eingeführt.

Ergänzend zu unseren Methoden im Realverkehr fordert es die Kinder, sich einmal geistig und konstruktiv mit Problemen des Verkehrsumgangs auseinanderzusetzen. Der Impuls zur eigenen Fabeldichtung kann von einem Sprichwort („Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“) oder von einer Beispielfabel wie der folgenden ausgehen.

Die Fabel von den beiden Ziegen

Der Dichter Jean de La Fontaine hat uns eine interessante Fabel hinterlassen, die Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren stark anspricht und sich gut als Vorlage für eigene Fabeldichtungen eignet. Künstler wie Gustave Doré und Jean-Jacques Grandville haben sie eindrucksvoll illustriert. Und Grandville hat seinen zwei streitenden hochherrschaftlichen Damen gleich Ziegenköpfe aufgesetzt.

Das Geschehen unter dem Titel „Die beiden Ziegen“ entwickelt sich in drei Schritten: Die beiden Tiere begegnen sich auf dem schmalen Steg über einen Gebirgsbach. Da keines dem anderen den Vortritt überlassen will, kommt es zu einem Kampf. Bei dem Gerangel aber stürzen beide miteinander ins Bachbett.

Fabeldichten ist einfach und spannend

Der Deutschlehrer und seine Zehnjährigen erarbeiteten zunächst die schlichte dreigliedrige Struktur der Fabel und versahen sie dann mit einem passenden Sprichwort. Fabeln sind ja verkleidete kurze Geschichten, die den Menschen einen Spiegel vorhalten und eine Lehre erteilen wollen, die sie tunlichst beherzigen sollten:

  • Zwei Streithähne treffen aufeinander und zanken sich um einen Vorteil

  • Der Konflikt wird nicht friedlich gelöst, sondern gewaltsam ausgetragen

  • Beide Raufbolde büßen für ihre Unverträglichkeit

Lehre: Lass dich nicht auf Streiten ein. Es könnte auch dein Schaden sein.

Ziel der Unterrichtseinheit war es, jedes Kind nach dieser Vorlage eine eigene Fabel aus seinen Verkehrserfahrungen erstellen zu lassen. Dabei durften auch Partnerschaften gebildet und Ideen von Eltern und Geschwistern eingeholt werden. Es war eine möglichst breite Aufmerksamkeit erwünscht. So entstanden kleine künstlerische Produkte, die auch anders ausgehen durften.

Zwei Kinderfabeln mit unterschiedlichen Lehren

Hansi und Franzi und Susi am Bus

An der Bushaltestelle begegneten sich Hansi und Franzi.

„Heute sitze ich hinter dem Fahrer!“ prahlte Hansi. „Das werden wir erst noch sehen, das ist mein Platz!“ erwiderte Franzi. Während sie sich noch beschimpften und prügelten, stieg Susi in den Bus und setzte sich hinter den Fahrer.

Der Bus aber fuhr ohne die beiden ab.

Lehre: Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte.

Der strittige Fensterplatz

Jens und Peter käbbelten sich um den begehrten Fensterplatz im Bus.

Jens schubste den vor ihm stolzierenden Peter in den Gang und schnappte ihm den schon sicher geglaubten Fensterplatz weg. Daraufhin ergriff Peter seine Schultasche und verschwand damit hinten im Bus.

„Kriege ich den Ranzen zurück, kriegst du morgen den Fensterplatz,“ bot Jens an. Sie setzten sich friedlich nebeneinander und wurden die besten Freunde.

Lehre: Willst ein kluger Mensch du sein, lass dich nicht auf Streiten ein.

Ein Fabelbuch als Projektziel

Jede einzelne Fabel wurde von der Klasse zur Kenntnis genommen und im Deutschunterricht gemeinsam redaktionell überarbeitet, bis sie würdig befunden wurden, in das gemeinsame Fabelbuch der Klasse aufgenommen zu werden. Dann war der Kunstunterricht gefragt, die Kinder bei der Illustration ihrer kleinen Dichtungen durch eigene Zeichnungen und Gemälde zu beraten. Jedem Kind stand für seine Schöpfungen eine eigene Doppelseite zur Verfügung, die es mit seinem Namen versehen durfte.

Das bunt bebilderte und zu einem Buch gebundene gemeinsame Fabelbuch der Klasse fand anschließend einen würdigen Platz in der Glasvitrine der Schule. Jeden Schultag wurde zu einer weiteren Kreation umgeblättert, zum Lesen und Bewundern der gesamten Schülerschaft.