Das Papier im Wortlaut - Der brisante Abschiebebrief strotzt vor Fehlern - Polizist hat einen heiklen Verdacht

Ein junger Mann wird von Polizisten zur Abschiebung gebracht.<span class="copyright">Boris Roessler/dpa</span>
Ein junger Mann wird von Polizisten zur Abschiebung gebracht.Boris Roessler/dpa

Ein Freibrief für Ausländer nach missglückten Abschiebungen sorgt für Aufregung. Seltsam sind die zahlreichen Fehler, die das Schreiben enthält. Während die niedersächsische Behörde von einem Einzelfall spricht, hat Polizeigewerkschafter Ostermann einen ganz anderen Verdacht.

Wenn ein Ausländer bei seiner Abschiebung nur genug Widerstand leistet, darf er doch in Deutschland bleiben – so zumindest liest sich ein Brief einer niedersächsischen Behörde. Wäre das die Regel, würden alle von der Politik angekündigten Abschiebe-Offensiven ad absurdum geführt werden. Nachdem die „Bild“ den Brief am Mittwoch veröffentlicht hat, ist die Landesaufnahmebehörde in Lüneburg nun zurückgerudert . Dort spricht man von „ausgesprochen missverständlichen und unpräzisen“ Formulierungen.

Der Abschiebe-Brief im Wortlaut

FOCUS online dokumentiert den Brief im Wortlaut und zeigt, welche Fehler in dem Schreiben stecken:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit wird wie folgt erklärt:

Wenn sich der Betroffene weigert in das Flugzeug zu steigen bzw. auf eine andere Art versucht, sich der Abschiebung zu widersetzen (aktiver/passiver Widerstand) kann dieser auf freien Fuß gesetzt werden und eigenständig zu der ihm zugewiesenen Unterkunft zurückreisen. Der Betroffene hat sich umgehend bei der für ihn zuständigen Ausländerbehörde zu melden. Grundlage der Erklärung ist der § 71.3.1.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009, wonach bei einem Scheitern der Abschiebung, die für die Abschiebung zuständige Behörde, das weitere Verfahren regelt.

Die BUPOL am Flughafen wird bei einem Scheitern der Abschiebung gebeten, die Abschiebeunterlagen an die zuständige Ausländerbehörde zu versenden.

Mit freundlichen Grüßen“

Zahlreiche Ungereimtheiten und Fehler

Die Ungereimtheiten beginnen schon vor dem eigentlichen Brieftext:

  • Der Briefkopf weist den Präsidenten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen als Versender aus. Geschrieben wurde der Brief aber von einem Mitarbeiter. Laut Behörde ist bei ihr die unübliche Verwendung des Briefkopfes allerdings die Regel.

  • Als Empfänger wird die „Bundespolizei Flughafen Düsseldorf“ genannt. Korrekt hätte der Brief an die „Dienststelle Bundespolizeiinspektion Flughafen Düsseldorf“ geschickt werden müssen.

Im Text selbst finden sich neben falscher Interpunktion weitere Fehler:

  • Die rechtliche Grundlage, die zitiert wird, sieht wegen des Paragrafen-Zeichens aus wie ein Gesetz. Allerdings handelt es sich – wie danach korrekt genannt wird – um eine Verwaltungsvorschrift. Die angegebene Nummer ist mit dem Paragrafen-Zeichen falsch zitiert.

  • Der Verfasser des Briefes kürzt die Bundespolizei mit „BUPOL“ ab. Die korrekte Abkürzung, wie sie zum Beispiel auch im Bundespolizeigesetz (BPolG) vorkommt, wäre „BPol“.

Behörde spricht von „bedauerlichem Einzelfall“

Abgesehen davon beschreibt der Brief eine Selbstverständlichkeit: Wer abgeschoben werden soll, davor aber in Freiheit gelebt hat, darf nach einer missglückten Abschiebung nicht einfach in Haft genommen werden. Das geht nur durch einen anschließenden richterlichen Beschluss. Der Bundespolizei müsste das aber bekannt sein, entsprechende Hinweise einer Landesaufnahmebehörde sind eigentlich überflüssig.

Stellt sich also die Frage: Ist der Brief überhaupt echt – und wenn ja, warum wurde er in dieser Form verschickt? Die Echtheit räumt die niedersächsische Behörde durch ihre Erklärungen ein. Genauere Angaben, wie es zu dem „bedauerlichen Einzelfall“ kommen konnte, macht sie aber nicht.

Polizeigewerkschafter Ostermann geht nicht von Versehen aus

Manuel Ostermann, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, glaubt an kein Versehen der Behörde: „Ich unterstelle, dass diese Art des Schreibens mit der Absichtserklärung, eine Person auf freiem Fuß zu belassen, wenn die Ausreise nicht vollzogen werden kann, kein Einzelfall ist.“ Zu oft würden Ausländer nach gescheiterter Abschiebung auf freiem Fuß bleiben.

„Damit ein richterlicher Beschluss ergehen kann, um die Person in Gewahrsam zu nehmen, muss der Haftrichter erst einmal angerufen werden. In diesem Fall hat das die Bundespolizei getan, während der Fall in ihrer Zuständigkeit lag“, erklärt der Polizist im Gespräch mit FOCUS online. Umgekehrt bedeutet das: Die Landesaufnahmebehörden würden zu selten einen richterlichen Beschluss erwirken wollen.

„Symbolbild dessen, was wir jeden Tag bei Abschiebungen erleben“

Ostermann hält den Fall für „ein Symbolbild dessen, was wir jeden Tag bei Abschiebungen erleben“. „Dadurch, dass wir Behörden vom Kommunalen bis hin zur Bundespolizei am Prozess beteiligt sind und es in unserem Föderalsystem 16 unterschiedliche Definitionen gibt, unter welchen Voraussetzungen eine Person in Abschiebehaft genommen wird, können wir überhaupt nicht zielführend abschieben.“ Der „bürokratische Wahnsinn“ müsse ein Ende haben.

Der Gewerkschafter wünscht sich dafür, auf ein Gesetzesvorhaben aus Zeiten der Großen Koalition im Bund zurückzugreifen. Demnach wäre die Bundespolizei für aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Inland zuständig, zudem gäbe es bundeseigene Abschiebehafteinrichtungen und schließlich eine Erweiterung der Abschiebehaft auf sechs Monate.

Warum das bis heute nicht umgesetzt ist, liegt für Ostermann an einem Kuriosum: In der vergangenen Legislaturperiode habe die Bundesregierung das Gesetz unter Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) geplant, der Bundesrat habe aber blockiert. Nun sei es genau andersherum: Die Ministerpräsidenten seien für das Gesetz, die Ampelregierung unter Scholz stelle sich aber dagegen.