Paradoxe Situation bei Landtagswahl - Mit Anti-AfD-Strategie können Wähler in Sachsen ungewollt für Chaos sorgen
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer steht mit seiner CDU in Umfragen plötzlich wieder vor der AfD. Das könnte ihn in Bedrängnis bringen: Denn die Landtagswahl könnte zu einer kuriosen Besetzung des Parlaments führen.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer dürfte den Freitag mit gemischten Gefühlen erlebt haben. Für sein Interview , in dem er Kürzungen der Ukraine-Hilfe gefordert hatte, musste der CDU-Politiker heftige Kritik aus seiner eigenen Partei einstecken. Gleichzeitig sah eine Umfrage zur Landtagswahl Kretschmers Partei erstmals seit langer Zeit wieder vor der AfD . Was zunächst wie eine positive Entwicklung für den amtierenden Ministerpräsidenten aussieht, könnte für ihn noch zum Problem werden.
Zunächst ist es nicht ungewöhnlich, dass die Parteien von Ministerpräsidenten vor Landtagswahlen plötzlich in der Wählergunst steigen. Manche Wählerinnen und Wähler lassen sich vom landesväterlichen Auftreten des Amtsinhabers überzeugen, Unentschlossene entscheiden sich einfach für das bekannteste Gesicht und manche wollen strategisch wählen.
Wähler sammeln sich gegen die AfD hinter Kretschmer
Der Gedanke in der dritten Gruppe: Wenn das Rennen um Platz eins zwischen AfD und dem aktuellen Ministerpräsidenten eng ist, wählen auch diejenigen den Amtsinhaber, die mit dessen Partei sonst wenig anfangen können – um einen AfD-Sieg zu verhindern.
Auch Kretschmer hat davon schon einmal profitiert. Vor der Wahl 2019 dümpelte die CDU lange Zeit bei rund 25 Prozent, die AfD lag gleichauf, teilweise sogar davor. Das Wahlergebnis war ein gänzlich anderes: Kretschmers Partei landete fast fünf Prozentpunkte vor den Rechtspopulisten. Mit SPD und Grünen konnte er dann eine Mitte-Koalition bilden.
Obwohl sich nun ein ähnlicher Ministerpräsidenten-Effekt andeutet, ist die Lage für die sächsische CDU vertrackter. Denn der Großteil der Mitbewerber tut sich schwer in dem Bundesland. SPD, Grüne, und Linke kämpfen darum, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Für die FDP dürfte diese gar nicht mehr erreichbar sein, bei Umfragen liegt sie im nicht messbaren Bereich.
Sachsen droht ein Drei-Parteien-Landtag mit AfD und BSW
Entscheiden sich nun Anhängerinnen und Anhänger dieser Parteien dafür, Kretschmer zu wählen, um einen AfD-Sieg zu verhindern, drohen gleich vier Parteien nicht in den Landtag einzuziehen. Das Parlament bestünde dann nur noch aus drei Parteien: CDU, AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Das wäre ein absolutes Novum in der Bundesrepublik.
Kretschmer würde das in Bedrängnis bringen. Zur AfD gibt es eigentlich eine Brandmauer, eine Koalition mit dem BSW ist umstritten. Zwar würde der Politiker sich auf zweitere Option wahrscheinlich einlassen – die Wagenknecht-Partei könnte als einzige Koalitionsoption den Preis für eine Zusammenarbeit aber in die Höhe treiben. Schon Kretschmers Interview zur Ukraine-Hilfe ist als Schritt in Richtung BSW zu verstehen.
Die Situation ist also paradox, gut gemeintes strategisches Wählen von Kretschmer führt zu einer für ihn schwierigen Verhandlungssituation nach der Wahl. Nicht nur die CDU stünde vor Herausforderungen, sondern auch die politische Stabilität Sachsens insgesamt.
Direktmandate könnten Grüne und Linke retten
Es gibt aber zwei mögliche Auswege: Für den einen müsste Kretschmer die absolute Mehrheit der Landtagssitze erringen, dann könnte er allein regieren. Das ist allerdings unwahrscheinlich. Der zweite Ausweg hat mit den Direktmandaten zu tun. Trotzt Fünf-Prozent-Hürde ziehen ähnlich wie im Bund auch in Sachsen die Parteien ins Parlament ein, die eine bestimmte Zahl der Wahlkreissieger stellen. Im Bund sind es drei, in Sachsen zwei.
Die Stimmen dieser Parteien verfallen dann nicht. Kretschmer hätte also mehr potenzielle Koalitionspartner zur Verfügung. Ein positiver Nebeneffekt wäre, dass die AfD dann nicht mit verhältnismäßig wenig Stimmen viele Sitze im Landtag bekommt. Das wäre wichtig, um eine Sperrminorität der Partei zu verhindern. Würde die AfD diese erreichen, wären zum Beispiel keine Verfassungsänderungen gegen sie möglich.
Umstrittene Kampagne will zwei Parteien in den Landtag hieven
Die Wirkung der Direktmandate hat auch die linke Kampagnen-Organisation Campact erkannt. Der Verein unterstützt nun Grüne und Linke gezielt, wie er am Donnerstag mitteilte. Vier Wahlkreise hat Campact dabei im Blick. Wählerinnen und Wähler sollen vor allem in einem Dresdner und einem Leipziger Stadtteil die Erststimme für die Grünen abgeben, für die Linke in zwei Leipziger Stadtteilen.
Campact hat den vier dort kandidierenden Politikerinnen und Politikern zur Unterstützung 25.000 Euro Spendengelder angeboten. Drei von ihnen haben das allerdings abgelehnt. Der Leipziger-Stadtverband der Linken schreibt, man halte es „für keine kluge Strategie“, den Menschen im Osten Wahlempfehlungen zu erteilen. Dennoch spendete Campact an die Bundesparteien. Die Grünen erhielten laut Angaben des Bundestages ungefähr 161.300 Euro, die Linke rund 66.600 Euro.
Nicht nur bei den von Campact bedachten Parteien sorgen die Spenden für Diskussionen. In der CDU ärgern sich einige über die einseitige Unterstützung. Zum Beispiel Steffen Bilger, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, bezeichnete Campact bei X als „dubiose Kampagnen-NGO“ und ärgerte sich über die Spenden.
Allerdings: Bilger kommt aus Baden-Württemberg. Aus Sachsen sind keine prominenten CDU-Stimmen gegen die Kampagne zu vernehmen – möglicherweise, weil man dort genau weiß, dass ein Wahlsieg auf Kosten der anderen demokratischen Parteien paradoxerweise zu Problemen für Kretschmer führen würde.