Werbung

Paris-Berlin in 1 Stunde: Ist das die Zukunft des Zugverkehrs in Europa?

Stellen Sie sich Folgendes vor: Wir schreiben das Jahr 2045. Sie stehen auf einem Bahnsteig in Berlin und warten auf eine elegante Hyperloop-Kapsel, die geräuschlos in den Bahnhof einrauscht und Sie eine Stunde später in Paris absetzen wird, bereit für Ihr morgendliches Meeting.

Am Nachmittag geht es dann mit einer anderen Gondel in Richtung Süden auf einen gemütlichen Wochenendtrip nach Barcelona - eine Reise, die nicht länger als 90 Minuten dauert.

Die Schnelligkeit und Bequemlichkeit ist für Sie keine Überraschung mehr, denn im letzten Vierteljahrhundert haben sich fast alle Reisen in Europa von der Luft auf die Schiene verlagert. Kurzstreckenflüge sind nichts weiter als ein Relikt aus der Vergangenheit.

Es mag wie ein Science-Fiction-Film erscheinen, aber es gibt Gründe zu glauben, dass eine solche Mobilität in der Zukunft möglich sein könnte.

Die Klimakrise lenkt die Aufmerksamkeit der europäischen Entscheidungsträger:innen auf ihr erklärtes Ziel der Co2-Neutralität bis 2050. Viele setzen auf die Bahn, um dieses Ziel zu erreichen.

Warum ist die Bahn nicht die erste Wahl für Reisen in Europa?

"Wenn wir die Dekarbonisierung und die Klimaziele erreichen wollen, ist die Bahn das Instrument dazu", sagte Carlo Borghini, der Leiter von Shift2Rail, der EU-Einrichtung, die für die Förderung von Forschung und Innovation im Bahnsektor zuständig ist, gegenüber Euronews Next.

Züge haben bereits eine beeindruckende Umweltbilanz, wenn man bedenkt, dass sie im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern in hohem Maße elektrifiziert sind. Gegenwärtig sind sie für nur 0,5 Prozent der Kohlenstoffemissionen in der EU verantwortlich.

Doch wenn Europa die verkehrsbedingten Emissionen (die 2018 28 Prozent der gesamten EU-Emissionen ausmachten) senken will, steht ein weiter weg bevor, um Passagiere und Fracht vom Flugzeug auf die Schiene zu bringen.

Trotz der langen Geschichte des Kontinents in diesem Sektor und der fortschrittlichen Schienennetze werden derzeit nur etwa 7 Prozent der Fahrgäste und 11 Prozent der Güter mit der Bahn befördert.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Schienenverkehr in Europa kaum mehr als ein Flickenteppich verschiedener nationaler Systeme ist, für den es kaum eine umfassende europaweite Strategie gibt, so ein Bericht von Germanwatch.

Das Ergebnis ist, dass grenzüberschreitende Bahnreisen für viele eine teure, unzuverlässige und unbequeme Alternative zum Fliegen darstellen.

So gibt es zum Beispiel derzeit keine direkten Zugverbindungen zwischen Berlin und anderen großen Hauptstädten wie Paris, Brüssel oder Kopenhagen.

Außerdem sind international Reisende aufgrund der Fahrgastrechte im Schienenverkehr in der EU - anders als im Luftverkehr - für verpasste Anschlüsse und Zugausfälle verantwortlich, wenn sie Fahrkarten bei mehreren Anbietern buchen müssen.

Zukunftsvision: Ein einheitlicher europäischer Eisenbahnraum

Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich seit der Corona-Pandemie die Prioritäten verschieben und dass es ein echtes Bestreben und eine politische Bewegung gibt, diesen Ist-Zustand zu ändern.

Shift2Rail zielt auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (SERA) ab. Das Konzept soll eine nahtlose grenzüberschreitende Mobilität auf dem Kontinent ermöglichen und das Netz für die Bahnbetreiber vereinfachen.

“Wir müssen sicherstellen, dass wir in Europa ein einziges europäisches Netz haben, was bedeutet, dass wir Güter von einer Seite des Kontinents zur anderen transportieren.” Carlo Borghini, Geschäftsführer, Shift2Rail

"Parallel dazu müssen wir das Gleiche für die Fahrgäste sicherstellen, damit jeder Zugbetreiber, jedes Eisenbahnunternehmen Züge in jedem Teil Europas betreiben kann, ohne dass Änderungen an den Lokomotiven, den Waggons, der Stromversorgung und dem Signalsystem vorgenommen werden müssen.”

Wir müssen sicherstellen, dass wir in Europa ein einziges europäisches Netz haben, was bedeutet, dass wir Güter von einer Seite des Kontinents zur anderen transportieren.

Carlo Borghini
Geschäftsführer, Shift2Rail

Über SERA hinaus werden im Rahmen von Shift2rail Mittel in Höhe von rund 1 Milliarde Euro bereitgestellt, um die Innovation im Hinblick auf drei konkrete Ziele voranzutreiben: Senkung der Betriebskosten des Eisenbahnsystems, Verdoppelung der vorhandenen Kapazität und Verringerung der Verspätungen im Bahnnetz.

Doch in der nächsten Phase, erklärt Borghini gegenüber Euronews, werden die EU-Mitgliedstaaten entscheiden, welche technischen Lösungen sie finanzieren wollen.

"Der nächste Schritt besteht darin, Innovationen aus der Forschung auf den Markt zu bringen: Investitionen in technologische Lösungen, die sowohl umgesetzt als auch übernommen werden müssen, um das konkrete System umzugestalten".

MagLev-Züge und Hyperloop

Wenn es etwas gibt, das Fahrgäste in die Züge locken könnte, dann ist es wahrscheinlich die Möglichkeit, die Reisezeiten zwischen europäischen Großstädten drastisch zu verkürzen und dabei keine Emissionen zu verursachen.

Unternehmen wie Nevomo in Polen und Zeleros in Spanien arbeiten daran, dies Wirklichkeit werden zu lassen, indem sie ein Hightech-Magnetschwebebahnsystem bzw. ein skalierbares Hyperloop-System entwickeln.

"Hyperloop ist eine neue Art des Transports, die die Reibung, die Hauptursache für Ineffizienz im Transportwesen, grundlegend reduziert", erklärt Juan Vicén Balaguer, Mitbegründer und Chief Marketing Officer von Zeleros Hyperloop.

"Die beiden wichtigsten Reibungsfaktoren hängen mit der Aerodynamik zusammen. Wenn sich das Fahrzeug bewegt, gibt es einen gewissen Luftwiderstand. Der andere ist die Bodenreibung, die entsteht, wenn ein Rad den Boden berührt.

Um das zu vermeiden, setzen wir das Fahrzeug in eine Röhre, in der wir den größten Teil der Luft eliminieren, und auf der anderen Seite bringen wir das Fahrzeug zum Schweben, damit es den Boden nicht berührt. Wir reduzieren die wesentliche Reibung und können mit einer fünf- bis zehnmal höheren Energieeffizienz arbeiten als ein Flugzeug".

Das Hyperloop-Konzept hat seine Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert, als der Maschinenbauingenieur George Medhurst erstmals eine Methode zur Beförderung von Personen und Gütern mit Hilfe von Luftschläuchen vorschlug.

Es war jedoch Elon Musk, der der Idee neues Leben einhauchte, als er 2013 ein Open-Source-Konzept für ein massentaugliches Hyperloop-Verkehrssystem veröffentlichte.

Tatsächlich begann “Zeleros” als Universitätsprojekt, das 2015 auf einem von Musks SpaceX veranstalteten Hyperloop-Design-Wettbewerb vorgestellt wurde und dort zwei Preise für das beste Design und das beste Antriebssystem gewann.

Durch den Erfolg ermutigt, beschloss das Team, sich selbstständig zu machen. Inzwischen beschäftigt das Startup über 150 Mitarbeiter und testet den von ihm entwickelten Prototyp.

Das Ziel ist es, eine Geschwindigkeit von 1.000 Kilometer pro Stunde bei null Emissionen zu erreichen.

Magrail - System der Zukunft

Das erklärte Ziel von Nevomo ist zwar die Entwicklung eines eigenen Hyperloop-Prototyps, doch kurzfristig konzentriert sich das Unternehmen auf die Entwicklung eines "Magrail"-Systems, das nach eigenen Angaben bis 2025 einsatzbereit sein könnte.

"Wir orientieren uns zwischendurch an etwas anderem, denn es wird noch einige Zeit dauern, bis Hyperloop umgesetzt werden kann", sagte Nevomos Business Development Director Milan Chromík gegenüber Euronews Next.

"Wir rechnen in ein paar Jahrzehnten damit. Aber in der Zwischenzeit muss auch die derzeitige Infrastruktur modernisiert werden."

Das System von Nevomo basiert auf der Magnetschwebe-Technologie, bei der Magnete verwendet werden, um einen Zug von der Schiene abzuheben, und ein weiterer Satz von Magneten, um ihn auf der Schiene voranzutreiben.

Der springende Punkt ist jedoch, dass das Unternehmen diese Technologie mit der althergebrachten Schienen kombiniert, indem es die magnetischen Komponenten und die Leitschienen in die bestehende Infrastruktur einbaut, was Nevomo- aus seiner Sicht - nach einen deutlichen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschafft.

Das Unternehmen hat vor kurzem eine Vereinbarung mit dem italienischen Eisenbahninfrastrukturbetreiber Rete Ferroviaria Italiana unterzeichnet, um die technische und wirtschaftliche Machbarkeit der Magrail-Technologie zur Überarbeitung bestehender Gleise zu prüfen.

Gemeinsam werden sie europäische Mittel beantragen, um die Technologie auf der Teststrecke in Bologna San Donato in großem Maßstab zu erproben.

Die Europäische Union drängt derzeit auf die Abschaffung von Kurzstreckenflügen innerhalb Europas und würde diese gerne auf die Schiene verlagern, aber auf der Schiene gibt es keinen Platz dafür. Es muss sich also etwas in der Eisenbahnindustrie ändern, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Laut Chromik könnte die Nevomo-Magrail-Technologie, wenn sie auf Hochgeschwindigkeitsstrecken eingesetzt wird, die Höchstgeschwindigkeit eines TGV-Zugs auf 550 km/h verdoppeln.

Die Europäische Union drängt darauf, Kurzstreckenflüge innerhalb Europas abzuschaffen, und sie würde dem Verkehr gern auf die Schiene verlagern, aber auf der Schiene gibt es keinen Platz dafür. Es muss also ein Wandel in der Eisenbahnindustrie stattfinden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden

Milan Chromík
Direktor für Geschäftsentwicklung, Novomo

Ein weiterer Vorteil der Technologie besteht darin, dass sie in der Lage ist, einzelne "Gondeln" anstelle langer Züge zu einem Endziel zu schicken, was laut Chromík die Leistungsfähigkeit bestehender Strecken erhöhen wird.

"Heutzutage stoßen die derzeitigen Systeme an ihre Grenzen, und auf den am stärksten frequentierten, dicht befahrenen Strecken kann der Verkehr nicht mehr erhöht werden", sagte er.

"Die Europäische Union drängt darauf, Kurzstreckenflüge innerhalb Europas abzuschaffen, und sie würde dem Verkehr gern auf die Schiene verlagern, aber auf der Schiene gibt es keinen Platz dafür. Es muss also ein Wandel in der Eisenbahnindustrie stattfinden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden”, so Chromík.