Österreich wählt neues Parlament - FPÖ könnte erstmals stärkste Kraft werden
Österreich wählt - und erstmals könnte die rechtspopulistische FPÖ stärkste Kraft in Deutschlands Nachbarland werden. Sollte die FPÖ wie in den Umfragen vorhergesagt größte Fraktion im Parlament werden, ist angesichts der umstrittenen politischen Positionen von Parteichef Herbert Kickl allerdings nicht ausgemacht, dass er tatsächlich der nächste Kanzler der Alpenrepublik wird. Mit ersten Prognosen wird nach der Schließung der Wahllokale um 17.00 Uhr gerechnet.
Kickls FPÖ war in Umfragen zuletzt auf rund 27 Prozent gekommen. Sie lag damit zwei Prozentpunkte vor der konservativen ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer, die 2019 noch mit über 37 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Den Sozialdemokraten von der SPÖ werden gut 20 Prozent prognostiziert, den Grünen, die derzeit mit der ÖVP regieren, rund acht Prozent.
Die FPÖ war schon mehrmals an der Regierung in Wien beteiligt, allerdings bisher nur als Juniorpartner. Selbst wenn die Rechtspopulisten dieses Mal stärkste Kraft werden sollten, ist ungewiss, ob es dem stramm rechten Parteichef Kickl gelingen würde, Koalitionspartner zu finden.
Außerdem könnte sich auch der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen weigern, Kickl mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Laut den auf der Website des österreichischen Präsidialamtes geschilderten Befugnissen des direkt gewählten Bundespräsidenten ist dieser "verfassungsmäßig völlig frei", er muss demnach nicht den Kandidaten der stärksten Fraktion auswählen.
Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hatte eine Zusammenarbeit mit Kickl als Regierungschef immer wieder ausgeschlossen. Statt Juniorpartner der FPÖ zu werden, könnte sein ÖVP nach der Wahl versuchen, mit der SPÖ und der Neos-Partei Österreichs erstes Dreierbündnis im Nationalrat zu schmieden.
Die ÖVP konnte in den vergangenen Wochen in Umfragen aufholen. Nehammer warb mit dem Slogan "Stabilität statt Chaos" und profilierte sich während des schweren Hochwassers Mitte September als seriöser Krisenmanager. Im Wahlkampf verschärfte er außerdem seine Position zur Einwanderung, um potenziellle FPÖ-Wähler von sich zu überzeugen.
Nach seiner Stimmabgabe in Wien sprach Nehammer von einer "Richtungsentscheidung". Offenbar mit Blick auf das düstere Bild, das sein Rivale Kickl vom gegenwärtigen Zustand Österreichs zeichnet, betonte der 51-jährige Regierungschef: Die "Probleme kann man mit Zuversicht viel besser lösen als mit Angst".
Kickl wollte erst am Nachmittag seine Stimme abgeben. Bei seiner Wahlkampf-Abschlusskundgebung am Freitag vor dem Wiener Stephansdom war er siegessicher aufgetreten. "Diesmal wird es anders sein", sagte er. "Dieses Mal werden wir die Nummer eins bei dieser Wahl werden."
Das erste Bündnis zwischen ÖVP und FPÖ im Jahr 2000 mit dem damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider hatte großen Protest und EU-Sanktionen ausgelöst. Eine solche Reaktion ist heute nicht mehr denkbar, da Ultrarechte und Rechtspopulisten inzwischen in mehreren europäischen Ländern an der Macht sind.
Der frühere Innenminister Kickl hatte die FPÖ-Führung nach dem "Ibizagate"-Korruptionsskandal seiner Partei übernommen. Mit Verschwörungserzählungen über die Corona-Schutzmaßnahmen, feindlichen Parolen gegen Migranten und scharfer Kritik an der Unterstützung der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs brachte er der FPÖ Zulauf.
Kickl machte außerdem mit gezielten Tabubrüchen von sich reden. So nennt er eine "Remigration" als eines seiner politischen Ziele, bei der Österreicher mit nicht-europäischen Wurzeln, deren Integration als unzureichend eingestuft wird, ausgewiesen werden sollen. Außerdem wiederholt der FPÖ-Chef ungeniert, dass er "Volkskanzler" werden wolle. Diesen Titel hatte während der NS-Herrschaft auch Adolf Hitler für sich gewählt.
Am Samstag sorgte ein Bericht der Zeitung "Der Standard" für Empörung, wonach bei der Beerdigung eines verstorbenen FPÖ-Politikers ein Nazilied gesungen wurde.
yb/gt