Parlamentswahl 2024 in Frankreich: Das müssen Sie zum Urnengang an diesem Sonntag wissen
Warum finden diese Wahlen statt?
Präsident Emmanuel Macron ist am 9. Juni ein hohes Risiko eingegangen, nachdem seine Partei bei der Europawahl eine schwere Niederlage gegen Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National erlitten hatte.
Die Rechtsextremen bekamen bei der Europawahl in Frankreich mehr als 31 % der Stimmen, während Macrons Partei Renaissance etwas mehr als 14 % der Stimmen erhielt.
Der Präsident löste die Nationalversammlung auf und rief - wenige Stunden nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse am 8. Juni - überraschend Neuwahlen aus: "Ich habe beschlossen, Ihnen die Entscheidung über unsere parlamentarische Zukunft zurückzugeben, indem Sie wählen."
Was geschah im ersten Wahlgang?
Im ersten Wahlgang, der am 30. Juni stattfand, überschritt keine Partei die Schwelle von 289 Sitzen für einen eindeutigen Sieg.
Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) erhielt etwas mehr als 33,1 % der abgegebenen Stimmen und lag damit etwa drei Prozentpunkte hinter den Prognosen der Meinungsumfragen zurück.
Macrons Koalition "Ensemble" (Zusammen) erreichte knapp 21 % der Stimmen und lag damit unter dem Ergebnis der Parlamentswahlen von 2022.
Die linke Volksfront lag vor der Macron-Partei.
Die Neue Volksfront - ein Bündnis aus der Sozialistischen Partei, den Grünen und Jean-Luc Mélenchons La France Insoumise - die nach der Ausrufung der Wahlen gebildet wurde, erreichte 28 % - eine leichte Verbesserung gegenüber den 25,7 %, die die NUPES, eine vorherige Koalition, 2022 erreichte.
Welche Parteien sind im Rennen?
Es gibt mehrere Parteien, die im Rennen sind, aber im Wesentlichen geht es um vier politische Bewegungen.
Die rechtsextreme Partei "Rassemblement National" und ihre Verbündeten, die linke Neue Volksfront, zu der sich Linke, Sozialisten, Grüne und Kommunisten zusammengeschlossen haben, das zentristische Bündnis "Ensemble", das hinter Emmanuel Macron steht, und die konservativen Republikaner, von denen sich ein Teil den Rechtsextremen angeschlossen hat.
Was geschieht an diesem Sonntag?
In ganz Frankreich und in den Überseegebieten können die Wählerinnen und Wähler ihre Stimme für 501 der 577 Sitze in der Nationalversammlung abgeben, der wichtigen der beiden Kammern des französischen Parlaments.
In der hektischen Woche zwischen den beiden Wahlgängen zogen sich mehr als 200 Kandidaten der Mitte und des linken Flügels aus dem Rennen zurück, um die Chancen ihrer gemäßigten Konkurrenten und Konkurrentinnen zu erhöhen und zu versuchen, die Rechtsextremen in den einzelnen Wahlkreisen durch eine Brandmauer am Sieg zu hindern.
Die letzten Umfragen vor den Wahlen deuten darauf hin, dass diese Taktik die Chancen der extremen Rechten auf eine absolute Mehrheit geschmälert hat. Aber Le Pens Partei hat eine breitere und tiefere Unterstützung als je zuvor, und es liegt an den Wählern, zu entscheiden.
Die Wähler und Wählerinnen in den französischen Überseegebieten und die französischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Ausland begannen schon am Samstag mit der Stimmabgabe.
Was sind die möglichen Ergebnisse?
Nach den Prognosen der Meinungsforscher wird der rechtsextreme Rassemblement National (RN) wahrscheinlich die meisten Sitze in der nächsten Nationalversammlung erhalten, was eine historische Premiere wäre.
Im Falle einer - derzeit unwahrscheinlichen - absoluten Mehrheit von 289 Sitzen würde Macron voraussichtlich den Vorsitzenden der Le-Pen-Partei, Jordan Bardella, zum neuen französischen Premierminister ernennen. Bardella könnte dann eine Regierung bilden, und er und Macron würden sich die Macht in einem "Kohabitation" genannten System teilen.
Wenn die Partei keine Mehrheit erhält, aber immer noch über eine große Anzahl von Sitzen verfügt, könnte Macron Bardella trotzdem ernennen, obwohl die Partei RN sich weigern könnte, weil sie befürchtet, dass ihre Regierung durch ein Misstrauensvotum abgesetzt werden könnte.
Oder Macron könnte versuchen, eine Koalition mit den Gemäßigten zu bilden und möglicherweise einen Premierminister aus der linken Mitte wählen.
Wenn es keine Partei mit einem klaren Regierungsauftrag gibt, könnte Macron eine Regierung aus parteiunabhängigen Experten ernennen. Eine solche Regierung würde sich wahrscheinlich vor allem mit den alltäglichen Angelegenheiten befassen, um Frankreich am Laufen zu halten.
Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass alle diese Optionen der Zustimmung des Parlaments bedürfen.
Sollten sich die politischen Gespräche angesichts der Sommerferien und der Olympischen Spiele in Paris zu lange hinziehen, könnte Macrons zentristische Regierung mit einer Übergangsregierung weitermachen, bis die Entscheidungen getroffen sind.
Wie funktioniert die Kohabitation?
Sollte eine Oppositionspartei die Mehrheit erlangen, wäre Macron gezwungen, einen Premierminister zu ernennen, der dieser neuen Mehrheit angehört. Im Rahmen dieser "Kohabitation" würde die Regierung eine Politik umsetzen, die von den Plänen des Präsidenten abweicht.
Die moderne französische Republik hat bereits drei Kohabitationen erlebt, die letzte unter dem konservativen Präsidenten Jacques Chirac und dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin von 1997 bis 2002.
Der Premierminister ist dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig, führt die Regierung und bringt Gesetzesvorlagen ein.
Der Präsident ist während der Kohabitation innenpolitisch geschwächt, hat aber immer noch einige Befugnisse in der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik und ist für die Aushandlung und Ratifizierung von internationalen Verträgen zuständig. Der Präsident ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Landes und besitzt die Atomwaffencodes.
Was geschieht im Falle eines instabilen Parlaments?
Obwohl dies in anderen europäischen Ländern keine Seltenheit ist, hat das moderne Frankreich noch nie ein Parlament erlebt, in dem keine Partei dominiert.
In einer solchen Situation müssen die Abgeordneten einen parteiübergreifenden Konsens herstellen, um sich auf Regierungspositionen und Gesetze zu einigen. Frankreichs zerstrittene Politik und die tiefen Gräben bei Themen wie Steuern, Einwanderung und Nahostpolitik machen dies zu einer besonderen Herausforderung.
Wahrscheinlich würde eine unklare Lage mehrere Refomvorhaben von Emmanuel Macron zunichte machen - zum Beispiel das Gesetz, um lebensbeendende Verfahren für unheilbar Kranke zu legalisieren. Auch die Verabschiedung eines Haushalts könnte dadurch erschwert werden.
Wann werden wir die Ergebnisse erfahren?
Die Wahllokale haben landesweit um 8.00 Uhr Ortszeit geöffnet und schließen um 18.00 Uhr in den Kleinstädten und Gemeinden und um 20.00 Uhr in den Großstädten.
Die Meinungsforschenden geben erste landesweite Hochrechnungen heraus, die auf den ersten Teilergebnissen der Wahllokale kurz nach deren Schließung basieren und um 20 Uhr veröffentlicht werden. Diese Exit Polls sind im Allgemeinen zuverlässig.
Die Auszählung der Stimmen erfolgt schnell, und das Ergebnis könnte bereits am Sonntagabend oder spätestens in den frühen Morgenstunden des Montags feststehen.