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Paternoster-Fans feiern in Stuttgart

Feierliche Wiederöffnung des Paternosters im Rathaus Stuttgart. Foto: Marijan Murat

Er setzt sich wieder in Bewegung, unter dem Applaus von mehr als 100 Partygästen: der Paternoster im Stuttgarter Rathaus. Links geht es rauf, rechts runter. Fahrgäste können jetzt wieder in den historischen Aufzug steigen - nach knapp acht Wochen Fahrverbot, verbunden mit dem drohenden Aus für das liebgewonnene Gefährt.

Bei einer nicht ganz ernst gemeinten «Re-Opening-Party» feiern die Stuttgarter am Dienstagmittag ihren kleinen Sieg über die Berliner Bürokratie. Mit Fahrstuhlmusik, thematisch abgestimmten Hits wie «Upside Down» (Auf dem Kopf), «Love In An Elevator» (Liebe im Fahrstuhl) und «Hello Again».

Es sei erfreulich, dass die Bundesregierung «bis hin zu Kanzlerin Merkel» eingesehen habe, «dass wir selbst die Risiken abschätzen können, die das Leben so mit sich bringt», spottet Grünen-Politiker und Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle. Unter Gelächter gibt er die Instruktionen für die Nutzung des «gefährlichen Dings»: Festhalten, einen Fuß rein, den anderen nachziehen. Und im gewünschten Stockwerk das Gleiche - nur andersherum.

«Das war vorher nicht gefährlich - und ist es hinterher erst recht nicht», sagt Wölfle. Und der für die «Betriebssicherheit überprüfungsbedürftiger Anlagen» zuständige Umweltminister Franz Untersteller, ebenfalls ein Grüner, versichert, dass alles getan worden sei, damit der 1956 in Betrieb genommene Oldtimer auch in seinem 60. Jahr beruhigt genutzt werden könne. So liegen eng bedruckte Betriebsanweisungen in Deutsch und Englisch aus - mit gut einem Dutzend Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln. Wobei darauf hingewiesen wird, dass die Nutzung «auf eigene Gefahr» erfolgt.

Die beiden Grünen haben sichtlich Spaß, tragen ein Dauerlächeln auf den Lippen, widerlegt die kleine Party doch den Ruf der Ökopartei als «Verbotspartei» und «Spaßbremse». Passenderweise durchschneiden sie dann auch noch ein rotes Band, stammte das vorübergehende Fahrverbot doch aus dem Bundesarbeitsministerium der roten Ministerin Andrea Nahles (SPD).

Zum 1. Juni hatte die «Verordnung zur Neuregelung der Anforderungen an den Arbeitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln und Gefahrenstoffen» des Bundes den öffentlichen Betrieb von Paternostern untersagt. Nur eingewiesene Mitarbeiter etwa eines Bürohauses durften fahren. Es folgte starker Protest, woraufhin der Bundesrat im Juli mit einer «Ersten Verordnung zur Änderung» das Ganze wieder kippte. «Wir freuen uns diebisch», gibt Wölfle zu.

Die Stadt schätzt, dass am Dienstag fast 200 Gäste ihre Mittagspause zur Fahrt im Paternoster nutzten. «Führerscheine» werden ausgestellt. Buttons mit der Aufschrift «Stuttgart fährt Paternoster» sind gefragte Souvenirs.

Paternoster, 1880 in England erfunden, haben in Deutschland von jeher zu kämpfen. 1885 fährt der erste in Hamburg - ein Jahrhundert später verbietet die damalige Bundesregierung allerdings ihren Neubau. 1994 sollen die noch laufenden Aufzüge aus Sicherheitsgründen endgültig stillgelegt werden, was zum Aufschrei unter Nostalgikern und zur Gründung des «Vereins zur Rettung der letzten Paternoster» führt.

So wie die Perlen des Rosenkranzes beim Vaterunser (lateinisch: Pater noster) durch die Finger wandern, laufen die offenen Kabinen der Aufzüge im Kreis. Am Ende des Schachts angekommen, werden sie zur Seite gesetzt und fahren weiter, rauf oder runter, je nachdem. «Wenn die vorgeschriebenen Wartungen und Prüfungen durchgeführt werden, laufen die Anlagen in der Regel sehr zuverlässig. Technische Störungen als Unfallursache sind die Ausnahme», sagt Thomas Oberst vom TÜV Süd, zuständig auch für die Paternoster im Stuttgarter Rathaus. Die seltenen Unfälle seien meist auf menschliche Fehler zurückzuführen, etwa Stolpern beim Einstieg oder «unsachgemäßes Verhalten» in der Kabine.

In Baden-Württemberg gibt es nach früheren Ministeriumsangaben noch 17 Stück, gut 20 Jahre zuvor waren es noch 31. Deutschlandweit kam man damals auf rund 500. Wie viele davon heute noch ihre Runden drehen, ist nicht klar. Eine private Webseite zählt etwa 230, auch das Onlinelexikon Wikipedia kommt auf eine dreistellige Zahl. Schwerpunkte sind demnach Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt am Main. Die wenigsten Anlagen aber sind öffentlich zugänglich: «Wir sind hier kurz vor einer Attraktion», sagt Umweltminister Untersteller.

Wikipedia: Liste von Paternostern

Private Webseite: Liste von Paternostern

Gebetsgemeinschaft für Kirche und Welt

theelevatormuseum.org zum Paternoster

Ökumenisches Heiligenlexikon

wissen.de zum Paternoster