Pistorius: Europa verfehlt Munitions-Lieferziel für die Ukraine
Die Europäische Union hat der Ukraine bis März eine Million Artillerie-Geschosse zugesagt, dürfte dieses Ziel aber deutlich verfehlen. "Die eine Million werden nicht erreicht, davon muss man ausgehen", sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell kann die Ukraine noch nicht einmal mit der Hälfte der Geschosse rechnen, die sie nach eigenen Angaben dringend für ihre Gegenoffensive gegen Russland braucht.
Auf Druck der Ukraine und Estlands hatten die EU-Staaten Kiew im Frühjahr eine Million Geschosse binnen eines Jahres zugesagt und dafür ein Hilfspaket von insgesamt zwei Milliarden Euro beschlossen. "Vielleicht erreichen wir die eine Million Geschosse bis März nicht", räumte Borrell nun nach der Debatte der Verteidigungsminister erstmals ein.
Denn bisher haben die Mitgliedsländer aus ihren eigenen Armeebeständen erst gut 300.000 Geschosse an die Ukraine geliefert. Dazu kommen nach Borrells Angaben weitere 180.000, die die EU-Staaten bei der Rüstungsindustrie in Auftrag gegeben haben und die in diesem und im kommenden Jahr ausgeliefert werden sollen. Das wären insgesamt 480.000.
EU-Industriekommissar Thierry Breton betonte, dies liege nicht an mangelnden Anstrengungen der europäischen Rüstungsindustrie. Sie habe ihre Kapazitäten um 20 bis 30 Prozent erhöht, wie in Teil zwei des Ukraine-Hilfsplans vorgesehen. Damit könnten bis zum Frühjahr eine Million Geschosse produziert werden. "Dieses Ziel wird erreicht", unterstrich der Franzose. "Nun hängt es von den Mitgliedsländern ab, die Verträge zu schließen."
Pistorius sieht dagegen die Rüstungsindustrie in der Pflicht: "Die Produktion muss hochgefahren und beschleunigt werden, das ist das Gebot der Stunde", sagte er.
Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hatte erst vergangene Woche einen Auftrag der Bundesregierung bekanntgegeben, der rund 100.000 Mörsergranaten für die Ukraine umfasst. Die Geschosse sollen aber erst in zwei Jahren an die Ukraine geliefert werden - also ein Jahr später als von der EU geplant.
Estland, das die Ukraine in der Munitionsfrage unterstützt hatte, drängte die Europäer zu einem noch weitaus ehrgeizigeren Munitionsziel. "Unsere Schätzung ist, dass wir drei Millionen Geschosse pro Jahr benötigen", sagte der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur.
Pistorius machte seinerseits Druck auf die EU-Länder. Er verwies auf die bilaterale Ukraine-Militärhilfe, welche die Bundesregierung von vier auf acht Milliarden Euro erhöhen will. "Ich erwarte auch von anderen Partnern noch mehr", sagte der SPD-Politiker.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte den "bedeutenden" deutschen Vorstoß. Dieser bedarf indes noch der Zustimmung des Bundestags. Pistorius hofft darauf in der kommenden Woche, wie er sagte.
Kein grünes Licht gibt es für 20 Milliarden Euro, die der EU-Außenbeauftragte Borrell zusätzlich für einen gemeinsamen Militärhilfe-Fonds fordert. Aus dem Topf sollen sich die Mitgliedsländer Waffenlieferungen an die Ukraine teils erstatten lassen können.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt ablehnend auf Borrells Vorstoß reagiert. Deutschland leiste in der EU bereits jetzt die höchste bilaterale Hilfe für die Ukraine, betonte er nach dem EU-Gipfel Ende Oktober. "Das ist das, worauf wir uns jetzt konzentrieren sollten", sagte Scholz. Borrell deutete nun an, er wolle seinen Plan bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember überarbeiten.
lob/gt