"Plötzlich arm, plötzlich reich": Das wohlwollende Lächeln auf eine prekäre Existenz

Es war unser Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, der nahe legte, Hartz IV habe nichts mit Armut zu tun. Dessen nahm sich Sat.1 an und führte – wie sein Konkurrenzsender RTL 2 es schon lange tut – ein „Sozialexperiment“ durch. Die reiche Familie Worm tauschte eine Woche mit der armen Familie Bongé. Was dabei herauskam, war eine Sendung voller vorhersehbarer Situationen.

Familie Bongé staunt nicht schlecht über die Riesenvilla (Bild: Sat.1)
Familie Bongé staunt nicht schlecht über die Riesenvilla (Bild: Sat.1)

Nachdem RTL 2 in seiner letzten Dokusoap „Promis auf Hartz IV“ geschickt hat, herrscht nun bei Sat.1 gespielte Gleichberechtigung. Die reiche Familie Worm aus Zehlendorf bei Berlin wird in eins der ärmsten Viertel Deutschlands geschickt – Berlin-Marzahn. Nicole Bongé darf mit ihren vier Töchtern aus Marzahn in die 500 Quadratmeter große Villa der Familie Worm ziehen.

Die Lebenswelten bei „Plötzlich arm, plötzlich reich“ liegen nicht so unendlich weit auseinander wie bei „Promis auf Hartz IV“ von RTL2. Hier wurde ein Fürstenpaar begleitet, dass keine Kinder hatte und im Monat 180.000 Euro ausgab – im Experiment sollten sie von 736 Euro gemeinsam leben. Familie Worm mit ihren drei fast erwachsenen Kindern kommt mit 3700 Euro in der Woche aus – also im Vergleich zum Fürstenpaar „nur“ knapp 15.000 im Monat. Die Lücke zu den Bongés, die mit 225 Euro in der Woche zurecht kommen müssen, klafft trotzdem tief.

Vollzeit Altenpflegerin und es reicht trotzdem nicht

Hartz IV bezieht Nicole Bongé übrigens nicht. Sie arbeitet als Altenpflegerin und verdient dort 1.000 Euro netto, dazu kommt das Kindergeld und auch Thomas Worm hat sein Geld nicht geerbt oder geschenkt bekommen, sondern es sich selbst mit dem Kauf und Ausbau eines Schlosses erarbeitet, das nun als Hotel dient.

Die Familien tauschen die Lebenswelten und alles gestaltet sich wie gedacht. Familie Bongé ist überwältigt von der Größe des Hauses. Als sie davor stehen, sagt die Kleinste: „Ich schlaf ganz oben“, als würde sie sich wie die Prinzessin im Burgturm fühlen wollen. Drinnen steht zur Begrüßung Champagner und Kaviar – kleine Aufmerksamkeit der Worms. Kinder und Mutter Nicole finden es nur eigenartig und stellen es weg.

„Drinnen hat uns der Geruch attackiert“

Familie Worm gibt sich sehr offen. „Das Haus macht von außen einen sehr schönen Eindruck“, sagt Thomas Worm als er ankommt. „Aber drinnen hat uns dann der Geruch attackiert“, ergänzt sein Sohn Max. Die Wohnung ist klein und verwinkelt, die Matratzen dünn und unbequem. Schön ist trotzdem, dass Familie Worm einem die Verwunderung über die prekären Zustand der Mini-Wohnung für fünf Personen erspart. Kein „Oooh“ und „Ach“ ist zu hören – danke dafür! Die Worms lächeln wohlwollend.

Familie Worms stellt sich dem Experiment sehr offen (Bild: Sat.1)
Familie Worms stellt sich dem Experiment sehr offen (Bild: Sat.1)

Trotzdem entstehen aufschlussreiche Szenen, zum Beispiel wenn die 17-jährige Salina sagt: „Ich hab nicht gut geschlafen, ich habe doch sowieso schon einen so empfindlichen Rücken“, da schmunzelt man kurz. Oder wenn die älteste, 14-jährige Tochter von Nicole sagt, sie wünsche sich in der Villa vor allem eine schöne Badewanne. Woher soll die Vorstellungskraft auch kommen? Dagegen war die Vitamin-Spritze, die sich der Herr Fürst bei „Promis auf Hartz IV“ vor dem Ausflug in die Realität geben ließ, zum Fremdschämen. Sozialexperiment wurde hier noch klein geschrieben.

Ansonsten gehen die Worms spazieren und spielen auf dem Spielplatz, sie dürfen Schlittschuhlaufen gehen und verbringen als Familie so viel Zeit miteinander wie lange nicht mehr. Besonders Tochter Salina scheint das zu genießen. Dass nebenbei das Auto von Nicole nicht angesprungen ist, um zum Schlittschuhlaufen zu fahren, wird nur kurz thematisiert. Fazit der Worms: Geld ist nicht alles, aber schön ist es schon.

Die Bongés hingegen wissen gar nicht wohin mit ihrem ganzen Wochengeld. 300 Euro geben sie für den Einkauf im „Frischeparadies“ aus. Mutter Nicole ärgert sich: „Der Ketchup kostet hier das Dreifache von dem, was ich im Discounter bezahle. Und es ist der gleiche!“ Sie fühle sich nicht wohl.

Wohin mit all dem Geld?

Wohler fühlt sie sich beim Friseur, wo sie und ihre Töchter sich Haare und Make-up machen lassen, danach sieht Nicole aus wie Daniela Katzenberger, aber sie freut´s und die Kinder auch. 700 Euro sind weg. Bleiben immer noch viel zu viel.

Fazit der Mutter von Familie Bongé: Zuhause mit den Kindern kuscheln ist kostenlos und wunderschön. Fazit der Kinder, so muss man ehrlicherweise sagen, ist: In diesem großen bunten Haus und ohne Mamas Geldsorgen ist das Leben auch nicht übel.

Obwohl RTL 2 mittlerweile durch „Aschenputtelexperiment“, „Armes Deutschland“, „Promis auf Hartz IV“ und „Hartz und Herzlich“ König in der Disziplin der Tauschexperimente sein müsste, gelingt es Sat.1 doch besser eine halbwegs interessante Sendung zu kreieren. Was jedoch allen fehlt: Die wirkliche Reflexion über das Leben an der Armutsgrenze, wo ein nicht-anspringendes Auto eben nicht nur bedeutet, dass man grade nicht Schlittschuhfahren kann, sondern einen Berg voller neuer Sorgen mit sich bringt.