Politik-Experte über Rücktritte - Kühnert und Lang treten zurück: Die SPD reagiert clever, Grüne begehen großen Fehler

Zwei Rücktritte in kurzer Zeit: Ricarda Lang legt ihr Amt als Grünen-Chefin ab, Kevin Kühnert das des SPD-Generalsekretärs<span class="copyright">Joerg Carstensen/dpa</span>
Zwei Rücktritte in kurzer Zeit: Ricarda Lang legt ihr Amt als Grünen-Chefin ab, Kevin Kühnert das des SPD-GeneralsekretärsJoerg Carstensen/dpa

SPD und Grüne wurden von den Rücktritten in der Parteiführung durchgerüttelt. Politikwissenschaftler Volker Best hält Matthias Miersch als Nachfolger von Kevin Kühnert für eine gute Wahl. Bei der Neuaufstellung der Grünen sieht er hingegen einen entscheidenden Fehler.

Nutzt die SPD den Personalwechsel auf dem Posten des Generalsekretärs für einen Kurswechsel? Oder macht Matthias Miersch weiter wie bisher Kevin Kühnert ?

Volker Best, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, zieht eine gemischte Bilanz über die Arbeit des bisherigen SPD-Generals – seinen Nachfolger hält er für eine kluge Besetzung. Im Interview erklärt der Parteienforscher auch, welche Parallelen es gibt zwischen den Rücktritten von Kühnert und Ricarda Lang bei den Grünen.

Herr Best, wie bewerten Sie die Amtszeit von Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD?

Volker Best: Es gab Licht und Schatten. Auf der einen Seite war Kühnert ein emsiger Generalsekretär, der häufig in Talkshows die SPD und ihre Politik verteidigt hat, ohne sich größere Fehltritte zu leisten. Am ehesten würde ich seine Äußerung nach der Europawahl kritisieren, als er in Bezug auf die Koalitionspartner FDP und Grüne die „Kontaktschande“ als Erklärung für das schlechte Abschneiden anführte. Das war kein gutes Wording und stimmt auch sachlich nicht ganz.

Miersch ist Kühnert 2.0 – und doch etwas anders

Und auf der anderen Seite?

Best: Kühnert trägt eine Mitschuld für die schlechten Umfrage- und Wahlergebnisse, vor allem bei der Europawahl. Die von ihm organisierte Kampagne war strategisch unverständlich und ideenarm. Kühnert ist es nicht gelungen, seine Partei von den anderen Koalitionspartnern abzusetzen und das Profil der SPD zu schärfen.

Das ist allerdings in einer lagerübergreifenden Koalition wie der Ampel sehr schwierig. Auch er selbst hat sich dadurch verändert. Von dem Drive des linken „No-Groko“-Kühnert aus Juso-Zeiten war nicht mehr viel zu sehen.

Sein Nachfolger wird Matthias Miersch . Wie wird er im Vergleich das Amt ausfüllen?

Best: Er ist gewissermaßen ein Kühnert 2.0, was seine Herkunft vom linken Flügel angeht. Miersch hat die Voraussetzungen für eine doppelte Rolle: Er hat sich konstruktiv in die Koalition eingebracht und hat zum Beispiel das Heizungsgesetz für die SPD im Bundestag verhandelt. Er ist sehr erfahren, Fachpolitiker im Bereich Energie und Umwelt, taugt aber auch als Generalist.

Gleichzeitig ist er öffentlich nahezu unbekannt und steht damit nicht so sehr für die Ampel-Politik. Damit kann er sich im Wahlkampf von der Ampel absetzen, ohne die noch vorhandenen Partner völlig vor den Kopf zu stoßen.

Wie der neue SPD-Generalsekretär vom Heizungsgesetz profitieren kann

Kann Miersch sein Mitwirken am unbeliebten Heizungsgesetz auf die Füße fallen?

Best: Eher im Gegenteil. Das Gesetz wird vor allem mit den Grünen in Verbindung gebracht. Miersch hat sich in den Nachverhandlungen für eine soziale Abfederung eingesetzt. Miersch kann damit die SPD glaubhaft von den Grünen abgrenzen als eine Partei, die bei der Klimawende die soziale Komponente mitdenkt.

Miersch hat lange den Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 verteidigt. Nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat er Gerhard Schröder für 60 Jahre Parteimitgliedschaft geehrt – trotz dessen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Und er bezeichnete Forderungen nach mehr Waffenlieferungen an die Ukraine als „schrille Rufe“ von „angeblichen Experten“.  Wird der neue Generalsekretär einen russlandfreundlichen Kurs der SPD befördern?

Best: Das ist schwierig zu sagen. Die Ehrung Schröders musste er als Vorsitzender des SPD-Bezirks Hannover vornehmen, und er hat das in einer Weise bewerkstelligt, dass es keinen Eklat auslöste. Und bei Nord Stream 2 lag nicht nur Miersch falsch, sondern fast die ganze Partei.

Der eher russlandfreundliche Teil der SPD um den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich wird durch die Ernennung von Miersch aber trotz dieser Einschränkungen eher gestärkt als geschwächt. Es ist für die Partei und vermutlich auch für Kanzler Olaf Scholz ein Ansinnen, die SPD als Friedenspartei zu positionieren, ohne freilich der Ukraine jegliche Unterstützung zu entziehen.

SPD stellt sich klüger neu auf als die Grünen

Stichwort Scholz: Welches Signal sendet die SPD-Führung mit der Ernennung des Parteilinken Miersch an den eher pragmatischen Kanzler?

Best: Ich würde das nicht als Misstrauensvotum gegen Scholz sehen, der auch eingeweiht und einverstanden war, denn Miersch war wie gesagt bisher ein konstruktiver Teil der Koalition. Seine Ernennung ist eher der Versuch, mit Miersch und Scholz die SPD breiter aufzustellen. Der Kanzler wird mit der Koalitionspolitik gleichgesetzt, der Generalsekretär kann den linken Teil abdecken und eigene Konzepte präsentieren. Sein Fokus auf soziale Gerechtigkeit ist für die SPD-Wähler sehr attraktiv.

Ist das eine kluge Aufstellung?

Best: Ich halte sie für plausibel – jedenfalls verstehe ich sie viel besser als die sich abzeichnende Neuaufstellung bei den Grünen nach den Rücktritten der Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour. Dort wird es mit Felix Banaszak zwar auch einen Parteilinken in der Führung geben. Aber vermutlich wird er eher der Sidekick der Habeck-Vertrauten Franziska Brantner sein. Damit wird die Partei sehr stark auf den Wirtschaftsminister konzentriert, der aber Probleme hat, seinen Leuten die Regierungspolitik zu verkaufen.

Die Grünen stärken das Standbein, das droht, weggezogen zu werden. Die SPD hingegen stärkt ihr Spielbein und kann damit vielleicht Tore erzielen.

Sie haben Kühnerts Rollenwechsel angesprochen. Wird auch Miersch als anfänglich linker Generalsekretär immer weiter in die Mitte rücken?

Best: In dem Jahr bis zur Bundestagswahl kann Miersch dem Zug in die Mitte wahrscheinlich standhalten. Aber grundsätzlich ist der Spagat zwischen der eigenen linken Orientierung und dem Eintreten für die Kanzlerpartei in einer doch eher mittigen Koalition schwierig.

Ob Miersch sich auch nach der Bundestagswahl darum kümmern muss, wird sich zeigen. Möglicherweise rückt er dann auch schon in ein anderes Amt auf. Denn bereits in der Vergangenheit wurde er für den Fraktionsvorsitz oder einen Ministerposten gehandelt.

Parallelen zwischen Rücktritten von Ricarda Land und Kevin Kühnert

Mit Kevin Kühnert ist nach Ricarda Lang innerhalb kurzer Zeit der zweite Politiker zurückgetreten, der jung Karriere gemacht hat. Die Gründe mögen unterschiedlich sein, aber offenbar wurden beide durch das harte Politikgeschäft zerrieben. Sehen Sie Parallelen?

Best: Interessant ist, dass beide mit dem beschriebenen Spagat zu kämpfen hatten. Sie sollten in ihren jeweiligen Parteien den linken Flügel in einer im Vergleich rechteren Koalition bei Laune halten. Das kostet Kraft. Und sowohl Lang als auch Kühnert gehören zu einer Generation, die eher auf Work-Life-Balance achtet und Selfcare praktiziert als früher.

Was bedeutet das für die Politik?

Best: Für sie ist es kein Tabu mehr, zuzugeben, wenn die Spitzenpolitik ihre Kräfte übersteigt. Wobei es im Fall von Lang wahrscheinlich keinen Rücktritt gegeben hätte, wenn ihr Co-Vorsitzender Nouripour von den Realos nicht zum Rücktritt gedrängt worden wäre.

Aber auch das ist typisch für die Generation: Sie hat eher im Hinterkopf, dass man auch später noch einen zweiten Anlauf versuchen kann, in der Politik oder anderswo.

Kam der Sprung an die vorderste Front für die beiden eher jungen Politiker zu früh?

Best: Junge Menschen sind für die Spitzenpolitik nicht grundsätzlich ungeeignet. Und es ist im Sinne der Repräsentation grundsätzlich gut, dass auch jüngere Menschen in der Politik stärker sichtbar werden.

Aber man kann die typische Karriere – Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal – schon auch kritisieren. Mit mehr Lebens- und Berufserfahrung passieren auch weniger Fehler und der politische Druck wäre dann vielleicht auch etwas geringer.