"Politisches Chamäleon": Liz Truss wird neue Premierministerin

Die amtierende britische Außenministerin Liz Truss hat den Wahlkampf um die Nachfolge von Großbritanniens Premierminister Boris Johnson gewonnen. Sie gilt als wandelbar und ist – auch deshalb – ziemlich umstritten.

Liz Truss wird die nächste britische Premierministerin
Liz Truss wird die nächste britische Premierministerin. Foto: Reuters / Phil Noble

Liz Truss wurde 1975 in eine Familie geboren, – der Vater Professor für Mathematik, die Mutter Krankenschwester – die sie selbst auf dem politischen Spektrum noch links von der Labour-Party einordnet. Also links der großen Arbeitspartei des Landes. Ihr Weg bis an die Parteienspitze der Conservative Party war also alles andere als vorgezeichnet.

Der begann so: Statt eine Privatschule, wie sie viele ihrer heutigen Kabinettskolleg*innen besuchten, ging Truss auf eine öffentliche Schule in Leeds. Weshalb sie noch heute gern eine Bild von sich malt, das sie als anti-elitär darstellt. Obwohl sie später Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Oxford studierte, eine der renommiertesten Universitäten der Welt.

Freiheit, das eigene Schicksal zu gestalten

In dieser Zeit war Truss Mitglied bei den Liberal Democrats, einer Hochschulgruppe, die sich inhaltlich als Gegenentwurf zu den Konservativen sah. Damals setzte sich Truss unter anderem für die Legalisierung von Marihuana ein und wollte die Monarchie abschaffen. CNN nennt beide Positionen einen "völligen Widerspruch zu dem, was im Jahr 2022 als Mainstream-Konservatismus gilt".

Trotzdem trat Truss 1996 der Conservative Party, also den Tories, bei. Das ist auch ein Grund dafür, dass CNN Truss ein "politisches Chamäleon" nennt, die inhaltliche Standpunkte in ihrer Jahrzehnte langen politischen Karriere immer wieder "enorm verändert" hat. Sie selbst erklärt, sie sei deshalb zu den Konservativen gegangen, weil ihr vor allem "die eigene Freiheit und die Möglichkeit, ihr Leben und ihr Schicksal nach ihren Wünschen zu gestalten" wichtig sei.

Wegbegleiter: Glaubt sie, was sie sagt?

Langjährige Beobachter*innen stellen sich laut CNN hingegen die Frage, ob Liz Truss viel eher eine politische Opportunistin sei, die immer dann neue Positionen vertrete, wenn diese gerade zur gesellschaftlichen Stimmung passten oder ob sie doch tiefe persönliche Überzeugungen innehabe und diese verfolge.

Dazu hat CNN Neil Fawcett befragt, der mit Truss 1990 bei den Liberal Democrats Wahlkampf machte. Er sagt: "Ich glaube, sie ist jemand, die sich immer und jedem Publikum, zu dem sie spricht, anpasst. Und ich weiß wirklich nicht, ob sie jemals etwas von dem glaubt, was sie sagt. Ob damals oder heute."

Noch ein Beispiel: 2016 twitterte Truss, dass ein Verbleib in der Europäischen Union für Großbritannien sinnvoll sei und im eigenen wirtschaftlichen Interesse liege. Heute steht sie voll auf der Seite der Brexiteers.

Steuersenkungen werden wohl kommen

Die BBC hat ihre politischen Positionen ebenfalls unter die Lupe genommen und mögliche zukünftige Pläne der Premierministerin skizziert. Truss, die mittlerweile als Vertreterin des rechten Flügels ihrer Partei und eine der treuesten Johnson-Unterstützer*innen gilt, hat bis zum Schluss zu ihrem Vorgänger gehalten.

Das hat Truss auch das Vertrauen mächtiger Parteimitglieder eingebracht, die zuvor Johnson gestützt haben. Laut BBC dürfte sie sich, ebenfalls wie ihr Vorgänger, vor allem dafür einsetzen, Steuern zu senken – wofür sie auch bereit ist, neue Schulden aufzunehmen – und gleichzeitig den Einfluss des Staates zu verringern.

Krisen: Herausforderung und Chance

Diese Pläne haben ihr schon jetzt viel Kritik eingebracht. Die Opposition wirft ihr laut Tagesschau vor, dass man Truss in den letzten Wochen "weitaus mehr über eine Kürzung der Unternehmenssteuer als über Erleichterungen für Privathaushalte" habe reden hören.

Ihre ersten Tage werden nicht leicht, denn Truss muss viele Krisen gleichzeitig managen: die Position Großbritanniens im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Krise der explodierenden Lebenshaltungs- und Energiekosten im Land, das marode Gesundheitssystem und die steigende Kriminalität.

Die heute 47-jährige Truss, verheiratet und zwei Kinder, wird deshalb schnell und weitreichend handeln müssen. Das ist laut BBC eine große Herausforderung, birgt aber damit auch die Chance, viele Stimmen aus der Bevölkerung für sich zu gewinnen.

Im Video: Nachfolgerin von Boris Johnson: So ist Liz Truss privat