Politologe im Interview - Experte findet die Ampel-Ausstiegspläne der FDP „zynisch und kindisch“
Führende FDP-Vertreter erwägen einen Ausstieg aus der Ampelkoalition bis spätestens 14. November. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder kritisiert diese Strategie. Das Vorgehen sei „kindisch“ und „zynisch“.
In der FDP wächst die Unruhe, immer mehr Parteimitglieder sprechen sich für ein Ende der Ampelkoalition aus. In den Führungsgremien der Liberalen werden bereits konkrete Pläne für einen möglichen Austritt inklusive eines festen Termins diskutiert. Im Mittelpunkt steht dabei der 14. November. An diesem Tag sollen die Haushaltspolitiker der Ampel-Koalition den Haushalt für das Jahr 2025 endgültig beschließen („Bereinigungssitzung“). Zwei Wochen später soll der Haushalt im Bundestag verabschiedet werden.
Führende Vertreter der FDP erwägen nun, die Koalition spätestens am 14. November zu verlassen. Andernfalls müsste die Entscheidung spätestens am 29. November fallen. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder hat dazu eine klare Meinung. Im Interview mit FOCUS online bezeichnet er das Vorgehen der FDP als „kindisch“.
FOCUS online: Herr Schroeder, Sie sagten in einem Gespräch mit FOCUS online zum Rücktritt des Grünen-Vorstandes, der FDP täte ein ähnlicher Schritt gut. Wie kann sich die FDP denn jetzt noch am elegantesten aus der Ampel rauswinden?
Wolfgang Schroeder: Die FDP hatte gehofft, einen eleganten Ausstieg zu finden, um sich als Vertreterin der wirtschaftlichen und politischen Rationalität zu präsentieren – das ist ihr jedoch nicht gelungen. Eine elegante Ausstiegsmöglichkeit gibt es für die FDP nicht mehr.
„Durch den Rücktritt des Grünen-Vorstandes wächst der Druck auf FDP“
Was heißt das für die Liberalen jetzt?
Schroeder: Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob sie noch die Kraft haben, innerhalb der Koalition sachliche Kompromisse zu finden, oder ob sie aussteigen wollen. Zu dieser Entscheidung konnten sie sich bislang nicht durchringen. Durch den Rücktritt des Grünen-Vorstandes wächst der Druck, weil sichtbar wird, dass es Parteien gibt, die mehr Mut und Weitsicht zeigen als die FDP.
Was ist Ihre Empfehlung? Sollte die FDP die Ampel verlassen? Würde ihr das wirklich nützen?
Schroeder: Die FDP steckt in einem Dilemma. Von Anfang an hat sie sich als Korrektiv innerhalb der Ampel positioniert und aus ihrer Sicht viel versucht, um den aus ihrer Sicht sinnvollen Kurs zu verfolgen. Doch der Spagat zwischen einer Beteiligung an der Regierung und der gleichzeitigen Kritik an ihr ist immer schwieriger und weniger plausibel geworden. Irgendwann wird dieser Widerspruch zu einem qualitativen Bruch führen.
Zeitweise ist die FDP damit aber ganz gut gefahren?
Schroeder: In einigen Themen, wie dem Heizungsgesetz oder dem Atomausstieg, hat die FDP durchaus kurzfristige Erfolge erzielt und Zustimmung erhalten. Aber langfristig hat ihr das nicht geholfen, da ihr Kurs als inkonsistent wahrgenommen wurde. Das zeigt sich auch in den Wahlergebnissen: In elf Landtagswahlen während der Ampel-Zeit ist die FDP sechsmal aus den Parlamenten geflogen.
Sie konnte sich zudem in der Regierung nicht behaupten, was die Frage aufwirft, welche Rolle die FDP nach dieser Ampel-Regierung im Parteiensystem noch spielen will. Es wird in Zukunft kaum jemand eine Koalition mit der FDP eingehen wollen, wenn es keine dringende Notwendigkeit gibt.
Veröffentlichung eines Austrittstermins „wirkt eher kindisch“
Jetzt kursiert sogar ein möglicher Austrittstermin für die FDP: bis zum 14. November 2024, also bis zur sogenannten Bereinigungssitzung, spätestens aber bis zum 29. November. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?
Schroeder: Das wirkt eher kindisch. Wenn man wollte, könnte man bei allen anstehenden Themen – auch angesichts des selbst mitverantworteten Koalitionsvertrages – einen Kompromiss finden. Das ist nach wie vor möglich. Aber die FDP scheint keinen Kompromiss anzustreben. Für die Partei selbst, die Ampel und die bundesdeutsche Gesellschaft wäre es ehrlicher, jetzt klar zu sagen: Es reicht.
Warum will die FDP ausgerechnet bis zur sogenannten „Bereinigungssitzung“ einen Ausstieg erwägen? Was macht diesen Termin so besonders?
Schroeder: Die FDP will die treibende Kraft sein und die Kontrolle über das Geschehen behalten. Sie möchte ihre Entscheidung plausibel erklären können. Die Hoffnung ist, dass man im Rahmen dieses Termins sagen kann: „Wir haben alles geprüft, und nun ziehen wir Bilanz.“
Aber diese Bilanz könnte man eigentlich schon jetzt ziehen, denn alle Fakten liegen auf dem Tisch. Die Frage ist, ob man den Kompromiss will oder nicht. Die deutsche Öffentlichkeit noch sechs Wochen in Unsicherheit zu lassen, ist zynisch und kindisch.
„Jetzt spitzt sich die Situation qualitativ zu“
War es clever, schon jetzt ein Austrittsdatum durchsickern zu lassen?
Schroeder: Das hängt immer vom Blickwinkel ab. Die FDP verbindet damit sicherlich die Vorstellung eines Ultimatums an die anderen Parteien: Entweder ihr akzeptiert unsere Positionen innerhalb der nächsten sechs Wochen, oder wir ziehen unsere Konsequenzen. Dieser Bilanzierungsprozess läuft allerdings schon seit drei Jahren.
Seitdem sehen wir dieses Spiel, aber jetzt spitzt sich die Situation qualitativ zu. Bisher ging ich davon aus, dass die Ampel bis zum Ende durchhält, da keine der drei Parteien ein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen hat. Es müssen jedoch auch keine Neuwahlen stattfinden – es wäre auch möglich, ohne die FDP in der Regierung weiterzumachen. Ich glaube nicht, dass der Bundespräsident so schnell Neuwahlen ausrufen würde.
Heute entsteht der Eindruck, dass mit dem Rücktritt des Grünen-Vorstandes ein gewisser Kampf ums Momentum zwischen der FDP und den Grünen entbrannt ist. Kann man sagen, dass die Grünen auf die FDP reagiert haben?
Schroeder: Das kann man nicht ganz ausschließen. Die Grünen haben aber nicht nur auf die FDP reagiert, sondern auch auf ihre eigene schlechte Performance bei den Landtagswahlen im Osten, den Europawahlen und den Umfragen. Sie sind jetzt dabei, sich neu aufzustellen. Dabei zeigen sie sich risikofreudiger, klarer im Kopf und mutiger als die FDP, die sehr zögerlich wirkt und in ihrer Politik eher eine Belastung als eine Bereicherung darstellt.
Anfangs sah das anders aus, als man dachte, die FDP könne mit ihrer Wirtschaftskompetenz und dem Fokus auf die Stärkung der Zivilgesellschaft eine tragfähige Rolle im „Fortschrittsvertrag“ spielen. Aber das hat sich nicht bestätigt. Die FDP hat keine überzeugende Vision, wie sie das Land voranbringen will. Ihr stures Festhalten an der engen Auslegung der Schuldenbremse verhindert dringend nötige Zukunftsinvestitionen.
„Am 14. November müsste es keineswegs zu dem Ergebnis kommen, dass keine Einigung möglich ist“
Die FDP stolpert also mit dem veröffentlichten Ablaufdatum der Ampel. Wo drohen jetzt Fallstricke für die FDP?
Schroeder: Eigentlich sind die Karten klar auf dem Tisch, und es ist kein allzu schwieriges Spiel. Die inhaltlichen Differenzen sind bekannt, und es wäre möglich, sie zu überbrücken. Am 14. November müsste es keineswegs zu dem Ergebnis kommen, dass keine Einigung möglich ist. Aber dafür müsste sich auch die FDP bewegen.
Was sie nach der Brandenburgwahl gezeigt hat, war jedoch eher Desorientierung. Sie hat nochmal maximal ihre Positionen aufgerufen und die Politik der Schuldzuweisungen und Drohungen verschärft, ohne gleichzeitig zu zeigen, dass sie wirklich bereit ist, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Den Satz: „Lieber nicht regieren als schlecht regieren“ scheint die FDP nach 2013 ein weiteres Mal bestätigen zu wollen. Denn unterschiedliche Interessen hin oder her am Ende ist ein Bündnis, das auch handwerklich nach dem Prinzip Pacta sunt servanda (Anm. d. Red.: zu Deutsch: Verträge sind einzuhalten) funktionieren sollte, wenn es denn Sinn machen soll.
Ist es aus Ihrer Sicht wahrscheinlich, dass die FDP sich bis zur Bundestagswahl von der Ampelzeit erholen kann? Wie kann dieser Genesungsprozess aussehen? Was müsste passieren?
Schroeder: Halte ich für eher unwahrscheinlich. Sie hat weder personell noch programmatisch interessante Angebote, oder gar ein Alleinstellungsmerkmal. Wir erleben ja gerade einen rasanten Umbau des Parteiensystems, der vor allem die etablierten Parteien sehr belastet, und dazu zählt die FDP an vorderer Stelle.