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Polizeiruf 110: Gewalt, Identität und Fußball

Hooligans unter sich: Momke (links) kämpft um seinen Platz in der “roten Rotte” (NDR/Christine Schroeder)
Hooligans unter sich: Momke (links) kämpft um seinen Platz in der “roten Rotte” (NDR/Christine Schroeder)

Passend zum Pokalfinalwochenende zeigt die ARD am Sonntag einen Fußballkrimi. In „Einer für alle, alle für Rostock“ wagt sich der Polizeiruf ins Hooligan-Milieu und erzählt in einem packenden Film eine Geschichte über Gewalt und Identität.

Auf die Fresse gibt es in diesem Polizeiruf gleich in den ersten Minuten. Zwei Hooligangruppen, eine aus Hamburg, die andere aus Rostock treffen sich unter einer Rostocker Autobahnbrücke, um sich gegenseitig zu vermöbeln. Zu den Zeilen von U2s „Love is Blindness“ fliegen die Fäuste und Springerstiefel. Dann rollt die Polizei an und die Gewaltmeier fliehen. Einer von ihnen versteckt sich in einer Tankstelle und trinkt noch einen Absacker und fast kommt er davon. Dann allerdings schubst ihn jemand vor einen Lastwagen: tot.

Aufklären sollen den Fall Katrin König und Sascha Bukow – und das, obwohl die beiden eigentlich gerade ganz andere Dinge zu tun hätten. Bukow leidet noch immer unter der Trennung von seiner Frau, die jetzt mit seinem Kollegen zusammenlebt. König wurde im letzten Fall fast von einem Sexualstraftäter vergewaltigt und wehrte sich, indem sie ihm fast den Schädel einschlug. Erst Bukow konnte sie daran hindern, es wirklich zu tun.

So mit emotionalem Gepäck beladen, beginnen die beiden also ihre Ermittlungen. Der Tote, das stellt sich schnell heraus, war vor sieben Jahren bei einer Prügelei zwischen Polizisten und Hooligans anwesend, bei der ein Beamter bis zur Schwerstbehinderung zusammengeschlagen wurde. Er sagte damals gegen den Anführer der Hooligangruppe „Rote Rotte“, Stefan Momke, aus und schickte den damit ins Gefängnis.

Gewalt als Kommunikationsmittel

Womit wir auch schon beim Hauptverdächtigen und Unsympathieträger dieses Polizeirufs sind. Der schwer mit hässlichen Tattoos zugehackte Momke ist nämlich vor kurzem aus dem Knast entlassen worden und versucht jetzt lautstark seinen Platz in der Rotte zurückzuerobern. Hat er den Verräter vor den Lastwagen geschubst? Momke ist ein testosteronverseuchtes Ekelpaket, dessen einzige Kommunikationsmöglichkeit die Gewalt zu sein scheint – man möchte es glauben.

Doch seine Stellung in der Rotte ist nicht Momkes einziges Problem. Gleichzeitig versucht er, den Platz an der Seite seiner Exfreundin Doreen Timmermann wieder einzunehmen. Auch sie war bei der Prügelei dabei, damals vor sieben Jahren. Und auch sie hat, was Momke nicht weiß, gegen ihn ausgesagt.

Heute lebt Doreen gemeinsam mit Mann und Kind (höchstwahrscheinlich Momkes Sohn, aber ganz klar wird das nicht) in einem kleinen Haus, arbeitet als Friseurin und will von den Avancen ihres Exfreundes erst mal gar nichts wissen. Sie hat, so scheint es, dem Hooligan-Leben ein für allemal abgeschworen.

Dieses Mal also Hooligans. Der Sonntagabendkrimi als Ausflug in die Subkultur ist nichts Neues. Regelmäßig versuchen Tatort und Polizeiruf dieses Kunststück und regelmäßig versemmeln sie es. „Einer für alle, alle für Rostock“ ist anders. Wo andere Krimis plakative, scherenschnittartige Vertreter der „Nazis“, der „Punks“ oder der, was weiß ich denn, „Kaninchenzüchter“ vor die Kamera zerren, um sie mit leeren Worthülsen ihre Gruppe erklären zu lassen, zeichnet dieser Film Charaktere. Gleichzeitig versucht er nicht, die Hooliganszene quasidokumentarisch zu durchleuchten. Die Mitglieder der “roten Rotte”, Doreen und Momke erklären sich und ihre Aggressivität nicht. Die Gewalt steht für sich, was verstörend ist – aber gerade deswegen so gut funktioniert.

Wie weit kann ein Mensch aus seiner Haut?

Der Mörder ist am Ende nicht Momke. Der liegt nämlich nach einer Liebesnacht mit seiner Ex tot zwischen den Platten – aufgespießt mit einer Harpune aus ihrem Friseursalon „Haarpune“. Und obwohl damit alles auf sie zu deuten scheint, ist der wirkliche Killer am Ende kein Hooligan. Der Kollege des zusammengeschlagenen Polizisten hat die Morde gemeinsam mit dessen Frau begangen, aus Rache.

Aber das ist gar nicht so wichtig. Neben der Suche nach dem Mörder steht in diesem Polizeiruf, und das macht ihn so gut, eine zweite Frage im Mittelpunkt: die nach der Identität. Momke lässt in seinem Versuch, seine Exfreundin wieder zu gewinnen, nicht locker und hat damit Erfolg. Langsam zieht es die junge Mutter zurück in das Feld aus Gewalt, aus dem sie vor sieben Jahren floh. Die Verwandlung von der Haus-mit-Garten-Mutter zurück zum aggressiven Hooligan ist gruslig anzusehen und wird von Lana Cooper in der Rolle der Doreen Timmermann zur Perfektion gespielt. Jede Szene vibriert mit der Frage: Wie weit kann ein Mensch aus seiner Haut?

In der letzten Szene des Films steht Doreen Timmermann mit ihrem Sohn mitten zwischen gröhlenden Hooligans. „Einer für alle““, schreit sie und der Junge erwidert, ohne wirklich zu wissen, was das heißt: „Bis in den Tod!“ – schrecklich und deshalb so großartig. (jl)

Foto: NDR/Christine Schroeder

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