Polizeiruf aus Rostock: Wenn der Mörder freigesprochen ist

Guido Wachs ist der Täter. Er hat 1988 ein Mädchen vergewaltigt und erwürgt. Das ist kein Spoiler, das steht schnell fest. Foto: NDR / Christine Schroeder
Guido Wachs ist der Täter. Er hat 1988 ein Mädchen vergewaltigt und erwürgt. Das ist kein Spoiler, das steht schnell fest. Foto: NDR / Christine Schroeder

Das Team Alexander Bukow und Kathrin König hat einen neuen Fall. Einer, der schon über 30 Jahre alt ist. Vor der Wende wurde ein junges Mädchen vergewaltigt und erstochen – nun fordert die Mutter, das noch einmal jemand nachforscht. Was als langsamer “cold case” – Krimi beginnt, endet in der Frage: Was ist Gerechtigkeit?

Nach 40 Minuten Polizeiruf aus Rostock “Für Janina” ist klar: Guido Wachs war’s. Genau der Täter, den Komissar Röder (Uwe Preuss) vor 30 Jahren festgenommen hatte. Er hat die junge Janina Stöcker nach einem Konzert im Wald vergewaltigt und erwürgt. Der Mann, der 18 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte und dann freigesprochen wurde, weil seine Anwälte ein Gutachten angefordert hatten, das besagte, die Reifenspuren am Tatort stammen nicht von Guido Wachs Motorradmodell, sondern einem anderen.

Aber Guido Wachs (Peter Trabner) war’s wirklich. Seine DNA finden die Komissare Bukow (Charly Hübner) und König (Anneke Kim Sarnau) in der Badehose der jungen Frau. Die Auswertung war zwar 2003 vorgenommen wurden, allerdings waren die Methoden zu der Zeit nicht so genau. Eine Zeugin bestätigt Bukow, dass Guido Wachs damals genau die eklige Zigarettenmarke geraucht habe, die man am Tatort fand. Und die Reifenspuren? Die waren 1988 nicht im Hinblick auf die Wetterbedingungen untersucht worden. Es hatte geregnet, die Spuren waren nicht das, wofür man sie hielt.

Komissar Röder ist am Ende. Nicht nur hatte er nach der Freilassung des jungen Wachs wüste Beschimpfungen über seine Inkompetenz über sich ergehen lassen müssen, sondern es ist auch die Tatsache, das einer, der einmal freigesprochen wurde, nicht wieder für dasselbe Verbrechen angeklagt werden kann. “Selbst wenn wir eine Videoaufnahme hätten, die ihn bei der Tat zeigt, würde das nichts ändern”, erklärt Röder Janinas Mutter (Hildegard Schmahl). Die ist völlig perplex. Schadenersatz könnte sie fordern, sagt Röder. Nach kurzem Telefonat mit ihrem Anwalt steht fest: Ach nein doch nicht. Schadenersatzforderungen verjähren nach 30 Jahren. “Die Frist ist vor zwei Monaten abgelaufen.”

Janinas Mutter Ursula Stöcker wollte, dass der Fall neu aufgerollt wird. Mit diesem Ergebnis hätte sie allerdings nicht gerechnet. Foto: NDR / Christine Schroeder
Janinas Mutter Ursula Stöcker wollte, dass der Fall neu aufgerollt wird. Mit diesem Ergebnis hätte sie allerdings nicht gerechnet. Foto: NDR / Christine Schroeder

§ 362 Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten StPO regelt, dass nur unter sehr engen Voraussetzungen ein Täter für das gleiche Verbrechen ein zweites Mal, nach Freispruch, angeklagt werden kann. Lediglich mit einem Geständnis könnte das gelingen. Es soll verhindern, dass potentielle Täter bei jeder neuen Aussage, jedem neuen technischen Stand, wieder auf die Anklagebank gezerrt werden. Es soll Unschuldige schützen vor einem Leben als Verdächtiger. Aber Guido Wachs ist schuldig. Er hat ein Mädchen vergewaltigt und erwürgt.

Ein ruhiges Gespräch mit einem Sexualstraftäter

Analytikerin Katrin König versucht mit einer interessanten Idee, ihn zum Reden zu bringen: “Wenn ich normalerweise mit einem Sexualstraftäter zu tun habe, dann trage ich eine Waffe oder er trägt Handschellen, aber diese Situation ist einmalig. Wir alle wissen, dass sie Janina vergewaltigt und erwürgt haben, aber wir dürfen sie deswegen nicht festnehmen”, sagt sie. Und: “Sie können jetzt und hier das erste mal offen reden. Mit Menschen, die genau wissen, was sie getan haben.” Sie erhofft sich, dass er erleichtert ist, endlich befreit vom Leben mit einer Lüge. Doch das ist er nicht. Er fühlt sich im Recht.

Nach dem Gespräch ist klar: Da gab es noch einen zweiten Mord. Wüsste man, wer ermordet wurde, könnte man Wachs dafür anklagen. Die Komissare beginnen mit der Suche. Doch die Tat kann überall geschehen sein, in Rostock oder ganz Deutschland, im Ausland. Vielleicht wurde die Leiche nie gefunden, das Mädchen nie vermisst gemeldet, vielleicht hatte sie keine Freunde, niemand, der nach ihr suchte. Und so schlägt Katrin König einen Weg ein, der der gesetzestreuen Kommissarin gar nicht im Blut liegt. Sie fälscht Beweise. Das bringt sie zwar ihrem Kollegen Bukow näher, der ihre Art auf sein unlauteres Leben zu blicken, immer als herablassend empfand, doch es zeigt auch, zu was ein Mensch fähig ist, wenn er Ungerechtigkeit sieht.

Nur: Genau das macht auch den Krimi zu einem Krimi mit Happy End. Eine Drehbuchentscheidung, die zwar den Herzen der Zuschauer zugute kommt, die dann beruhigt in die Federn hüpfen können, weil wieder ein Polizeiruf für Ordnung auf den Straßen gesorgt hat, aber auch eine Entscheidung, die vermutlich, hoffentlich, eher fern der Realität ist. Denn nicht immer wird jedem Gerechtigkeit zuteil. Das ist schmerzhaft, aber wahr. Das zu thematisieren, wäre eine Drehbuchentscheidung gewesen, die den Polizeiruf zu einem Besonderen gemacht hätten.