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Polizisten im Opernhaus, Prinzen vor der Glotze: Spiegel TV sendet 70 Minuten Langeweile

In den vergangenen Monaten musste der Spiegel-Verlag eine Serie von bitteren Rückschlägen verkraften. Das Hamburger Medienhaus nahm nach nur einer Ausgabe „Spiegel Classic” vom Markt, ein Magazin für die ältere Generation. Die Verkaufszahlen sollen desaströs gewesen sein. Ähnlich niederschmetternd war die Resonanz auf „Spiegel Fernsehen”, eine neu entwickelte Programm-Zeitschrift. Die Regionalausgabe des „Spiegel” für Nordrhein-Westfalen wurde ebenfalls eingestampft. Seit Mai erscheint „Spiegel Daily”, eine Art kostenpflichtiges Abendblatt im Internet. Auch hier sind die Erfolgsaussichten ungewiss.

Zuletzt schlug dem „Spiegel” Spott entgegen, als das Nachrichtenmagazin seinen Lesern zum G20-Gipfel in Hamburg eine Titelgeschichte über gesundes Essen servierte. Für den Fernsehableger „Spiegel TV” ist 2018 ist Schluss. Zumindest in der bisherigen Form. Nach dreißig Jahren verliert das Format seinen Sendeplatz am Sonntagabend bei RTL. Zeit also, mal wieder „Spiegel TV” zu schauen, bevor die Sendung möglicherweise von der Mattscheibe verschwindet.

Eines vorweg: Wenn alle Ausgaben des Reportagemagazins so sind wie am gestrigen Abend, dann muss man „Spiegel TV” keine Träne nachweinen. Die ersten zehn der insgesamt 70 Minuten drehten sich um die Krawalle im Hamburger Schanzenviertel. Eigentlich eine gute Idee. Gut eine Woche nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels sind noch viele Fragen ungeklärt.

Wer waren die Randalierer? Erlebnishungrige Jugendliche und Partyvolk, wie Geschäftsleute aus dem Schanzenviertel beobachtet haben wollen? Oder Linksradikale? Warum wurden vergleichsweise wenige Randalierer festgenommen? Warum konnten sich rund 100 Leute im Stadtteil Altona völlig unbehelligt austoben? Wurden Polizisten gegenüber friedlichen Demonstranten gewalttätig, wie Augenzeugen behaupten? Warum wurde Journalisten die Akkreditierung entzogen? Genug Stoff also für investigativen Journalismus.

Doch Spiegel TV langweilte mit altbekannten Bildern und Statements. Zum hundertsten Mal sah man die verwackelten und unscharfen Aufnahmen von Menschen auf einem Hausdach. Hunderte Polizisten hockten bei Klassikklängen in der Elbphilharmonie – als Belohnung für ihren Einsatz bei den Hamburger Chaostagen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) inszenierten sich als entschlossene Schutzmacht der Ordnungshüter. Nur Demonstranten kamen nicht zu Wort. Erkenntnisgewinn gleich Null. Im Norden nichts Neues.

In der übrigen Stunde konnten die Zuschauer den Prinzen Harry und William dabei zuschauen, wie sie ihrer Großmutter beim radeln, reiten und repräsentieren zuschauten. Man sah die Queen mit Kindern, Pferden und Hundewelpen. „Die Queen privat – Hinter den Kulissen des Buckingham Palastes”, nannte sich der – nun ja – Dokumentarfilm.

Offenbar hatte ein Lakai in einer Abstellkammer des Schlosses alte Schmalspurfilme gefunden. Daraufhin versammelte sich die Königsfamilie vor der Glotze und kommentierte die Sequenzen mit solchen Sätzen:

Prinz William sagte über die Queen: „Sie ist bemerkenswert.”

Prinzessin Anne sagte über die Queen: „Sie war immer ein aktiver Mensch.”

Die Königin von Dänemark sagte über die Queen: „Sie ist auch sehr herzlich.

Und weil ein Kamerateam alles aufgezeichnet hat, konnte „Spiegel TV” damit seine Zuschauer beglücken. Wer schon einmal bei Verwandten Fotos vom letzten Spanien-Urlaub oder der Familien-Weihnachtsfeier anschauen musste, der weiß, wie aufregend das ist.

Irritierend war nur, dass fast alle Mitglieder der Königs-Mischpoke sehr traurig wirkten, während sie Filme von vorgestern schauten. Am Ende sagte Prinzessin Anne, die Tochter der Queen, den verstörenden Satz: „Die Queen behandelte ranghöhere Kinder immer anders, als rangniedere Kinder.” Dann lachte sie hilflos. Prinz Harry sagte: „Zieht das Ganze noch mehr in die Länge.” Genau das schien auch das Motto von „Spiegel TV” gewesen zu sein.

Doch vielleicht ist die Kritik völlig unberechtigt. Vielleicht war das gar kein Einschlaf-TV, sondern eine subversive Aktion der „Spiegel”-Journalisten: als Rache dafür, dass RTL ihnen den Sendeplatz gestrichen hat. So betrachtet muss man konstatieren: Operation gelungen. (fb)

Foto: Screenshot RTL