Porsche 911 Turbo S Coupé - Trotz Spiegelei-Lampen - dieser Neunelfer ist ein ewig junger Traum-Klassiker

Porsche baut seit 50 Jahren Neunelfer Turbos. Ein Highlight, das viele nicht auf dem Radar haben, ist der aufgeladene Turbo S der Baureihe 996: Trotz seiner 20 Jahre immer noch alltagstauglich, schnell, ausgewogen und vor allem ziemlich selten.

Wenn nur diese Spiegeleier nicht wären! Ja, über das Aussehen der Scheinwerfer des Porsche 911 der Baureihe 996 wird und wurde schon oft genug gelästert. Warum wir es erneut tun? Ganz einfach, weil der Porsche 911 Turbo S dieses Modells die gelungenste Variante mit diesem Antlitz ist. Stimmig und stämmig steht er da, der Top-Turbo, die Backen ausdrucksvoll, aber nicht zu dick aufgeblasen, die Lufteinlässe in den hinteren Kotflügeln markant, aber nicht so riesig, dass sie Augenkrebs verursachen. Ganz im Gegenteil. Kurzum: Dieser Porsche Turbo S ist auch nach 20 Jahren ein stimmiges modernes Auto. Sozusagen die rollende Inkarnation des Alphaville-Hits "Forever Young".

Porsche 911 (996): Finger weg von der Tiptronic

Daran ändert auch das Cockpit nichts, in dem trotz aller Versuche, dem Interieur mit Lederbezügen Noblesse einzuhauchen, Hartplastik allgegenwärtig ist. Zugegeben, das ist eine typische Mitte-2020er-Bemerkung. Damals war die Welt noch eine andere und wer einen Porsche bewegte, hatte weiß Gott Besseres zu tun, als ständig mit den Fingerspitzen über die Oberflächen des Mobiliars zu streichen.

Viel wichtiger: Darf es ein bisschen mehr sein? Diese Frage beantworteten im Herbst 2004 einige Fans des Porsche 911 Turbo mit einem inbrünstigen "Ja, bitte! Denn der Porsche Turbo S der Baureihe 996 legt gegenüber seinem S-losen Bruder noch einmal 22 kW / 30 PS und 60 Newtonmeter Drehmoment zu.

Das bedeutet also 331 kW / 450 PS und ein maximales Drehmoment von 620 Nm, das zwischen 3500 und 4500 U/min anliegt. Und das bei einem Gewicht von 1540 Kilogramm. Dementsprechend sind die Fahrleistungen: Von Null auf Hundert in 4,2 Sekunden, weitere 100 km/h sind nach insgesamt 13,6 Sekunden erreicht und erst bei 307 km/h gebietet der Luftwiderstand dem Toben Einhalt.

450 PS bei 1,5 Tonnen

Mit diesen Werten fährt der 20-jährige Senior noch Kreisel um die meisten selbst ernannten dicklichen Wohlstandsportler. Vom Kurvenräubern ganz zu schweigen. Aber davon später mehr. Wie es sich für einen Zuffenhausener Dynamikkünstler der damaligen Zeit gehört, heißt es beim Schalten „Selbst ist der Mann“. Sechs Gänge, handgerissen, grandios. Kenner wissen: Finger weg von der dynamikmordenden Tiptronic S.

Wohlfühlfaktor

Bei einem derart perfektionierten Triebwerk ist es mit der bloßen Leistungssteigerung nicht getan. Da muss alles zusammenpassen. Deshalb haben die Zuffenhausener Ingenieure zwei größere Turbolader auf den 3,6-Liter-Boxermotor gepackt, die Motorelektronik neu programmiert, optimierten Ladeluftkühler und Abgasanlage, damit die sechs Töpfe freier atmen können.

So viel Kraft hat natürlich weitere Konsequenzen: Die Gesamtfläche der Kühler beziehungsweise der Wärmetauscher ist beim Turbomotor gegenüber den 911er mit Saugmotor um mehr als 50 Prozent größer. Klar, dass das eine stärkere Kühlwasserpumpe und einen stärkeren Kühlerlüfter erfordert.

Porsche 911 serienmäßig mit Keramikbremsen

Bei so viel Dampf muss auch die Verzögerung dementsprechend zuverlässig sein. Der Turbo S verfügte schon damals serienmäßig über Keramikbremsen. Die sind allerdings verschleißanfällig und teuer zu ersetzen. Apropos: Mit einem Grundpreis von 142.248 Euro war das Turbo-S-Coupé kein Sonderangebot. Das Cabrio kostete mindestens 152.224 Euro, war also knapp 10.000 Euro teurer. Da dieser Power-Elfer nur bis 2006 tanzte (die Produktion endete bereits 2005), ist er dementsprechend rar: Lediglich 600 Coupés und 963 Cabriolets haben die Fabrikhallen verlassen.

Wir sitzen in einem der Coupés und fühlen uns vom ersten Meter an wohl. Die Sitzposition ist schnell gefunden und der Blick ruht freudig-beruhigt auf den fünf ineinander verschachtelten Rundinstrumenten mit dem Drehzahlmesser in der Mitte. Das ist ein klassischer Neunelfer, wie er im Buche steht. Kein digitales Anzeigen-Chichi. Analog und aufrichtig. Nur so viel vorweg: Diese Attribute werden uns die ganze Fahrt über begleiten. Und noch ein paar mehr.

Porsche 996: Freude an der Fahrdynamik

Kaum drehen wir mit der linken Hand den Zündschlüssel, erwacht der Boxer-Motor kehlig-rauchig zum Leben. Los geht's. Ein Kurvengeschlängel wartet. Klack. Der erste Gang rastet ein, klack, der zweite, klack, der dritte. Der kurze Schalthebel liegt gut in der Hand und lässt sich auf kurzen Wegen schnell durch die Schaltgassen führen. Toll wie präzise das Getriebe ist. Da stört auch die Kupplung, die relativ spät kommt, wenig. Zumal man sich schnell daran gewöhnt und es schon nach wenigen Kilometern in den Hintergrund tritt. Jenseits der 5000 Umdrehungen kreischt und sägt der Boxer-Motor so wohltönend-animierend, das man sich im akustischen Automobil-Nirwana wähnt.

Allradantrieb sorgt für Extra-Traktion

Die Freude an der Fahrdynamik steht bei diesem aufgeladenen 911er im Mittelpunkt und mit einem Porsche 911 sucht man die Strecke nach der Anzahl der Kurven aus und nicht nach dem kürzesten Weg. Der 996er Turbo S ist wie gemacht für diesen Quickstepp-Forte. Die präzise Lenkung ist unauffällig und daher richtig gut. Unglaublich, wie entspannt man in diesem Auto schnell ist und falls es doch mal eng wird, hilft der Allradantrieb mit viel Traktion. Nickligkeiten wie ein plötzlich ausbrechendes Heck sind dem Porsche fremd. Der 996er ist ein freundlicher Zeitgenosse, der seine Aktionen eindeutig und frühzeitig ankündigt. Der Turbo-Einsatz hat nichts von dem brachialen, urplötzlich einsetzenden Schub mit potenziellem Totengräber-Charakter des „Witwenmachers“ 930 Turbo. Beim 996er Turbo S kommt die Kraft der Lader progressiv und ist daher leicht beherrschbar. Auch nach modernen Maßstäben. Dieses Auto ist auch heute noch absolut alltagstauglich. Wer kann, sollte sofort zugreifen!

Von Wolfgang Gomoll