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Portugal zählt weltweit höchste Todes- und Infektionsrate – und wird zur "Warnung für andere Länder"

Das Land hat die höchste Rate an Neuinfektionen und Toten weltweit. Deutschland hilft dem EU-Partner mit Sanitätskräften, Feldkrankenbetten und Beatmungsgeräten.

Schlangen von Krankenfahrzeugen stehen vor dem Hospital Santa Maria in Lissabon. Da keine Betten mehr frei sind, müssen die Patienten in den Krankenwagen warten. Foto: dpa
Schlangen von Krankenfahrzeugen stehen vor dem Hospital Santa Maria in Lissabon. Da keine Betten mehr frei sind, müssen die Patienten in den Krankenwagen warten. Foto: dpa

Die Szenen, die sich in Portugal abspielen, markieren die schwärzesten Stunden des Landes in dieser Pandemie. Vor dem Hospital Santa Maria in Lissabon bildeten vor wenigen Tagen Krankenwagen eine lange Schlange, es waren Dutzende. Sie konnten ihre Patienten nicht einliefern lassen, weil keine Betten mehr frei waren.

Portugal hat sich vom Vorbild in der Virus-Prävention zu der Nation mit der weltweit höchsten Infektions- und Todesrate entwickelt. Mit seinen 10,3 Millionen Einwohnern verzeichnet Portugal einen Sieben-Tage-Mittelwert von 12.047 Fällen und 9498 Neuinfektionen am gestrigen Sonntag.

Experten sind sich einig, dass weniger Corona-Restriktionen über Weihnachten sowie die deutlich ansteckendere britische Virus-Variante für die dramatische Lage verantwortlich sind. „Die Lockerungen während Weihnachten waren dabei der geringere Faktor“, sagt der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Der wichtigste Grund war, dass wir sehr stark von der britischen Virusvariante betroffen sind. Portugal hat sehr enge Beziehungen zu Großbritannien und dieses Mal waren wir eine Art Eingangstor für die britische Variante in Kontinentaleuropa.“ In der vergangenen Woche sei die britische Virus-Mutation für die Hälfte aller Neuinfektionen in der Region Lissabon verantwortlich gewesen, im ganzen Land für ein Drittel.

Experten indes sehen die Probleme vor allem in den Lockerungen. „Portugal kann anderen Ländern als Warnung dienen, was passiert, wenn die Restriktionen zu früh gelockert werden“, sagt Pedro Simas, Virologe am Institut für molekulare Medizin der Universität Lissabon.

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Deutschland will dem südeuropäischen Land am Mittwoch zu Hilfe eilen. Die Bundeswehr plant, dem EU-Partner 26 Sanitätskräfte sowie 150 Feldkrankenbetten und insgesamt 50 Beatmungsgeräte zu stellen, teilte das Verteidigungsministerium am Montag den Obleuten im Bundestag mit. Die Hilfe solle in einem Krankenhaus erfolgen, zivil oder militärisch.

Anfang vergangenen Jahres hatte Portugal das Virus noch durch eine schnelle und strikte Abschottung gut in Schach gehalten. „Es gab in Portugal praktisch keine richtige erste Welle“, sagt Simas. Schulen, Bars und Diskotheken wurden geschlossen und Sportveranstaltungen abgesagt, noch bevor es den ersten Toten im Land gab. Über den Sommer blieb die Lage entspannt. Aber als im September die Schulen wieder öffneten und die Unternehmen nach den Ferien ihren vollen Betrieb aufnahmen, stiegen die Infektionen deutlich an.

Die Regierung verhängte einen leichteren Lockdown als im Frühjahr: Die Schulen blieben geöffnet und Geschäfte mussten nur an den Wochenenden ab mittags schließen. „Dieser teilweise Lockdown hat nicht richtig funktioniert“, so Simas. Die Neuinfektionen hätten sich zwar halbiert, seien aber nie unter 3000 am Tag pro 100.000 Einwohner im Siebentages-Durchschnitt gesunken.

Nach Weihnachten explodierten die Neuinfektionen

Dennoch hat die Regierung zu Weihnachten die Restriktionen gelockert und den Portugiesen etwa wieder erlaubt, sich im ganzen Land zu bewegen und ihre Familien zu treffen. Danach stiegen die Neuinfektionen rasant an. Mit dem heutigen Wissen „hätten wir die Zahl der Personen begrenzt, die sich an Weihnachten treffen durften“, räumte der portugiesische Premier António Costa vor zwei Wochen ein.

Dass die Lockerungen so drastische Folgen hatten, liegt auch an der britischen Virus-Mutation. Sie habe die dritte Welle zwar nicht verursacht, aber beschleunigt, erklärt Virologe Simas.

Inzwischen hat Costa drastische Maßnahmen ergriffen. Seit Mitte Januar gilt ein harter Lockdown, seit dem 22. Februar sind auch alle Schulen geschlossen. Die Landgrenze zu Spanien ist weitgehend zu und Portugiesen dürfen nur noch in begründeten Ausnahmen das Land verlassen. Auch das Ausland reagiert: „Neben Deutschland haben auch Österreich und Spanien haben Hilfe angeboten“, sagt der portugiesische Außenminister. „Das Gesundheitssystem ist unter großem Druck.“ Bislang könne es aber noch alle rund 800 Portugiesen, die Hilfe auf einer Intensivstation benötigen, bedienen; ebenso wie die rund 6000 Menschen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Schlangen der Krankenwagen gebe es inzwischen nicht mehr, weil 85 Prozent der Patienten darin keine Notfallversorgung gebraucht hätten. Das werde nun früher geklärt. „Aber ich will das Ausmaß der Lage nicht kleinreden - der Druck auf das System ist enorm“, so Augusto Santos Silva.

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Das portugiesische Gesundheitssystem war schon vor der Pandemie angeschlagen. In der vergangenen Wirtschaftskrise blieben nötige Investitionen aus und wurden auch im folgenden Aufschwung nur teilweise nachgeholt. „Das aktuelle Problem ist aber so groß, dass das Gesundheitssystem auch mit ausreichenden Investitionen an demselben Limit angekommen wäre, das wir jetzt sehen“, sagt Joao Cesar das Neves, Ökonom von der Katholischen Universität in Lissabon.

Düstere Aussichten für die Wirtschaft

Die Lage kostet nicht nur Tausende Menschenleben, sie verdüstert auch die Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung des einstigen Euro-Krisenlandes. Schon kursieren Szenarien, wonach Portugals Wirtschaft in diesem Jahr erneut schrumpft. Die Katholische Universität Lissabon geht von einem Minus von zwei Prozent aus und macht dafür den erneuten harten Lockdown verantwortlich. Zuvor hatte sie noch ein Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr erwartet.

Der Lockdown gilt vorerst bis zum 14. Februar. „Aber es ist offensichtlich, dass das nicht reichen wird. Alle gehen davon aus, dass er bis März oder sogar noch länger anhält“, sagt Ökonom das Neves. Die Zahlen für 2020 legt das Land am Dienstag vor. Die EU-Kommission erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 9,3 Prozent.

Ähnlich wie in den meisten EU-Ländern haben Kurzarbeitsprogramme Jobs gesichert und staatlich garantierte Kredite den Unternehmen die nötige Liquidität bereitgestellt. „Die Frage ist aber, was passiert, wenn die Programme auslaufen“, sagt das Neves. „Die Angst ist groß, dass wir dann eine Flut von Insolvenzen sehen und auch das Finanzsystem in Probleme geraten könnte.“ Für Portugal kommt die heftige Krise politisch zur Unzeit: Das Land hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.

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