Präsidentschaftswahl mit Influencern - Lieber Content Creator als Journalisten: Demokratin Harris bringt Wahlkampf auf ein neues Level
Über 200 Content-Ersteller berichteten vom Parteitag der US-Demokraten. Harris setzt auf die wohlgesinnte Follower-Power von Influencern auf TikTok, YouTube, Instagram, Discord und Twitch. Was für ein Schachzug! Rhetorik - und Kommunikationsprofi Michael Ehlers analysiert diese Strategie.
Für den direkten Draht zu einer jungen Zielgruppe, die über die klassischen Medien nur noch sehr schwierig oder gar nicht zu erreichen ist, nahmen die PR-Spezialisten der Demokraten dabei sogar in Kauf, dass sich die Arbeitsbedingungen der akkreditierten Print- und TV-Journalisten massiv verschlechterten.
Diese mussten sich Platz, Zeit und Zugang zu den Protagonisten mit den Influencern teilen. Bei Letzterem wurden die Influencer sogar bevorzugt, sie bekamen im Gegensatz zu den Journalisten Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit den führenden Persönlichkeiten der Partei. Sie bekamen dafür eine Creator-Lounge, in der sie ihre Videos produzieren konnten. Und die Influencer nutzen ihre Chance.
Da ist ein 12-Jähriger, der unter dem Namen Knowa postet, oder ein Veteran aus dem ländlichen North Carolina mit mehr als 5 Millionen TikTok-Followern, der verkündete, er sei ein „Hillbilly für Harris“. Influencer und Social-Media-Persönlichkeiten teilten alles, vom Essen, das an den Trucks vor dem United Center angeboten wird, bis hin zu den Gedanken der Teilnehmer zu ernsten Themen, wie dem Krieg in Gaza.
Die Demokraten setzten erkennbar auf einen direkten und ungefilterten - im Zweifelsfall aber auch unredigierten und keinen journalistischen Standards verpflichteten - Zugang zu Wählerschichten, die ansonsten schwer erreichbar sind. Und die für die Botschaften der klassischen Medien - zumal politische Botschaften - immer weniger empfänglich sind.
Die eingeladenen Influencer dagegen genießen bei ihren Followern hohe Glaubwürdigkeit. Authentizität ist eines der wertvollsten Pfunde eines Influencers und Grundlage seines Erfolgs. In der Wirtschaft zahlen Firmen beim sogenannten Influencer-Marketing für eben diese Glaubwürdigkeit horrende Summe. Ein gesponserter Post von Cristiano Ronaldo auf Instagram kann fast eine Million Dollar kosten. Beim DNC machen die Influencer es für die “gute Sache”.
Die Strategie der Demokraten ist aus meiner Sicht die Weiterentwicklung einer bisher für die Republikanern sehr erfolgreichen Vorgehensweise. Die setzten bereits ab ca. 2010 vor allem auf sogenannte alternative Medien, spätestens seit Steve Bannon im März 2012 die Website Breitbart.com übernahm wurde offensichtlich, dass es von nun an darum ging, die etablierten Medien mehr und mehr aus ihrer Rolle als exklusiver Nachrichtenlieferant zu drängen.
Konservative, den Republikanern nahestehende Persönlichkeiten gründeten einfach eigene sogenannte Nachrichtenseiten, so wie beispielsweise Ben Domenech die Seite “The Federalist”. Die für die beschriebene Strategie exemplarische Seite ging 2013 online und ist in konservativen Kreisen immer noch sehr erfolgreich. Die aktuelle Headline zum Zeitpunkt der Niederschrift: “Der DNC war eine einzige lange Litanei dummer, offensichtlicher Lügen“. Es geht also darum, die eigenen Inhalte ohne Filter und Faktenchecks an den Mann und an die Frau zu bringen.
Dazu mussten zunächst die klassischen Medien aus dem Prozess ausgeschlossen werden, indem man sich von ihnen unabhängig machte. Donald Trumps Gründung seines eigenen Sozialen Netzwerks TRUTH Social markierte dabei den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung.
Bekannt für Gay-News auf Instagram: Josh Helfgott sagt, er sei "sehr parteiisch“
Die Demokraten gehen diesen Weg nun - mit geringem Risiko - weiter. Denn Seiten wie Breitbart, The Federalist oder tuckercarlson.com müssen vom User aktiv angeklickt werden. Zudem sind manche Inhalte kostenpflichtig. Die Inhalte, die die von den Demokraten eingeladenen Influencer produzieren kommen direkt, kostenlos, inhaltlich ungefiltert und bequem als zielgruppengerecht aufbereitete Häppchen in die Timeline der User. Und diese Häppchen sind ganz im Sinne der Demokraten. „Ich bin sehr parteiisch“, sagte beispielsweise LGBTQ-Influencer Josh Helfgott. „Es steht außer Frage, dass die eingeladenen Autoren Kamala unterstützen, zumindest alle, die ich getroffen habe.“
Helfgott hat auf Instagram etwa 599.000 Follower, auf TikTok erreicht er über 5,5 Millionen Follower. Sein letzter Post auf Instagram vom Parteitag gefiel über 60.000 Usern.
Alles, was die PR-Spezialisten der Demokraten dafür tun mussten: die richtige Auswahl der Influencer treffen und es zu ermöglichen, dass die Auserwählten die passenden Bilder produzieren konnten. Die Influencer-Strategie ist ein genialer Schachzug der Demokraten und hebt die republikanische Strategie, etablierte Medien außen vor zu lassen, auf ein neues Level. Günstiger und direkter kann Wahlwerbung kaum sein.