Keine Annäherung zwischen Bund und Ländern vor Flüchtlingsgipfel
Schwierige Suche nach einem Kompromiss zur Flüchtlingspolitik: Die Länder gehen geschlossen mit der Forderung nach mehr Geld in den Gipfel am Mittwoch, in der "Ampel" war dagegen bis zuletzt keine einheitliche Haltung erkennbar. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erwartet das "Signal", dass Bund und Länder die belasteten Kommunen unterstützen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr geht davon aus, "dass nicht über mehr Geld gesprochen wird". Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, Bund und Länder würden darüber reden, was dieses Jahr "noch erforderlich ist und auch möglich ist".
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warf der Bundesregierung vor, sie habe in den vergangenen Wochen "eine Informationskampagne eröffnet" und mit Zahlen gearbeitet, "die in vielerlei Hinsicht angreifbar sind". Wenn die Zahl Asylsuchender steige, müsse sich auch der Bund mehr beteiligen, sagte Weil am Montagabend im ZDF-"heute journal".
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte dem RBB, es müsse "alles dafür getan werden, dass die Kommunen nicht überfordert werden". Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte den Funke-Zeitungen: "Die finanzielle anteilige Beteiligung muss dynamisch sein, denn auch die Flüchtlingszahlen sind dynamisch."
Die Forderung nach einem solchen "atmenden System" wird geschlossen von allen 16 Bundesländern erhoben. Der Bund soll einem Länder-Beschlussvorschlag zufolge die Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete vollständig erstatten sowie eine "allgemeine, flüchtlingsbezogene monatliche Pro-Kopf-Pauschale" zahlen. Die bisher für 2023 zugesagten Bundesmittel von 2,75 Milliarden Euro reichten nicht aus.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in Berlin, sie hoffe auf eine Einigung mit den Ländern. Diese müsse "im Sinne der Kommunen" ausfallen, die "sehr stark belastet" seien.
Scholz betonte die Notwendigkeit schnellerer Asylverfahren. Nötig seien eine bessere Digitalisierung der Ausländerbehörden und ausreichend Stellen für Verwaltungsrichter, sagte der Kanzler in Straßburg. Zudem müsse die schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber Ziel der Bund-Länder-Gespräche sein.
Der Kanzler setzt auch auf Änderungen in der EU-Asylpolitik, um die Zuwanderung zu begrenzen. Er hofft auf eine Reform noch in dieser Legislaturperiode des Europaparlaments, die im Juni kommenden Jahres endet. Scholz sprach sich "für gemeinsame Verfahren an den Grenzen" der EU aus.
Grünen-Chefin Ricarda Lang plädierte dafür, dass Flüchtlinge in Deutschland schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Ein solches Vorgehen "fördert die Integration der Geflüchteten, hilft Unternehmen, die händeringend Arbeits- und Fachkräfte suchen, und entlastet die öffentlichen Kassen", sagte Lang der Nachrichtenagentur AFP.
Die FDP will bei dem Flüchtlingsgipfel den Fokus auf eine "Wende" in der deutschen Migrationspolitik legen. Als zentrale Punkte nannte Fraktionschef Dürr beschleunigte Asylverfahren, eine "konsequentere Abschiebepolitik" und eine Diskussion darüber, ob die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erweitert werden solle.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte, dass die Kommunen am Mittwoch "faktisch nicht am Tisch" säßen. Der Gipfel komme angesichts der gewaltigen Probleme und Herausforderungen "viel zu spät". Bartsch nannte das Vorgehen der Ampel-Koalition "beschämend".
Verdi-Chef Frank Werneke erklärte, die Kommunen "brauchen umfassende Unterstützung sofort". Der Paritätische warnte vor massiven Verschärfungen zulasten der Flüchtlinge und forderte Integration und Zugang zum Arbeitsmarkt "von Anfang an".
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl erklärte, Beschlussentwürfe für den Flüchtlingsgipfel ließen "Schlimmes erahnen". Der Bund setze wie die frühere große Koalition auf sogenannte Anker-Zentren und sichere Herkunftsstaaten, außerdem auf längere Abschiebungshaft und stärkere Abschottung an den Außengrenzen, so die Kritik.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte in Berlin, noch wichtiger als die Frage nach mehr Geld für Länder und Kommunen sei die Begrenzung illegaler Migration. Der CDU-Politiker sprach von einer "Verweigerung der Bundesregierung, die Flüchtlingszahlen unter Kontrolle zu bringen". Die logische Konsequenz daraus sei, dass sie dann mehr für Flüchtlinge zahlen müsse, so Merz.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla sagte mit Blick auf die Rufe nach Grenzsicherung in Europa und auch in Deutschland, dies sei eine "Ur-Forderung der AfD". Es gelte aber abzuwarten, was letztendlich tatsächlich umgesetzt werde.
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