Problematischer TikTok-Trend - Sexologin sagt, warum es vermehrt erwachsene Jungfrauen und -männer gibt

Männer neigen dazu, bei ihrem Body Count zu schummeln und eine höhere Zahl anzugeben, sagt Sexologin Beatrice Roidinger.<span class="copyright">Getty Images/Photography and Design by Demi Cambridge</span>
Männer neigen dazu, bei ihrem Body Count zu schummeln und eine höhere Zahl anzugeben, sagt Sexologin Beatrice Roidinger.Getty Images/Photography and Design by Demi Cambridge

Mit wie vielen Menschen waren Sie schon im Bett? Ist diese Frage zu privat? Auf Social Media ist sie unter dem Begriff Body Count zum Alltag geworden. Was daran problematisch ist und was das über unsere Gesellschaft aussagt, erläutert die Sexologin und Paarberaterin Beatrix Roidinger.

Wofür steht der Body Count?

Ursprünglich ein militärischer Begriff, bezeichnet der 'Body Count' – oder auf Deutsch 'Körperanzahl' – die Zahl der im Krieg getöteten Gegner. Heute hat der Ausdruck eine ganz andere, ebenso makabere Bedeutung angenommen: Er zählt, mit wie vielen Personen jemand Geschlechtsverkehr hatte. Ein Body Count von acht bedeutet also, dass jemand acht verschiedene sexuelle Begegnungen hatte

„Mit 18 habe ich aufgehört zu zählen“

Unter dem Hashtag #Bodycount kursieren auf TikTok unzählige Videos, in denen sich Jugendliche mit ihren sexuellen Erfahrungen profilieren. Nutzer vergleichen die Anzahl ihrer Sexualpartner miteinander und bewerten, welcher Body Count bis zu welchem Alter erreicht werden sollte. Gefragt nach dem Body Count fallen Aussagen wie: „Mit 18 habe ich aufgehört zu zählen, so 165 vielleicht“ oder „von welchem Tag?“

„Echter Spritzer“ versus „Schlampe“

Dabei werden jedoch große Unterschiede bei der Bewertung des Body Count zwischen Frauen und Männern gemacht. Männer werden für eine hohe Anzahl an Sexpartnerinnen als „echter Spritzer“ oder „toller Hecht“ gefeiert und spornen sich sogar noch gegenseitig an. Frauen hingegen werden für das freie Ausleben ihrer Sexualität verurteilt und als Huren oder Schlampen degradiert.

Warum Männer bei ihrem Body Count schummeln

Männer neigen dazu, bei ihrem Body Count zu schummeln und eine höhere Zahl anzugeben. Männlichkeit wird schließlich in den meisten Kulturen mit sexueller Eroberung und einer hohen Anzahl von Sexualpartnerinnen gleichgesetzt.

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Es gilt: Je höher der Body Count, desto potenter und attraktiver ist er. Er hat es geschafft, Frauen zu verführen. Also, mehr sexuelle Erfahrung steigert bei Männern das soziale Ansehen - vor allem in der Männergemeinschaft. Es verleiht sozusagen dem Selbstwertgefühl einen extra Push.

Wie viele Sexpartner sind bei einer Frau noch „in Ordnung“?

Eine geringe Anzahl an Geschlechtspartnern bei Frauen wird von den meisten Männern bevorzugt. Deswegen geben Frauen tendenziell weniger Sexualpartner an, als sie in Wirklichkeit hatten. In diversen Beiträgen und Artikeln wird sogar ernsthaft darüber diskutiert, wie viele Partner bei einer Frau noch als „vertretbar“ angesehen werden können. „Der Marktwert einer Frau sinkt mit der Anzahl ihrer Body Counts“ heißt es zum Beispiel in einem TikTok-Video, in einem anderen: „mehr als zwei Geschlechtspartner gehen bei einer Frau nicht.“

 

Männer sind oft unsicher und empfinden Konkurrenz

Männer, die unsicher sind, haben oft Panik vor entsprechend „erfahrenen“ Frauen. Sie fühlen sich unterlegen oder haben Angst, dass die vorherigen Sexualpartner der Frau womöglich besser im Bett waren, länger durchhalten konnten oder einen größeren Penis hatten.

Backlash: Vermitteltes Rollenbild ist total veraltet!

Auf TikTok und Instagram finden sich auch Straßenumfragen, in denen Männer aufgefordert werden, den Body Count einer fremden Frau anhand ihres Aussehens zu erraten. Es wird schlicht bewertet, wie „leicht sie zu haben ist.“ All das führt nicht nur zu einer Stigmatisierung von Frauen, sondern auch zu einem völlig veralteten Rollenbild.

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Frauen sollen brav und anständig sein, während Männer die Jäger sind, die ihre „Beute“ stolz zur Schau stellen - ein besorgniserregender Backlash in Zeiten, in denen (sexuelle) Gleichberechtigung selbstverständlich sein sollte.

Gleiche Rechte für Männer und Frauen bei alle sexuellen Vorlieben

Im Gegensatz zu auf vermittelten Werten TikTok gibt es keine „richtige“ oder „falsche“ Anzahl an Sexpartnern - und schon gar nicht hat das etwas mit dem Geschlecht zu tun. Menschen sind schließlich verschieden und weisen unterschiedliche Vorlieben auf. Allgemein und besonders in der Sexualität.

Promiskuitiv vs. monogam

Es gibt sowohl Frauen als auch Männer, die nicht monogam leben wollen und die sich bewusst für ein promiskuitives Leben entscheiden. Andere wiederum favorisieren die serielle Monogamie, leben also mehrere Beziehungen im Laufe eines Lebens. Ebenso gibt es Menschen jeden Geschlechts, die Sexualität nur mit einem Menschen und in einer Liebesbeziehung leben wollen.

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In einer freien, liberalen Welt sollte es ohne moralische Verurteilung möglich sein, Sexualität so auszuleben, wie man das individuell mag: wann, wie, mit wem und wie oft. Vorausgesetzt natürlich alle Beteiligten handeln im Konsens miteinander.

Sammeln von sexuellen Begegnungen ist keine Sportart

Sex ist kein Sport, bei dem es um Quantität geht. Im Vordergrund steht die Qualität der Begegnungen. Auch bei kurzfristigen Begegnungen ist es deswegen wichtig, achtsam und wertschätzend miteinander umzugehen und die unterschiedlichen Bedürfnisse zu respektieren. Das Streben nach einem hohen Body Count kann also schnell in ein konsumistisches Verhalten abdriften, das die andere Person als reines Mittel zum Zweck sieht.

Erwachsene Jungfrauen und Jungmänner werden zahlreicher

Außerdem verursacht das Ansinnen, möglichst viele sexuelle Erlebnisse mit möglichst vielen verschiedenen Menschen zu haben, Druck und Stress. Deshalb trifft man heutzutage vermehrt auf Männer und auch Frauen, die jenseits der 20 oder sogar noch älter sind und noch keine sexuellen Erfahrungen haben. Der hohe Druck sorgt dafür, dass sich die jungen Menschen zurückziehen.

Fakt ist: Eine richtige Anzahl an Sexpartnern gibt es nicht. Jeder muss selbst wissen, womit er oder sie sich wohlfühlt. Für die Entwicklung einer gesunden und erfüllenden Sexualität ist es wichtig, sich von keinen fragwürdigen Trends unter Druck setzen zu lassen.