„Anhaltende Wachstumsschwäche“ - Ökonomen reden Klartext: Was die Ampel jetzt tun muss, um unsere Wirtschaft zu retten

Wenn es ernst wird, verhandeln die drei Spitzen der Koalition unter sich. (Archivbild)<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Wenn es ernst wird, verhandeln die drei Spitzen der Koalition unter sich. (Archivbild)Kay Nietfeld/dpa

Die aktuellen Konjunkturindikatoren deuten auf eine anhaltende Wirtschaftsflaute in Deutschland hin. Drei renommierte Ökonomen erläutern für FOCUS online, welche Bedeutung die Daten haben und welche dringenden Maßnahmen nun erforderlich sind.

Erst vermelden die amtlichen Statistiker einen Rückgang der Wirtschaftsleistung, dann folgt mit den Konjunkturerwartungen des ZEW direkt die nächste Schrecksekunde für Deutschlands Konjunktur – um happige 22,6 Punkte stürzte der wichtige Frühindikator ab.

Einen derartigen Rutsch verzeichneten die Mannheimer Forscher des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zuletzt im Juli 2022. Damals kochte die Energiepreis-Krise im Zuge der russischen Invasion der Ukraine erst richtig hoch.

Das Konjunkturbarometer notiert damit bei 19,2 Punkten. Der Lageindikator ist indes um weitere 8,4 Punkte gefallen und rangiert mit minus 77,3 Zählern weit im negativen Bereich.

Der wirtschaftliche Ausblick für Deutschland bricht ein. "In der aktuellen Umfrage beobachten wir den stärksten Rückgang der Konjunkturerwartungen in den vergangenen zwei Jahren“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach die Erhebung.

Was heißt das für die ohnehin aus dem Tritt geratene Konjunktur in Deutschland? FOCUS online hat dazu mit drei renommierten Ökonomen gesprochen.

Michael Hüther – der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)

„Die jüngsten ZEW-Konjunkturerwartungen sind stark von der Börsenkorrektur der letzten Woche geprägt, bewegen sich aber noch deutlich oberhalb der Nulllinie für den Saldo der positiven und negativen Meldungen“, erklärt der Volkswirt Michael Hüther.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.Michael Kappeler/dpa

 

Eine unerwartete Aufwertung des japanischen Yen, welcher sogenannte Carry-Trader zum Auflösen ihrer Positionen zwang, gepaart mit mauen Konjunkturdaten aus den USA und einer generellen Nervosität, hatten die Börsen vergangene Woche ins Chaos gestürzt. Allerdings beruhigten sich die Märkte nach diesem kurzzeitigen Crash schnell.

Für Hüther bleibt es damit „bei unserem Bild einer anhaltenden Wachstumsschwäche“. Die Gründe dafür sieht der Volkswirt vor allem in zögerlichen Investoren. Ebendiese haben „noch kein Zutrauen in die Weltwirtschaft einerseits und die heimische Wirtschaftspolitik andererseits“.

Achim Wambach – der Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

Auch Ökonom Wambach halt die Wachstumsaussichten für mau. Jedoch werde sich Deutschland auch aus dieser Konjunkturdelle erholen. „Die Transformation, die vor der deutschen Wirtschaft liegt, ist aber gewaltig. Dafür sind die Weichen noch nicht richtig gestellt“, so Wambach.

Der Volkswirt verweist zudem darauf, dass die Aussichten nicht nur in Deutschland trüb seien. „Die ZEW-Erwartungen für den Euro-Raum insgesamt sind stark zurückgegangen.“ Die Gründe sieht der Volkswirt vor allem jenseits des Atlantiks, mit schwachen Geschäftszahlen aus den USA sowie der Unsicherheit über die Geldpolitik dort.

Achim Wambach, Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), bei einer Pressekonferenz im Institut.<span class="copyright">picture alliance / dpa</span>
Achim Wambach, Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), bei einer Pressekonferenz im Institut.picture alliance / dpa

 

Letztgenannter Punkt gelte aber auch für die EU. Zudem würde das Risiko einer Eskalation der Konflikte in Nahost und der Ukraine die Stimmung belasten.

Für Wambach beweise der Einbruch der Konjunkturerwartungen, dass "die Wachstumsinitiative der Bundesregierung noch nicht gezündet hat“. Darum fordert er ein „zügiges Verfahren im Parlament mit einer Stärkung der Wirtschaftsimpulse“.

Veronika Grimm – Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Am drastischsten drückt es die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm gegenüber FOCUS online aus: „Das Produktionspotential ist aktuell auf historischem Tiefstand und wird nur steigen, wenn die Politik die richtigen Weichenstellungen vornimmt.“

Grimm sagt klar: „Das Arbeitsvolumen muss steigen, das Investitionsumfeld muss berechenbarer und attraktiver werden und es braucht eine größere Innovationsdynamik.“ Was die Politik dafür tun müsste, wäre aber unbeliebt, so Grimm. „Aktuell suggeriert man der Bevölkerung lieber, es könne ohne größere Einschnitte so weitergehen.“

Für die Volkswirtin hieße das: Die Mobilisierung von Frauen, von Alten und Personen im Transfersystem, sowie durch Zuwanderung und der Reduktion von Feiertagen. „Das ist unpopulär, und nicht nur in Deutschland.“

Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm spricht auf einer Pressekonferenz.<span class="copyright">Bernd von Jutrczenka/dpa</span>
Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm spricht auf einer Pressekonferenz.Bernd von Jutrczenka/dpa

 

Zudem erklärt Grimm, dass Investitionen nur kommen, wenn klimafreundliche Geschäfte in Deutschland auch wirklich profitabel seien. Doch die Politik verzettele sich her in vielen Förderprogrammen, statt eine klare Linie zu fahren. Doch Investoren können sich nicht auf die Programme verlassen, „von denen sie nicht wissen, ob die Politik sie durchhält oder die nächste Regierung sie weiterführt“.

Innerhalb der Regierung gebe es zudem das Problem, dass die Koalitionspartner „inkompatible Vorstellungen von Wirtschaftspolitik“ hätten. So blockiere sich die Ampel selbst.

Grimms Rat an Berlin: „Wenn man weiterkommen will, müsste man zum Beispiel die Tragfähigkeit der Rentenversicherung herstellen, eine klare, marktorientierte Linie in der Klimapolitik verfolgen und die notwendigen Investitionen im Verteidigungsbereich nutzen, um die heimische High-Tech-Rüstungsindustrie zu stärken und so auch Spillovers auf andere Innovationsfelder zu generieren.“