Produktivität sinkt, Arbeitsvolumen steigt - Von Technologie bis Politik: Fünf wesentliche Faktoren hinter dem Wirtschaftsabschwung
Die deutsche Wirtschaft ist im Abschwung und es drohen ökonomisch schwierige Zeiten, die sich auch massiv auf die Gesellschaft auswirken könnten. Der Wirtschafts- und Sozialforscher Andreas Herteux geht auf die bedrohliche Entwicklung ein und warnt vor ihren schwer kontrollierbaren Folgen.
Warum befindet sich die deutsche Wirtschaft 2024 im Abschwung?
Die deutsche Wirtschaft befindet sich nicht erst seit 2024 im Niedergang, sondern der aktuelle Zustand ist lediglich die Folge eines sehr langen sowie negativen Entwicklungsprozesses, mit leichten Schwankungen, der spätestens zwischen den Jahren 2007 bis 2010 begann und sich immer weiter, sei es auf ökonomischer, politischer, gesellschaftlicher oder technologischer Ebene, fortsetzte.
Die eigentliche Zäsur ist damit eine eher unbemerkte und oft unverstandene. Während der Finanz- und Eurokrise sanken in Deutschland die Investitionen deutlich. Beispielsweise war 2009 ein starker Rückgang von 25 Prozent zum Vorjahr zu verzeichnen. Vereinfacht gesagt gestaltete sich die Lage, auch durch die politischen Entscheidungen der damaligen Regierung Merkel, so unsicher, dass viele Unternehmen die Schlüsseltechnologien wie Digitalisierung und Automatisierung nicht weiterentwickelten, während die Konkurrenz, insbesondere aus Asien, diesen Fehler nicht machte und auch die USA, nach anfänglichem Taumeln, sich massiv neu orientiert haben.
Nun wirkt sich solch ein fehlendes Engagement nicht unmittelbar aus, denn man profitierte noch einige Jahre und im Grunde genommen auch noch teilweise heute von den Leistungen der Vergangenheit. Gerade in manchen Exportindustrien werden Aufträge bekanntlich über viele Jahre abgewickelt, und Versäumnisse sind tendenziell eher langfristig zu spüren.
Mittlerweile allerdings wird diese Lücke, die sich auch in späteren Jahren nicht mehr schließen ließ, bei deutschen Produkten immer offensichtlicher. Die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Fehler, die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen, haben demnach dazu geführt, dass die Konkurrenz auf den Weltmärkten Deutschland teilweise überholt hat. Zudem gab es bei der gescheiterten Aufholjagd der folgenden Jahre weitere Fehleinschätzungen.
Gibt es noch weitere Faktoren, die langfristig zur aktuellen Entwicklung beigetragen haben?
Ja, die gibt es, denn eine Transformation, aus deutschem Blickwinkel keine positive, hat nie eine monokausale Ursache, sondern es gibt immer verschiedene Elemente, die sich stetig dynamisch gegenseitig beeinflussen. Zweifelsfrei sind sie nicht weniger bedeutend als die bereits genannten.
Sind diese stark genug, lösen sie einen Zeitenwandel aus, der die globalen Kräfte neu ordnet, und genau das geschieht seit Jahren, wobei der Prozess noch nicht abgeschlossen ist.
Ein zweiter wesentlicher Faktor ist daher die gesellschaftliche Entwicklung. Die deutsche Gesellschaft war bereits in den 2010ern in beachtlich viele kleine Lebenswirklichkeiten gesplittert, die alle ihre ureigenen Werte und Vorstellungen davon haben, wie das Dasein richtig zu führen ist. Linke, rechte, postmaterielle Werte – die Saat war gelegt. Allerdings gab es nur langsam anschwellende Milieukonflikte. Ein imaginärer Vulkan, bei dem eine Eruption absehbar war, aber noch nicht erfolgte.
Bereits damals gab es Einstellungen, die letztendlich unvereinbar waren und zwangsläufig langfristig in Milieukämpfen münden mussten. Solange die Politik diese Interessen in Balance hielt, waren sie unter Kontrolle, allerdings verlor sich dieser Versuch spätestens in dem Zeitraum, in dem postmaterielle Inhalte, fälschlicherweise als „Linksruck“ interpretiert, eine dominante Rolle einnahmen. Es gab ab einem gewissen Zeitpunkt daher niemals einen Zweifel, wie die Zukunft aussehen würde.
Das betrifft, um zum eigentlichen Thema zurückzukommen, auch den Sinn und die Einstellung zum Thema Arbeit. Selbstentfaltung und Arbeitsethos mögen in der Theorie vereinbar sein, in der Praxis sind sie es nicht. Nicht in jeder Lebenswirklichkeit nimmt der Komplex „Arbeit“ einen hohen Stellenwert ein. Die Ideale veränderten sich, und das nimmt auch Einfluss auf die wirtschaftlichen Wirklichkeiten. Die Welt, in der das Erlernen und die Ausübung einer Tätigkeit eine Norm darstellte, existiert für einen Teil der Milieus nicht mehr.
Zu jener Zeit wurden diese Befürchtungen nicht ernst genommen, heute sind sie Realität, und niemand würde diese Gegensätze, die in Wirklichkeit weitaus vielfältiger sind, als sie erscheinen mögen, mehr leugnen.
Welche weiteren Einflussfaktoren müssen unbedingt genannt werden?
Damit wären wir beim dritten Faktor, dem technologischen Fortschritt, der diese Entwicklung zweifellos befeuert und dynamisiert hat. Insbesondere die Digitalisierung ist ein Individualisierungsfaktor, der zur stetigen Milieu- und Lebenswirklichkeitsbildung beiträgt und auch noch durch Migration befeuert wurde. Wir wissen daher heute nicht einmal, wie viele davon bestehen.
Wir suggerieren und simulieren in dieser Hinsicht Steuerung sowie Wissen. Geheuchelte Kontrolle ist aber nur eine Illusion, die nur zur allgemeinen Beruhigung beitragen soll. An dieser Stelle ist mit Vorsicht zu walten, dass am Ende nicht nur Zynismus als Stilmittel bleibt, der letztendlich nur über die eigene Hilflosigkeit hinwegtrösten soll.
Der vierte Bereich, der sich eine Nennung redlich verdient hat, ist der politische. Politische Entscheidungen sind in einer Demokratie das stetige Ringen um den bestmöglichen Kompromiss. In schwierigen Zeiten wurde dieses Prinzip durch das Ultima Ratio der Alternativlosigkeit ersetzt. Kritik daran wurde lange Zeit marginalisiert, und der Glaube, im Sinne Oswald Spenglers, an eine Zwangsläufigkeit ist schlicht töricht.
Ein Weg, der eingeschlagen werden kann, aber nicht fehlen darf. In der Realität erwies sich die zarte Andeutung „fehlen“ als ein Euphemismus, der katastrophale Ergebnisse zeugte.
In der Geschichte spielt es keine Rolle, ob es an Investitionen in Forschung und Entwicklung oder an der in Menschen fehlt – das Ergebnis gleicht dem Wasser, das sich seinen Weg sucht. Erst aufgehalten, immer höhlend und am Ende stets durchbrechend.
Selbstverständlich wären auch noch weitere Elemente zu nennen; die Liste ist von der Migrationspolitik bis zur Klimaentwicklung sicher lang; die sich alle, einschließlich der bereits genannten, dynamisch gegenseitig beeinflussen, allerdings würde das den Rahmen sprengen.
In der Summe gibt es daher viele Faktoren, die auf die deutsche Wirtschaft eingewirkt haben und wirken. Manche sind steuerbar, andere unterlagen und unterliegen den Gesetzmäßigkeiten der Geschichte. Das Ergebnis ist bedauernswert, allerdings nicht so final, dass man sich nicht dagegen erwehren und es korrigieren kann.
Zurück in das Jahr 2024. Hier gibt es interessante Zahlen des IAB, die ebenfalls kein gutes Licht auf die deutsche Wirtschaft werfen.
Die angesprochenen Untersuchungen sind am Ende nur ein weiterer Indikator von vielen. Die vorgenommene Einschätzung wird von einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchaus gestützt.
Das ist ein aktueller Indikator. Einer von so vielen. Relativ neue Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen deutlich, dass die Produktivität pro Arbeitsstunde sinkt, während das Arbeitsvolumen insgesamt steigt. Obwohl die Arbeitnehmer mehr arbeiten, führt dies nicht zu einer proportionalen Steigerung der Wirtschaftsleistung. Es stellt sich die Frage, warum der Produktivitätsrückgang trotz intensiver Arbeitsleistung weiter anhält und welche Faktoren dazu beitragen.
Die Antwort liegt in der Diskrepanz zwischen der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden und der Effizienz, mit der diese Stunden in wirtschaftliche Produktion umgewandelt werden. Während die Arbeitsstunden leicht gestiegen sind, ist die Produktivität pro Stunde in den letzten Jahren gesunken. Dies deutet darauf hin, dass zusätzliche Arbeitsstunden nicht ausreichen, um den Rückgang in der Effizienz der Arbeitsprozesse auszugleichen. Der technologische Fortschritt und die Anpassung der Arbeitsbedingungen konnten die Effizienz in vielen Branchen nicht steigern.
Was sind die Hauptgründe für den Wirtschaftsabschwung trotz gestiegener Arbeitsstunden?
Die langfristigen Faktoren wurden bereits genannt: Es gab eine wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Entwicklung, bei der es kein politisches oder sonstiges Korrektiv gab.
Nimmt man nur die temporäre Entwicklung, dann sind die temporären sowie kurzfristigen „Abschwungstreiber“ die hohe Inflation, steigende Rohstoff- und Energiekosten, geopolitische Unsicherheit sowie eine schwächelnde Auslandsnachfrage.
Der Dienstleistungssektor zeigt eine verhaltene Wachstumsdynamik, während die Industrie, insbesondere die Bauwirtschaft, stark unter dem Inflationsdruck leidet. Hinzu kommt, dass Investitionen und Innovationen in Schlüsseltechnologien erneut hinter den Erwartungen zurückbleiben, was die Produktivität bremst. Selbst in Sektoren mit hohen Arbeitsstunden hat die Stagnation der Digitalisierung und Automatisierung die Effizienz beeinträchtigt.
Wie bereits mehrfach erwähnt, macht es bei einer Gesamtanalyse wenig Sinn, nur die kurzfristigen Faktoren zu erwähnen, da die Fehlentwicklung längerfristig eingeleitet wurde.
Ist die Lage daher hoffnungslos?
Das ist sie selbstverständlich nicht. Solange noch, um ein wenig zu dramatisieren, ein Atemzug möglich ist, zeigt sich auch noch Hoffnung.
Eine Gegenbewegung würde allerdings vermutlich auch erst in gewissen Zeiträumen greifen. Sie ist nicht gänzlich unmöglich, allerdings muss sie noch in den nächsten Jahren erfolgen, bevor der angesprochene Zeitenwandel sich manifestiert hat.
Eine Abkehr von der Idee einer sozial-ökologischen Transformation, wie es die Ampel anstrebt, und eine Wende hin zu Politik des konstruktiven Pragmatismus könnte es möglich machen, die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.
Eine solche Politik wäre allerdings eine, die nicht nur die Ökonomie erfasst, sondern auch eine Veränderung in vielen Bereichen, unter anderem auch in der Sozial- und Migrationspolitik, bedeuten muss. Sie muss einen Rahmen schaffen, in dem sich die große Mehrheit der Bevölkerung wiederfindet und klare Perspektiven für eine künftige Ausrichtung des Landes aufzeigt. Es wäre eine sehr große Gegenbewegung, die sich auch gegen die Ränder richten würde, die von Krisen in der Regel, ohne selbst auf irgendeine Weise jemals etwas geleistet zu haben, mit bloßen Parolen, profitieren.
Nichts ist daher geschrieben. Nichts muss verwelken. Geschichte wiederholt sich niemals, da sollten wir es ganz mit Heraklit halten, allerdings ist es keineswegs verboten, aus ihr zu lernen und den nunmehr schon zu lange eingeschlagenen Irrweg zu beenden.