Professor Alessandro Nai im Interview - Experte erklärt, warum Harris es bei Schmutzkampagnen doppelt schwer hat
Schmutzkampagnen gehören inzwischen zum US-Wahlkampf dazu. Professor Alessandro Nai von der University of Amsterdam ist Experte auf dem Gebiet des „Negative Campaigning“. Er sagt: „Trump wird bestimmt extrem aggressiv vorgehen.“
Seit feststeht, dass Kamala Harris wahrscheinlich die neue Rivalin von Donald Trump wird, warten amerikanische Wähler voller Spannung auf neue Angriffstaktiken im aktuellen Wahlkampf. Wie weit werden die Teams beider Parteien gehen, um die Konkurrenz in den Schmutz zu ziehen?
Professor Alessandro Nai von der University of Amsterdam gilt als führender Experte für „Negative Campaigning” – politische Schmutzkampagnen.
In seinem Buch „Dark Politics: The Personality of Politicians and the Future of Democracy” beschreibt er die Schachzüge und Strategien von Politikern mit psychopathischen und narzisstischen Zügen. Auf FOCUS online verrät er, wie das Rennen ums Weiße Haus ablaufen könnte.
FOCUS online: Herr Professor Nai, worauf sollte sich Joe Bidens Nachfolgerin Kamala Harris als neue Präsidentschaftskandidatin einstellen? Bisher beschimpfte Trump sie vorwiegend als „lachende Kamala”. Dabei wird es vermutlich nicht bleiben?
Prof. Alessandro Nai: Eins ist klar: Harris muss sich auf bitterböse, endlose Angriffe einstellen. Sie ist ja bereits als Vizepräsidentin im Amt und alle Amtsinhaber sind wie Magneten für Attacken. Es ist ja auch ziemlich einfach, bereits amtierende Kandidaten anzugreifen – man kann sich wie unter einem Mikroskop alles kritisch ansehen, was sie bisher getan haben.
Außerdem ist sie eine Frau und eine Person of Color. Minderheiten werden immer schärfer kritisiert als vergleichsweise weiße Männer. Es wäre zwar absurd zu fragen, ob sie eine „echte und fähige Amerikanerin” ist, aber bei Obama wurden solche Fragen ja auch gestellt.
Trump wird bestimmt extrem aggressiv vorgehen. Laut Studien gehen rechtsgerichtete Kandidaten sowieso meist deutlich negativer vor als ihre liberaleren Rivalen. Und der Ex-Präsident ist ja ohnehin für eine aggressive, negative Rhetorik bekannt.
„Das Negative verkauft sich eben besser”
Wie kommen Wahlstrategen überhaupt an den Schmutz über einen Rivalen? Wie muss man sich das vorstellen? Wie weit sind Politiker da bereit, zu gehen?
Nai: Sehr, sehr weit. Es gibt dafür sogar eigene Budgets – für die „Oppositionsforschung”, wie es so schön heißt. Die gehen da gar nicht so anders vor als Paparazzi für Klatschblätter: Sie durchsuchen unter anderem den „Müll“ von Rivalen.
Teilweise geht es sogar so weit, dass Wahlkampfteams eine sogenannte „Gegen-Oppositionsforschung” betreiben und gezielt Schmutziges über ihren Kandidaten herausfinden wollen. Das ist gedacht, um sich für mögliche Angriffe zu wappnen.
Wie effektiv ist „Negative Campaigning”? Kommt das bei den Wählern wirklich gut an?
Nai: Das kommt darauf an. Einerseits können aggressive Angriffe vor allem die unentschlossenen Wähler dazu bringen, einen Kandidaten tatsächlich kritischer zu sehen. Andererseits mögen die Leute es nicht, wenn es zu weit unter die Gürtellinie geht.
Aber auch die Medien stürzen sich gern auf „Negative Campaigning” – so wie sie negativen Ereignissen größere Beachtung schenken als positiven. Das Negative verkauft sich eben besser. Die Menschen interessieren sich auch viel mehr dafür als für etwas Positives. Also haben Schmutzkampagnen einen starken Anreiz. Wir alle tragen dazu bei.
Aber wenn Wahlwerbung zu negativ ist, könnte das Wähler auch abtörnen?
Nai: Definitiv. Viele Wähler lehnen „Negative Campaigning” sehr stark ab – so sehr, dass manche dann sogar den anderen Kandidaten bevorzugen. Das führt dann zum Gegenteil von dem, was ein Politiker erreichen wollte.
Bei welchen Gruppen kommt „Negatives Campaigning” gut an?
Nai: Bei manchen funktioniert es perfekt. Vor allem bei unentschlossenen Wählern, die noch nach einem Grund suchen, warum sie dem einen Kandidaten ihre Stimme geben sollen. Unentschiedene Wähler sind sehr aufgeschlossen für politische Propaganda. Laut einigen Studien kommt vor allem bei Wählern, denen populistische Kandidaten gut gefallen, auch ein aggressiver Stil super an.
„Für eine Frau ist es schwerer, auf einen Angriff zu reagieren”
Welche Beispiele zählen für Sie als Experte zu den schlimmsten Fällen von „Negative Campaigning"?
Nai: Es gibt da so viele. Aber zu einem der extremsten Angriffe gehörte für mich 2016 diese Wahlwerbung, in der Trump mit Hitler verglichen wurde.
Ist es für einen Kandidaten überhaupt möglich, eine negative Wahlkampagne in eine positive umzukehren?
Nai: Das ist sehr, sehr schwierig. Grundsätzlich würde ich sagen: Für weibliche und männliche Kandidaten gelten unterschiedliche Regeln. Für eine Frau ist es schwerer, auf einen Angriff zu reagieren. Wenn sie selbst aggressiv antwortet, gilt sie leicht als unweiblich.
Wenn sie den Angriff aber ignoriert, dann steht sie als schwach und nicht tough genug da. Dieser Wahlkampf wird unglaublich aggressiv werden. Mit passiven Reaktionen lassen sich Wähler wohl kaum überzeugen. Wir dürfen uns also auf einiges gefasst machen.