Profiler Petermann zu Aschaffenburg - „Da muss es eine Vorgeschichte mit Warnsignalen gegeben haben“

Axel Petermann<span class="copyright">©Ralf Gemmecke</span>
Axel Petermann©Ralf Gemmecke

Die tödliche Messerattacke von Aschaffenburg schockiert Deutschland. Im Interview mit FOCUS online erklärt Profiler Axel Petermann, was sich aus den ersten Erkenntnissen zur Tat und dem Tatverdächtigen ableiten lässt.

FOCUS online: Der Tathergang schockiert die Menschen in Deutschland. Ein 28-Jähriger hat wohl eine Gruppe Kita-Kinder in einem Park in Aschaffenburg verfolgt und dann mit einem Messer angegriffen. Ein zweijähriges Kind kam dabei ums Leben. Ein Passant, der sich dazwischenwarf, wurde ebenso erstochen. Mit welchem Täterprofil haben wir es nach bisherigem Kenntnisstand zu tun?

Axel Petermann: Es ist sehr schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt aus den bisherigen wenigen Details, die bislang bekannt sind, valide Erkenntnisse abzuleiten. Ein Mensch, der aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet ist, kann natürlich Probleme bei seiner Integration haben und darunter leiden, keine Bindungen gefunden zu haben. Was mir hingegen klar scheint, ist, dass die Gewalt, mit der der Täter vorging, nicht einfach aus dem Nichts kommt. Dafür muss es eine Vorgeschichte mit Warnsignalen gegeben haben.

„Täter wollte vielleicht besonders großes Entsetzen hervorrufen“

Was passiert in der Psyche eines Täters, der Kleinkinder, also viel schwächere Opfer, mit einem Küchenmesser gezielt attackiert? Es handelt sich doch um eine besondere Form der Rohheit und der Enthemmung.

Petermann: Kinder sind sehr vulnerable Opfer, da sie arglos sind und sich nicht wehren können, vor allem, wenn der Täter nicht gestört wird. Es wäre denkbar, dass er die Opfergruppe aus diesem Grund ganz gezielt ausgesucht hat. Und vielleicht auch, weil Kinder als Opfer in der Öffentlichkeit ganz besonderes Entsetzen hervorrufen.

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Und dann traf er noch eine weitere Entscheidung: Dass er den Mann, der Hilfe leisten wollte, auch tötet, statt die Tat abzubrechen und zu fliehen.

Was zeichnet das Messer als Tatwaffe aus? Wird es häufig verwendet, weil es leichter zu erhalten ist als etwa Schusswaffen?

Petermann: Das ist ganz sicher ein wichtiger Grund.

Petermann: „Magdeburg hat gezeigt, wie sehr Gewaltpotenzial unterschätzt wird“

Der Täter war, wie Sie richtig vermuteten, schon vorher wegen Gewalttaten auffällig geworden und deswegen dreimal in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden, aus der er dann wieder entlassen wurde. Wie können wir solche Täter künftig effizienter stoppen und aus dem Verkehr ziehen?

Petermann: Die Ermittler werden sich diese vorherigen Gewalttaten bei dem Tatverdächtigen aus Aschaffenburg nun sicher noch einmal ganz genau anschauen. Einweisungen in psychiatrische Einrichtungen obliegen festen Regeln. Nach bestimmten Gewaltvorfällen können Polizeibehörden Gefährdungsanalysen erstellen, bei denen die Wahrscheinlichkeit potenzieller weiterer Taten in Bezug auf eine Person eingeschätzt wird. Potenzielle Gefährder können dann in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen werden, was richterlich abgesegnet werden muss. Ohne die Vorgeschichte des Tatverdächtigen aus Aschaffenburg zu kennen, ist es nicht möglich, zu sagen, ob irgendwo Fehler gemacht wurden.

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Die schreckliche Tat des Amokfahrers auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg aber hat uns gerade gezeigt, wie sehr trotz zahlreicher Hinweise das Potenzial von Gewalttätern unterschätzt werden kann. Ein Patentrezept, wie solche Taten verhindert werden können, habe ich auch nicht, und eine totale Sicherheit wird es nie geben. Es liegt aber auf der Hand, dass mit solchen Hinweisen künftig sorgfältiger umgegangen werden muss .

Gibt es nachgewiesene Trends zu mehr Messergewalt in Deutschland, die Ihnen Sorgen bereiten? Oder verzerren einzelne, sehr brutale Taten wie die heutigen Morde von Aschaffenburg das tatsächliche Bild?

Petermann: Einen statistischen Überblick über diese Trends und in Bezug auf die Täter kann ich Ihnen im Augenblick nicht geben. Aber allein die Tatsache, dass die Messergewalt zunimmt, gibt schon genug Anlass zur Sorge. Dafür sprecht auch die Tatsache, dass die Zahl sogenannter „messerfreier Zonen“ in unserem Land immer mehr zunimmt.