Profitgier, Umweltzerstörung, Freiheitsberaubung: ZDF-Doku erhebt schwere Vorwürfe gegen Nestlé

Auf den ersten Blick scheint der Lebensmittelhersteller Nestlé leckere und günstige Produkte anzubieten - doch zu welchem Preis? Die ZDF-Dokumentation "Der große Nestlé-Report" zeigte, mit welchen fragwürdigen Methoden der Konzern wirtschaftet.

Kaum ein Land kommt heutzutage ohne Produkte von Nestlé aus: KitKat, Smarties, Buitoni, Maggi, Nescafé, Nespresso, Nesquik, Thomy, Vittel und viele andere Ess- und Trinkwaren stammen von dem weltweit größten Lebensmittelhersteller. In 200 Ländern sind die rund 2.000 Marken von Nestlé bereits in den Supermärkten zu finden. Doch ist der Schweizer "Welternährer" wirklich so gesund, schmackhaft, fair und nachhaltig, wie er behauptet?

Die "ZDFzeit"-Dokumentation "Der große Nestlé-Report: Wie gut sind Süßigkeiten, Fertiggerichte & Co.?", die am Dienstagabend im Zweiten ausgestrahlt wurde, nahm den Lebensmittelhersteller unter die Lupe. Regisseur Tugay Tumay begleitete Studien, Testpersonen und ehemalige Mitarbeiter, blickte hinter die Kulissen des Giganten und fand dabei heraus: Der Konzern hält längst nicht immer, was er verspricht. Doch wie genau schnitt der Riese unter den Lebensmittelherstellern in den Bereichen Geschmack, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Fairness wirklich ab?

Der Geschmack ist besser, aber ...

Die Dokumentation startete mit einem spannenden Geschmackstest: 80 Menschen wurden in Berlin eingeladen, um vier verschiedene Nestlé-Waren mit den gleichen Produkten von innovativen Start-Ups zu vergleichen. Das Ergebnis könnte eindeutiger kaum sein: Tatsächlich bewerteten die Testpersonen alle vier Probierstücke von Nestlé als besser. Ein Punkt für Nestlé, möchte man meinen. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Ein Blick auf die Zutatenliste erklärte, warum die Produkte des Konzerns im Geschmack so gut abschneiden: Der Trick liegt bei den Geschmacksverstärkern. Produkttester und Fernsehkoch Sebastian Lege zeigte, wie diese Taktik funktioniert: Er besprühte eine Tomate mit einer Flüssigkeit und gab die Frucht einer Probandin. "Zwei Tropfen, und du denkst, du liegst in Spanien zwischen den Tomatenfeldern", deutete er ihr zufriedenes Gesicht. "Kollege Aroma spielt da mit."

Und nicht nur Aromen verstärken den Geschmack. Auch Fette und Zucker können die Geschmacksnerven zum Explodieren bringen. Andere Produkte, die auf die künstlichen Geschmacksverstärker verzichten, sind zwar gesünder, allerdings schmecken sie auch nicht so intensiv. Janina Lin Otto, Gründerin des Start-Ups "Frau Ultrafrisch", erklärte: "Es gibt sicherlich andere Unternehmen, die einfach versuchen, ein Produkt möglichst kostengünstig herzustellen und deswegen möglichst viel auch Zucker, Mehle, Hefeextrakt und so weiter reinzutun. Wir versuchen auf alles weitestgehend zu verzichten und wirklich immer nur das Nötigste davon reinzutun." Sie verwendet für ihre Produkte keine Zusatzstoffe oder Füllmittel aus Lebensmittellaboren, dafür weitaus mehr Tomaten als Nestlé. Dem Geschmack hilft dies allerdings weniger. Besserer Geschmack, dafür auf Kosten der Gesundheit - Nestlé war im Test zwar Gewinner, aber insgeheim doch auch Verlierer.

Nestlé wirbt mit gesunden Lebensmitteln, aber ...

Im zweiten Test wurde die Gesundheit der Nestlé-Produkte noch mal genauer unter die Lupe genommen. Anke Stübing, Head of Corporate Social Responsibility von Nestlé, erklärte: "Der Verbraucher möchte gerne heute und in der Zukunft Produkte haben, die gesund sind, die convenient sind, die nachhaltig sind und die natürlich schmecken. Für uns ist gesunde Ernährung sehr wichtig, wir versuchen aber natürlich auch, uns da sehr breit aufzustellen." Auch auf der Internetseite von Nestlé wird mit gesunden Produkten geworben. Eigentlich wieder ein Pluspunkt für Nestlé - doch wie viel Wahrheit steckt wirklich dahinter?

Für die Dokumentation machten zwei Frauen unter medizinischer Beobachtung den Test und hielten sich zwei Wochen lang an einen strikten Ernährungsplan. Andrea, die sich sonst mit frischen Zutaten ernährt, aß nur Nestlé-Lebensmittel. Dilek dagegen, die aus Zeitgründen sonst häufig auf Fertigprodukte zurückgreift, kochte in der gleichen Zeit mit frischen Zutaten. Am Ende wurde bei beiden Frauen das Gewicht und die Blutwerte gemessen - mit einem eindeutigen Ergebnis: Andreas "schlechter" LDL-Cholesterinwert stieg, ebenso wie ihr Gewicht um ein Kilo. Dileks LDL-Cholesterinwert hingegen sank, zudem verlor sie ein Kilo an Gewicht.

Die Veränderung des Gewichts und der Blutwerte sei allerdings nichts Neues, wie die Ernährungsmedizinerin Dr. Kathrin Hausleiter beschrieb - das gleiche Ergebnis wurde bereits in anderen medizinischen Studien nachgewiesen. "Was ich jetzt aber wirklich spannend fand, ist, dass schon innerhalb von zwei Wochen so ein deutlicher Unterschied zu sehen war", gab sie trotzdem zu bedenken.

Allerdings warfen diese gesundheitlichen Veränderungen noch mehr Fragen auf: Nestlé wirbt doch damit, dass seine Produkte gesund sind. Was steckt dahinter? Zwar wurde der Salzgehalt der Produkte weitestgehend gesenkt, jedoch der Fett- und Zuckergehalt in vielen Produkten stark erhöht - und dadurch auch der Kaloriengehalt. "Wir wollen ja ein Produkt entsprechend anbieten, das im Geschmack rund ist. Fett ist ein Geschmacksträger, und um die Suppe schmackhaft zu machen, hat man dort ein bisschen mehr Fett zugesetzt", erklärt Helmut Faltin, technischer Direktor der Kulinarik von Maggi. Auch hier macht Nestlé also Abstriche bei der Gesundheit, um den Geschmack und somit die Attraktivität der Produkte zu steigern.

Recylcingfähige und leichte Wasserflaschen, aber ...

Viele Unternehmen stehen aktuell vor der Frage, inwieweit sie nachhaltig sind. Auch Nestlé musste sich diesem Test in der Dokumentation beugen. Und das nicht ohne guten Grund: Ein Zehntel des Umsatzes erwirtschaftet Nestlé durch seine Wassermarken. In Deutschland ist Vittel die drittbeliebteste Wassermarke. Eine Antwort auf die Frage, wo das Wasser überhaupt herkommt, könnte sich also lohnen.

Ein Blick nach Frankreich verschaffte Klarheit: Nestlé bedient sich legal vom Grundwasser der französischen Stadt Vittel und pumpt dort jährlich eine Million Kubikmeter Wasser ab. Das Problem: Das Wasser wird auch von den örtlichen Bauern für die Landwirtschaft und von den Anwohnern gebraucht, zudem sinkt der Grundwasserspiegel jährlich um etwa 30 Zentimeter. Das Dorf trocknet langsam aus. Kritiker beschimpfen den Konzern als "Ausbeuter".

"Wenn sich die tiefen Wasservorkommen nicht wieder auffüllen, wird die Bevölkerung darunter leiden", so Bernard Schmitt von der Umweltorganisation "L'Eau Qui Mord". "Ich werde dann nicht mehr da sein, aber die jungen Menschen werden ab 2050 kein Wasser mehr haben. Das ist eine ernste Sache. Und ehrlich gesagt, das ist kriminell."

Doch die Austrocknung eines ganzen Dorfes ist nicht das einzige Problem, wie die Dokumentation zeigte: Das wertvolle Wasser wird in Einwegplastikflaschen verkauft. In den meisten Ländern werden diese einfach weggeschmissen. Deutschland verfügt zwar über ein Recyclingsystem, doch auch hierzulande wird nur rund ein Drittel der Plastikflaschen tatsächlich wieder zu neuen Flaschen verwertet. Zwar sind die Flaschen durch das Plastik recht leicht, doch dafür werden die Getränke viele Kilometer weit transportiert, wodurch viel unnötiges Kohlenstoffdioxid ausgestoßen wird.

"Zu sagen, ich grabe einem französischen Dorf erst mal das Grundwasser ab, fahre das über Hunderte von Kilometern nach Deutschland auf den deutschen Markt, das ist ein total unsinniges System. Einweg aus Frankreich in Deutschland zu verkaufen ist definitiv nicht umweltfreundlich", erklärte Sascha Roth, Referent für Umweltpolitik, NABU.

Viele Arbeitsplätze, aber ...

Weltweit beschäftigt Nestlé etwa 300.000 Menschen, davon 10.000 in Deutschland. Die vielen Arbeitsplätze könnte eigentlich auch wieder ein Pluspunkt für Nestlé sein. Doch leider gibt es auch hier einen Haken: Der Schweizer Hersteller ist kein Garant für einen sicheren Arbeitsplatz. Das Werk, das in Ludwigsburg den löslichen Kaffee Caro herstellte, wurde vor zwei Jahren geschlossen - plötzlich und ohne Vorwarnung. Hundert Mitarbeiter verloren ihre Jobs - und nicht nur dort: Mehrere Werke mussten schließen. Doch warum?

Die vielen Schließungen haben einen vertrauten Grund: Investoren. Der Investment-Banker Daniel S. Loeb beispielsweise erwarb Nestlé-Aktien im Wert von mehr als drei Milliarden Euro und habe gewaltigen Druck ausgeübt, um den Wert des Unternehmens zu steigern. "Nestlé geht es darum, die Profite zu maximieren, und da wird überall dort, wo man meint, dass man es nicht braucht, geschlossen", erklärte Hartmut Zacher von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten. Es wurden zahlreiche Arbeitsplätze gestrichen und Personal abgebaut, um den Gewinn zu maximieren - für die ehemaligen Mitarbeiter eine bittere Erkenntnis. "Wenn ich könnte, dann würde ich noch hier arbeiten am liebsten, ehrlich. Das war wirklich mein Zuhause. Meine Familie praktisch. Und das wurde mir genommen", empörte sich Thomas Göbbels, ein ehemaliger Mitarbeiter bei Caro.

Doch noch schlimmer trifft es mitunter Arbeiter in anderen Ländern. In Russland herrscht ein geringes Arbeitsschutzniveau - Forderungen der Gewerkschaften nach einer besseren Bezahlung oder faireren Bedingungen werden hier abgeschmettert. Eine Methode, die Nestlé knallhart für seine Gewinnmaximierung ausnutzt?

Die beiden ehemaligen Nestlé-Mitarbeiter Vitali Batura und Andrei Misan erinnerten sich an eine Einladung in einen Konferenzraum im Mai 2019. Dort seien ihnen ihre eigenen Kündigungspapiere vorgelegt worden - und sie seien so lange in dem Raum eingesperrt worden, bis sie diese unterschrieben hatten. "Manche hat man überredet. Manche hat man verängstigt und gesagt, es werde einem schlecht gehen, deswegen solle man unterschreiben. Und diese Art von Erpressung zog sich bis in den Nachmittag hinein", erzählte Misan. Batura sagte weiter: "Nestlé hat mir neue Freunde und Berufserfahrung gebracht. Und genommen hat es mir das Vertrauen in die Menschen und in die Zukunft."

Fazit: Nestlé ist billig, lecker und einfach, aber ...

Bereits seit vielen Jahren steht der größte Nahrungsmittelhersteller der Welt in der Kritik - und auch diese ZDF-Dokumentation von Tugay Tumay zeigte, dass diese durchaus berechtigt ist. Zwar ist der Gigant nicht umsonst sehr beliebt unter den Konsumenten, nicht zuletzt wegen seines Geschmacks, der günstigen Preise und der einfachen Zubereitung der Gerichte.

Jedoch stehen diese Vorteile in einem großen Schatten: Jedes Testergebnis hat einen Haken, keiner der Tests überzeugte durch und durch. Je tiefer die Macher in den Hintergründen stocherten, desto extremer schienen die Erkenntnisse zu sein.