Promille-Paradies Deutschland? So viel Alkohol trinken die Deutschen wirklich

Freizeitspaß mit Folgen: Schon geringe Mengen Alkohol gefährden die Gesundheit. (Bild: Getty Images)
Freizeitspaß mit Folgen: Schon geringe Mengen Alkohol gefährden die Gesundheit. (Bild: Getty Images)

Bei Sandra Maischberger diskutierten die Gäste am Mittwochabend über Alkoholsucht. Doch ab wie viel Bier und Wein handelt es sich um eine Sucht, wie viele Kranke gibt es in Deutschland und welche Mengen werden hierzulande eigentlich getrunken?

Es war eine gleichermaßen berührende wie erschütternde Sendung. Bei Maischberger berichteten mehrere Menschen über ihre Erfahrungen mit Alkohol. Da war der Unternehmer Henning Hirsch, der einst mit 2,5 Promille ins Büro ging. Die Schauspielerin Nina Bott, die als Kind den Alkohol ihrer süchtigen Mutter wegkippte. Oder der ehemalige Bundesliga-Profi Uli Borowka, der teilweise sturzbetrunken beim Training erschien und von seinem Trainer gedeckt werden musste.

Sind das alles Einzelfälle? Menschen, die mit dem Leben nicht klarkommen und daher zur Flasche greifen? Oder ist krankhafter Alkoholkonsum vielmehr ein Phänomen, das in weiten Teilen der Gesellschaft verharmlost wird und daher umso gefährlicher wirkt? Ein Blick auf die nackten Zahlen verrät ziemlich viel über die Problematik.

Wie viele Menschen trinken zu viel Alkohol in Deutschland?

9,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren laut „drogenbeauftragte.de“ Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. „Das Problembewusstsein ist beim Thema Alkoholkonsum nach wie vor zu niedrig“, heißt es dazu von Marlene Mortler, seit 2014 Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

Eine Sucht, die oft im Verborgenen ausgelebt wird: Alkoholismus. (Bild: Getty Images)
Eine Sucht, die oft im Verborgenen ausgelebt wird: Alkoholismus. (Bild: Getty Images)

Laut der Webseite gelten 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig, mehr als doppelt so viel – nämlich 2,7 Millionen – betreiben Alkoholmissbrauch. In der Bundesrepublik sterben jedes Jahr rund 20.000 Menschen an den direkten oder indirekten Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum. Laut dem im November 2017 vom Deutschen Krebsforschungszentrum herausgegebenen ersten Alkoholatlas trinke etwa ein Sechstel der Erwachsenen hierzulande riskante Mengen Alkohol.

Wie viel Alkohol wird in Deutschland getrunken?

Laut dem aktuellen „Jahrbuch Sucht“, das Ende März 2018 von der „Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen“ (DHS) publiziert wurde, trinkt jeder Deutsche im Schnitt 134 Liter alkoholische Getränke pro Jahr. Mengenmäßig entspricht das einer gut gefüllten Badewanne. Laut DHS sind 3,38 Millionen Erwachsene in Deutschland von einer „alkoholbezogenen Störung“ betroffen.

Dennoch geht der Alkoholkonsum zurück. Im Jahr 2000 lag der jährliche Pro-Kopf-Konsum von alkoholischen Getränken noch bei 154 Litern, im Jahr 1990 sogar bei 176 Litern. Vor allem der Bierkonsum ist in den vergangenen 30 Jahren erheblich zurückgegangen. Aber auch Schaumwein und Spirituosen trinken die Deutschen weniger als früher. Der Weinkonsum liegt dagegen seit Jahrzehnten bei rund 20 Litern pro Jahr und Kopf.

In Reinalkohol gemessen, sank der Konsum von 17,2 Litern pro Kopf im Jahr 1976 auf 11 Liter pro Kopf im Jahr 2017.

Wird in Deutschland mehr als anderswo getrunken?

Mit diesen 11 Litern Reinalkohol liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld. Mit 15 Litern Reinalkohol liegen die baltischen Staaten Estland und Litauen an der Spitze. Am wenigsten Alkohol konsumiert wird dagegen in Schweden, Griechenland und Italien. Dort kommt man auf lediglich 8 Liter Reinalkohol pro Person und Jahr.

Wie viel ist schädlich und ab wann wird Alkoholkonsum zur Sucht?

Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, da viele Faktoren wie Charakter, Lebensumstände, Beruf, Krankheiten und mentale Stärke eine Rolle spielen. Experten sind sich aber heute einig, dass es so etwas wie risikofreien Alkoholkonsum nicht gibt. Das „Gläschen in Ehren“ oder der tägliche Rotwein für die Gesundheit sind moderne Mythen. Mehrere Studien, darunter eine Arbeit einer Forschergruppe um die Oxforder Wissenschaftlerin Naomi Allen, kommen zu dem Schluss, dass auch wenig Alkohol die Gesundheit beeinträchtigt.

Laut DHS ist Reinalkohol ab diesen täglichen Mengen schädlich:

• Riskanter Konsum: Frauen mehr als 12 g / Männer mehr als 24 g
• Gefährlicher Konsum: Frauen mehr als 40 g / Männer mehr als 60 g
• Hochkonsum: Frauen mehr als 80 g / Männer mehr als 120 g
Ein Glas Bier mit 0,33 Liter entspricht etwa 13 Gramm Reinalkohol, ein Glas Wein mit etwa 0,2 Liter ungefähr 16 Gramm.

Die Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums

Im Suff bauen manche Menschen Unfälle, werden gewalttätig oder verletzen sich unabsichtlich selbst. Über 13.000 Verkehrsunfälle waren im Jahr 2016 auf Alkoholeinfluss zurückzuführen. Der volkswirtschaftliche Schaden beläuft sich auf 26,7 Milliarden Euro, wovon laut „drogenbeauftragte.de“ rund 7,4 Milliarden Euro direkte Kosten für das Gesundheitssystem darstellen. Darunter fallen etwa Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Diagnosen und Therapien.

Laut Bundesregierung lag die Schadensumme bei Eigentums- und Vermögensdelikten mit „mindestens einem Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss“ für die Jahre 2011 bis 2015 bei insgesamt 103 Millionen Euro.

In letzter Zeit hat sich dafür der Begriff des Passivtrinkens etabliert. Denn wie beim Zigarettenrauchen werden auch durch Alkoholtrinken andere in Mitleidenschaft gezogen. Beispielsweise durch Unfälle, häusliche Gewalt, kriminelle Delikte oder Co-Abhängigkeiten.

Die Anonymen Alkoholiker bieten Suchtkranken erste Hilfe sowie ein soziales Umfeld. (Bild: Getty Images)
Die Anonymen Alkoholiker bieten Suchtkranken erste Hilfe sowie ein soziales Umfeld. (Bild: Getty Images)

Wem der Alkoholverzicht schwerfällt, sollte sich unbedingt Hilfe suchen. Alleine sind Süchte nämlich kaum zu bewältigen. Als erste Anlaufstelle haben sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten die „Anonymen Alkoholiker“ in Deutschland bewährt. Mit dem klassischen 12-Schritte-Programm hat die aus den USA stammende Vereinigung bereits Millionen Menschen aus ihrer Alkoholsucht befreit. Auf deren Webseite findet sich auch ein Selbsttest, um herauszufinden, ob man selbst Alkoholiker ist (Link: https://www.anonyme-alkoholiker.de/wer-ist-alkoholiker/).