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Von der Prostituierten zur Zweiflerin

Im starbesetzten ZDF-Drama "Totgeschwiegen" (Montag, 21.9., 20.15 Uhr) verkörpert die 43-jährige Katharina Marie Schubert eine Mutter, die mit anderen Eltern den Mord ihrer Kinder an einem Obdachlosen vertuscht.

Wenn man über die derzeit besten Schauspielerinnen Deutschlands spricht, muss man Katharina Marie Schubert auf dem Zettel haben. Allein ihre beiden "Tatort"-Episoden-Hauptrollen als mobile Pflegerin in "Anne und der Tod" oder unfreiwillig komische Mörderin in "Falscher Hase" waren 2019 denkwürdig kunstvolle Auftritte, die lange nachhallen. Schubert wuchs in Braunschweig auf und machte zunächst Karriere an deutschsprachigen Edelbühnen wie dem Wiener Burgtheater oder den Münchener Kammerspielen. Seit einigen Jahren sieht man die 43-Jährige auch immer häufiger in Film- und Fernsehrollen. Ihre jüngste ist das Drama "Totgeschwiegen" (Montag, 21. September, 20.15 Uhr, ZDF), in dem eine Gruppe gutbürgerlicher Eltern entdeckt, dass ihre Kinder einen Obdachlosen getötet haben. Anstatt zur Polizei zu gehen, wollen sie jedoch erst mal abwarten, ob die jugendlichen Täter identifiziert werden.

teleschau: Beruht "Totgeschwiegen" auf einem wahren Fall?

Katharina Marie Schubert: Soweit ich weiß, nein. Elemente des Films sind von wahren Ereignissen sicherlich inspiriert. Es gab ja immer wieder diese Meldungen von U-Bahn-Schubsern in Berlin oder auch in München. Berichte von wahlloser Gewalt gegen unschuldige Menschen im öffentlichen Raum. So etwas macht schnell die Runde und prägt sich den Menschen ein, weil man schockiert ist und es sich nicht erklären kann.

teleschau: Aber gibt es auch einen Fall, bei dem Eltern ihre Kinder gedeckt haben?

Katharina Marie Schubert: Ich glaube, das war dann das Fortspinnen des Gedankens als Grundlage für das Drehbuch. Dass man fragte, was passiert eigentlich, wenn Eltern erfahren, dass ihre Kinder jemanden getötet haben. Was macht dies mit dieser Gruppe Eltern ...

"Wie man Probleme löst, hat nicht nur damit zu tun, ob man Abitur hat"

teleschau: Jugendgewalt wird oft mit unterprivilegierten, bildungsfernen Schichten zusammengebracht. In "Totgeschwiegen" geht es aber um eine Gruppe gutbürgerlicher Eltern und Kinder ...

Katharina Marie Schubert: Ich denke, dass es interessant ist, sich auch behütete Kinder anzuschauen, wenn wir über Gewalt reden. Weil sie dort sicher auch vorkommt, man davon aber selten hört. Generell finde ich gut, dass in diesem Film niemand richtig gut oder böse ist. Wir wissen ja auch nicht, ob die Kinder aus Notwehr gehandelt haben. Der Film lässt das sehr lange offen. Ich mag Plots, die eine solche Offenheit und Ambivalenz wagen.

teleschau: Ist Jugendgewalt in gutbürgerlichen Kreisen schwerer zu erklären?

Katharina Marie Schubert: Der Ton, der in einer Familie herrscht, hat nicht unbedingt etwas mit Bildungsstand oder Bankkonto zu tun. Es gibt Familien, die sind einfach sehr, sehr herzlich. Und es gibt Familien, da ist der Ton rau. Die Art, wie man Probleme löst, hat nicht nur damit zu tun, ob man Abitur hat. Wahrscheinlich gibt es eine gewisse Rauheit öfter in prekären Familien. Was leicht zu erklären ist, weil deren Leben viel härter ist.

teleschau: Dennoch herrscht unter den Akademikern in Ihrem Film eine gewisse Kühle. Gerade bei Ihrem Film-Mann, den Godehard Giese spielt. Können emotional distanzierte Eltern eine Gewaltreaktion bei Kindern auslösen?

Katharina Marie Schubert: Natürlich. Meine Rolle ist die einer Mutter, die ihren Sohn extrem umsorgt. Fast so, als wäre er noch ein kleines Kind. Dahinter steht, dass die Frau selbst sehr bedürftig ist. Das Umsorgen ist nicht wirklich selbstlos. Sie verlangt Dankbarkeit und Nähe von ihrem Sohn. Deshalb macht sie alles für ihn. Auch, wenn der es gar nicht will. Das Kind wird für sie zu einer Art Partnerersatz. Familie ist immer ein komplexes System aus Wünschen, Bedürfnissen und eben auch Enttäuschungen.

"Ich zum Beispiel habe damals ab und zu geklaut"

teleschau: Welche Rolle spielt die Pubertät?

Katharina Marie Schubert: Die Pubertät macht mit dem Menschen Dinge, die er sich später selbst nicht mehr erklären kann. Ich zum Beispiel habe damals ab und zu geklaut. Ich weiß gar nicht mehr, warum - und würde es heute natürlich auf keinen Fall mehr tun. Pubertierende sind wütend, ungerecht oder machen sich breit in ihrem Selbstmitleid. All das kann passieren. Als Erwachsener, als Eltern kann man kann da nur darüber staunen - und muss diese Phase eben einigermaßen gelassen aushalten. Gerade deshalb, weil sehr oft ein Teil des Spiels ist, die Eltern zu provozieren und herauszufordern.

teleschau: Die Eltern, die von der Tat ihrer Kinder erfahren, beschließen, erst mal eine Nacht darüber zu schlafen. Wird ein Mord weniger schlimm, wenn man Zeit verstreichen lässt?

Katharina Marie Schubert: Auch dies ist ein interessantes Gedankenexperiment, das der Film wagt. Fast jeder kennt Situationen, in denen man sich mal schrecklich peinlich daneben benommen hat. Vielleicht, weil man zu viel getrunken hat. Da denkt man am nächsten Morgen, völlig verkatert, dass man nie wieder vor die Tür gehen kann, weil man sich so sehr schämt. Einen ähnlichen Effekt kann ich mir durchaus bei Gewalttaten vorstellen. Am Morgen nach der Tat ist es etwas Ungeheuerliches - aber nach ein oder zwei Wochen, wird es vom Alltag überdeckt und man denkt nicht mehr so viel daran. Ganz besonders wie hier, im Fall der Eltern, die ja nicht die Täter sind. Den Kindern gelingt es nicht, ihre Tat zu verdrängen.

teleschau: Sie sind 2017 Mutter geworden. Dabei haben sie zuvor schon viele Mutterrollen gespielt. Verändert die Tatsache, dass man im echten Leben ein Kind hat, die Art und Weise, wie man eine Mutter spielt?

Katharina Marie Schubert: Auf jeden Fall. Einen Film wie "Atempause", in dem ich - bevor ich Mutter wurde - eine Frau spielte, die ihren kleinen Sohn verliert, der hirntot im Krankenhaus liegt, würde ich heute nicht mehr spielen. Das hat nichts mit der Qualität des Films zu tun, ich würde eine solche Rolle nur nicht mehr aushalten. Die Vorstellung, dass mein Kind stirbt auch nur in den eigenen Kopf reinzulassen, würde mich so ängstigen, dass ich eine solche Rolle gegenwärtig eher ablehnen würde. Was die Teenager im Film betrifft, damit habe ich logischerweise noch keine Erfahrung. Ich habe mich eher an die Zeit erinnert, in der ich selbst Teenager war.

"Ich würde mich nicht als die beste Prostituierte aller Zeiten beschreiben"

teleschau: Muss man Dinge erlebt haben, um sie zu spielen?

Katharina Marie Schubert: Ich finde, dass man zumindest in einen Kosmos hineingerochen haben muss, um emotional mitreden zu können. Mein bisheriges Leben sagt mir, wenn ich Dinge nicht erlebt habe, habe ich sie auch nur halb verstanden. Das bedeutet auf keinen Fall, dass man eine Mörderin sein muss, um eine Mörderin zu spielen. Es geht mehr um die Emotionen, die man kennen muss - in Ansätzen, nicht im Extrem. Um einen Problemfilm mit Teenagern zu drehen, muss man jedoch nicht selbst das krasseste Teenager-Kind aller Zeiten gehabt haben. Man sollte jedoch - in Ansätzen - den Gefühlsmix aus Wut, Hilflosigkeit, Liebe und großer Sorge vielleicht im Bezug auf eine ganz andere Person oder einen Gegenstand gespürt haben, um so etwas zu spielen.

teleschau: Sie spielen oft ambivalente Rollen wie in den beiden "Tatort"-Episoden-Hauptrollen "Anne und der Tod" oder "Falscher Hase". Da ist bei Ihnen viel Tragikomik im Bösen. Ein Persönlichkeitsmerkmal, das Sie gerne verkörpern oder das andere Leute in Ihnen sehen?

Katharina Marie Schubert: Eher Letzteres. Ich habe am Anfang meiner Filmkarriere mal eine Prostituierte gespielt, das war mit Bjarne Mädel im "Tatortreiniger". Danach habe ich jahrelang Angebote bekommen, eine Prostituierte zu spielen. Dabei würde ich mich in einer schauspielerischen Selbstbeschreibung sicher nicht als die beste Prostituierte aller Zeiten beschreiben, was immer das sein soll (lacht). Ich hatte mir bei den beiden "Tatorten" sogar Gedanken gemacht, ob die Rollen nicht zu ähnlich sind und mit beiden Sendeanstalten darüber gesprochen. Wir kamen aber zu dem Schluss, dass sich die Filme und meine Rollen darin doch genügend voneinander unterscheiden.

teleschau: Also steckt nichts von Ihnen selbst drin in dieser grandios verkörperten Ambivalenz, die sie auch in anderen Rollen - nicht zuletzt in "Totgeschwiegen" - öfter in Rollen zeigen?

Katharina Marie Schubert: Ja und nein. Man spielt eine Figur, das ist nicht man selbst. Trotzdem spielt man sie mit den Erfahrungen, die man in seinem Leben gemacht hat. Mit dem eigenen Leben im Gepäck sozusagen. Deshalb spiele ich eine Rolle anders, als eine vielleicht großartige Kollegin - wenn sie die Rolle übernimmt. Ich persönlich habe aber ein Misstrauen gegenüber Eindeutigkeiten und den einfachen Antworten. Weil ich immer in dem Moment, in dem ich behaupte, eine Sache sei richtig, überzeugt davon bin, dass das Gegenteil ebenfalls der Fall sein könnte. Wenn ich sage, "rot" ist meine Lieblingsfarbe, schreit etwas in mir laut "blau".

"In meinem Berliner Kiez falle ich auf dem Spielplatz nicht weiter auf"

teleschau: Und das wirkt sich direkt auf Ihr Schauspiel aus?

Katharina Marie Schubert: Ja, so ähnlich denke ich auch über Figuren nach. Ein böser Mensch kann für mich unmöglich nur böse sein. Das ist auch eine Kategorie, in der ich eigentlich gar nicht denke. Es sind alles Menschen und man untersucht warum sie so handeln wie sie handeln und wertet nicht.

teleschau: Das ist also ihr Geheimnis ...

Katharina Marie Schubert: Ich hoffe, nicht das ganze (lacht). Bei "Anne und der Tod" oder "Falscher Hase" war es zudem wichtig, dass der Zuschauer diese Figuren mag. Sonst wäre man ihnen emotional nicht gefolgt. Es hat also schon auch mit Drehbuch und Regie zu tun. Je nachdem, was man erreichen will, bin ich schon in der Lage, eine Figur auch mal anders anzulegen. Ich könnte auch Mörder spielen, die unsympathisch sind (lacht).

teleschau: Wurden sie nach den beiden großen "Tatort"-Rollen im letzten Jahr am Tag nach der Ausstrahlung anders auf der Straße angeschaut?

Katharina Marie Schubert: Was Rollenangebote betrifft, kann ich keinen Effekt bestätigen. Eher im Gegenteil. Nach den beiden "Tatorten" herrschte erst mal totale Flaute. In letzter Zeit ist es mir aber öfter passiert, dass mich Leute irgendwo ansprechen mit den Worten: "Kennen wir uns nicht?" Sie denken dann aber eher, dass ich wie sie auch bei Monika beim Grillen war. Ich weiß dann immer nicht, was ich sagen soll. "Wahrscheinlich kennen Sie mich aus dem Fernsehen", wäre vielleicht korrekt, klingt aber ein bisschen überheblich. Deshalb sage ich in solchen Momenten eher, dass ich Monika leider nicht kenne. Tatsächlich werde ich sehr selten erkannt. Das ist total gut fürs Privatleben. In meinem Berliner Kiez falle ich jedenfalls auf dem Spielplatz nicht weiter auf.