Protestaktion vor Polizistenhaus: Straßenkonzert oder gewaltsamer Übergriff?

In den Aufnahmen der Demonstranten wird der Protest als friedliches Musik-Happening inszeniert (Screenshot: Medienkollektiv Wendland/Vimeo)
In den Aufnahmen der Demonstranten wird der Protest als friedliches Musik-Happening inszeniert (Screenshot: Medienkollektiv Wendland/Vimeo)

Die Berichterstattung zum Zusammenstoß von Polizei und Demonstranten im Wendland am Wochenende zeigt, wie einseitig offizielle Darstellungen teilweise sein können. Und warum den Medien eine wichtige Rolle dabei zukommt.

Es waren beängstigende Schlagzeilen, die sich am Wochenende aus Niedersachsen über die Medien verbreiteten. Der Tenor der Berichterstattung lautete, ein große Gruppe von rund 60 Personen habe nach einer Demonstration gezielt das private Wohnhaus eines Polizeibeamten aufgesucht, um ihn einzuschüchtern und zu bedrohen. Die Meldung, die aus dem Polizeibericht des Landkreises Lüchow-Dannenberg stammte, wurde meist so übernommen und unhinterfragt weiter verbreitet – zunächst auch bei Yahoo Nachrichten. In der Folge gab es allerdings Statements vonseiten der Demonstranten, die ein völlig anderes Bild der Situation ergeben. Das Beispiel zeigt, wie voreilig Medien manchmal dem Wortlaut staatlicher Stellen folgen.

Das Vertrauen der Medien in offizielle Stellen ist zunächst ein Grundbestandteil der Vereinbarung einer offenen Demokratie. Journalisten gehen grundsätzlich erst einmal nicht davon aus, dass sie von Regierungs- oder Polizeiseite in Deutschland gezielt belogen werden. Im Falle von Fehlverhalten auf Seiten des Staates, das bewiesenermaßen nun einmal auch hier vorkommen kann, ist es allerdings die erste Pflicht der Medien, dieses zu hinterfragen und gegebenenfalls eben mehrere Quellen zu bemühen, um ein ausgeglichenes Gesamtbild an die Öffentlichkeit weiter zu vermitteln. Nicht umsonst wird der Journalismus als „vierte Gewalt“ bezeichnet. Im konkreten Vorfall im Wendland, in dem es eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen zwischen Anti-Atomkraft-Aktivisten und der Polizei gibt, wäre es durchaus wichtig gewesen, die „andere Seite“ anzuhören, bevor der Polizeibericht kritiklos übernommen wird.

Denn im offiziellen Bericht wird aus dem Aufeinandertreffen eine „neue Qualität der Gewalt“, ein Begriff, der deutlich meinungsgefärbt ist und es so aber in viele der Schlagzeilen schaffte. Die Familie des Polizeibeamten sei eingeschüchtert worden durch „lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und Vermummung“. Von einem „Angriff“ ist die Rede, die Vorwürfe gegen einige der Demonstranten lauten Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Beleidigung, Diebstahl und Widerstand gegen Vollzugsbeamte. Dass eine vorausgehende Demo in Gorleben friedlich verlaufen ist, erwähnt dabei auch die Polizei in ihrem Bericht.

Das berichten die Demonstranten

Auf dem linken Portal „Indymedia“ wurde ein Beitrag veröffentlicht, der den Stil eines Polizeiberichtes imitiert, aber eine andere Version der Geschichte erzählt. Das liest sich dann so: „Am 18. Mai gegen 20 Uhr haben sich mehr als 80 Sänger*innen auf dem Autowendeplatz vor dem Haus des Staatsschutzbeamten **** **** eingefunden und gaben ein spontanes Straßenmusikkonzert. Zudem wurde auf der Wiese vor seinem Grundstück eine „YPG“-Fahne gehisst und an seinem Carport weitere Flaggen der kurdischen Freiheitsbewegung angebracht. Nach ungefähr 15 Minuten tauchte ein Streifenwagen mit zwei Polizeibeamten auf, die das Geschehen beobachteten. 10 Minuten später verließen die Teilnehmer*innen den Ort des Geschehens.“

Gedacht gewesen sei die Aktion als Protest gegen das „teils repressive“ Vorgehen“ des „übermotivierten Staatsschutzbeamten.“ Hintergrund sind offenbar Hausdurchsuchungen in der Region, bei denen Flaggen der kurdischen Bewegung beschlagnahmt wurden – die kurdischen Einheiten YPG und YPJ erfreuen sich durch ihren Kampf gegen den IS einer großen Solidarität in der linken Szene, werden in Deutschland jedoch zumeist als Ableger der verbotenen PKK behandelt.

Erst nach der Protestaktion habe den Aktivisten zufolge eine Hundertschaft der Oldenburger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) die abziehenden Menschen „überfallen“. „Diese Beamt*innen schlugen ohne Vorwarnung auf die Menschen ein und zwangen sie zu Boden. Dadurch wurden etwa 10 Personen verletzt.“ Auch der Hausbesitzer sei dabei gewesen und habe „in Rage auf am Boden liegende Personen eingetreten.“ Sollte dies der Wahrheit entsprechen, wäre es ein höchst fragwürdiges – wenn nicht rechtswidriges – Vorgehen der Polizei. Eine Polizeiaktion darf und kann nicht als privater Racheakt missbraucht werden. Auf der Website zitierte Demonstranten fordern nun ihrerseits rechtliche Konsequenzen für die Polizei.

Hitzacker 18.05.2018 – Was wirklich geschah from Medienkollektiv Wendland on Vimeo.

Ein wichtiges Argument der Polizei für ihr Einschreiten ist – wie schon beim harten Vorgehen in den Hamburger G20 Protesten – die Vermummung der Demonstrierenden. Denn die allein ist schon eine Straftat und legitimiert deren Festsetzung. Nun gibt es neben der freilich ebenfalls meinungsgefärbten Darstellung auf Indymedia aber auch Videomaterial, auf dem klar zu erkennen ist, dass der Großteil der Sänger und Demonstranten keineswegs vermummt ist. Überhaupt könnte der Clip in keinem größeren Kontrast zum Polizeibericht stehen: Die Aktion wird hier als friedliches Happening präsentiert, von Einschüchterung oder gar Gewalt keine Spur. Doch natürlich zeigt auch er nur einen kurzen Ausschnitt des Geschehens, und auch der in der Stellungnahme geschilderte „brutale Polizeieinsatz“ ist nicht enthalten.

Die Grenzen des Demonstrationsrechts

Natürlich stellt die Protestaktion dennoch eine Grenzüberschreitung dar, in der als Reaktion auf behördliche Maßnahmen die Privatsphäre eines einzelnen Beamten verletzt wird – der vage Vorwurf, der Polizist sei „übermotiviert“, kann da auch nicht als Rechtfertigung dienen. Einzelne Straftaten dokumentiert das Video der Demonstranten bereits selbst, insbesondere Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung durch das Anbringen der Flaggen am Eigentum des Polizisten.

Dennoch ist der Polizeibericht, in dem aus dem Singen von Protestliedern eine „lautstarke Stimmungsmache“ wird, unzweifelhaft tendenziös und politisch gefärbt. Am Ende heißt es darin, dass es nun gelte, „der neuen Dimension der Gewalt gegen Polizeibeamte gesamtgesellschaftlich entgegenzutreten und sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen.” Es sind starke Worte wenn man in Betracht zieht, dass rechtlich gesehen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht zu den absoluten Grundpfeilern der Demokratie zählt. Die tragen sogar, dass sich in Ostdeutschland ungehindert offen rechtsradikale Gruppen für ein Festival treffen können, weil auch deren Meinungsfreiheit durch das Grundgesetz gedeckt ist – ein Spannungsfeld, das eine Demokratie aushalten muss.

Die Grenzen des Demonstrationsrechts müssen letztlich immer wieder bis ins kleinste Detail vor Gericht ausgelotet werden. So musste zuletzt etwa auch AfD-Politiker Björn Höcke die Protest-Installation eines Holocaustmahnmals in seiner Nachbarschaft hinnehmen, während die damit einhergehende Überwachung seines Hauses durch die Aktivisten untersagt wurde.

Angesichts der neuen schärferen Polizeigesetze, die jüngst in Bayern verabschiedet wurden, lohnt es sich gerade jetzt für die Medien, auch kleinere Vorkommnisse wie im Wendland und die Rhetorik, die sie umgeben, mit wachen Augen zu begleiten. Schon jetzt werden Forderungen nach einer ähnlichen Verschärfung und einer Ausweitung des Vermummungsverbots in Niedersachsen laut. Journalisten tun gut daran, nicht zu vergessen, dass auch die Polizei kein rein neutrales Instrument ist, sondern hinter ihren Meldungen menschliche Ansichten oder auch taktische Intentionen stehen können.