Protestliteratur: Dokumente des Widerstands

Autor Martin Stankowski übergibt Privatsammlung der Uni- und Stadtbibliothek

Hinten in der Halle mit den Secondhand-Waren werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Hier ein Mikrofontest, dort werden Schmuckgirlanden aufgehängt. Die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) feiert die Eröffnung ihrer neuen Trödelhalle, zum Festakt ist als Redner auch Journalist und Historiker Martin Stankowski eingeladen. Es ist ein guter Ort, um Stankowski zu treffen, schließlich hat der SSM ein gutes Stück der alternativen Geschichte Kölns seit den 1970er Jahren mitgeschrieben. Stankowski gehört zu den Urgesteinen der Stadt. Der Journalist hat lange für den WDR gearbeitet und mit „Der andere Stadtführer“ einen Klassiker der Kölner Guides geschrieben. Bekannt wurde er auch durch seine Zusammenarbeit mit den Kabarettisten Jürgen Becker und Rainer Pause. An Beckers Programm „Biotop für Bekloppte“ hatte er mitgeschrieben. In den 1980er Jahren gründete er das Köln-Archiv, eine Sammlung zu Schriften der Kölner Protestbewegungen, die später im Historischen Archiv aufbewahrt wurde und seit dem Einsturz 2009 als verschollen gilt. Die Alternative Geschichte der Stadt Um die alternative Geschichte der Stadt geht es auch in einem Teil der Privatbibliothek des Autors, die er nun der Universitäts- und Stadtbibliothek vermacht hat. 3000 Bücher, Schriften, Flyer und Broschüren, die nicht immer in herkömmlichen Buchläden zu erhalten waren. Zugute kam ihm dabei, dass Stankowski in den 70er Jahren eine kleine Privatdruckerei besaß, in der das Kölner Volksblatt entstand, aber auch zahlreiche Schriften aus der alternativen Szene gedruckt wurden. Hunderte Kleinschriften der politischen Bewegungen der Stadt – von Frauen-, Öko-, Friedens- oder Sozialgruppen, Dokumentationen und Protestliteratur, alternative Stadtführer oder Parteiprogramme ebenso wie literarische Experimente und Kunstprogramme. Ein paar davon hat er nach Mülheim mitgebracht. Einen kleinen Band mit dem Titel „Kölner Totentanz“ zum Beispiel mit schwarz-weißen Fotografien von Wandmalereien des Schweizer Künstlers Oskar Naegli. 1980 entstand der Zyklus aus mehreren hundert Spraybildern auf Betonpfeilern, Tiefgaragen, zerfallenen Fabrikgebäuden und öffentlichen Bauwerken, die heute nicht mehr zu sehen sind, weil die Stadt die Sprühbilder immer wieder übermalen ließ – selbst an unwirtlichen Orten wie unter der Zoobrücke. Ein anderes Buch dokumentiert die Arbeit von Daniel Spoerri, der mit seinen Mitarbeitern ein Stadtmuseum auf Zet in Köln schuf – das Musée Sentimental de Cologne. Hier wurden besondere Stücke der Stadtgeschichte präsentiert: Das Band dokumentiert Fotos von Exponaten, darunter ein Bild, das den legendären Schlag des Boxers Peter Müller gegen einen Ringrichter zeigt, Heinrich Bölls Bleistifte, ein Konzert Klaus des Geigers in der Mainzer Straße und die Geige von Kardinal Frings. Gleich mehrere Bände befassen sich mit der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) und dem Ableger, dem SSM. Der SSK war, so erläutert Stankowski aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) entstanden. Weil es den Studenten nach 1968 kaum gelungen war, die Arbeiter für ihre Ziele zu gewinnen, wandten sich manche an das Subproletariat. Heimkinder, Obdachlose, Entlassene aus Psychiatrien. Hier leistete der Verein Pionierarbeit: Mitglieder des SSK drangen in psychiatrische Einrichtungen ein und fotografierten wie Bewohner mit Seilen an Betten oder Stühle gefesselt wurden und trugen diese Bilder in die Öffentlichkeit. Eine der schlimmsten dieser Kliniken – in Brauweiler – wurde später geschlossen. Zudem gab es Prozesse gegen Ärzte, die diese Praxis unterstützt hatten. Zahlreiche Hausbesetzungen Andere Schriften zeigen, dass der SSM, der in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert, soziales Engagement zeigte. Eine Ambulanz für illegale Migranten wurde gegründet, zahlreiche Hausbesetzungen durchgeführt, um auf Missstände auf dem Wohnungsmarkt hinzuweisen. Als größte dieser Aktionen gilt die Besetzung eines Hauses an der Aachener Straße. „Es war verkauft, sollte abgerissen werden, die Mieter waren schon raus“, erinnert sich Stankowski. Auch hier war es der SSK, der das Haus nicht nur besetzte, sondern dem es auch gelang, einige der Alt-Mieter zurück in ihre früheren Wohnungen zu bringen. Auf einer benachbarten Wiese wurde ein alternatives Museum Ludwig gegründet. „Davon gibt es noch Broschüren“, sagt Stankowski. „Wir haben damals alle diese Dinge gedruckt“, sagt der Historiker. Köln sei in den 1970er und 1980er Jahren einer der Hauptstädte der Protestbewegung gewesen. Als etwa eine Stadtautobahn geplant war, die von der Zoobrücke durch den Grüngürtel über die Universität bis zum Großmarkt geplant war, habe es spontane Platzbesetzungen gegeben. Und als es im Sommer 1973 zu Hunderten Entlassungen bei Ford gekommen war, protestierten die Arbeiter im sogenannten „Türken-Streik“. „Klaus der Geiger hat damals Musik für die Arbeiter gespielt“, sagt Stankowski. Nachzulesen ist die Geschichte des Streiks im Buch des früheren Kölner DGB-Chefs Wittich Rossmann „Die Geschichte der IG Metall“, die sich natürlich auch in der Sammlung von Stankowski befindet. Ihm sei es nicht schwergefallen, sich von der Sammlung zu trennen, sagt Stankowski. „Neulich habe ich eine Anthropologin getroffen, die das Loblied des Weglassens und Verschenkens sang. Je mehr man weggibt, desto mehr kann man sich auf Neues einlassen.“ Dass die Universität- und Stadtbibliothek sich seiner Sammlung annimmt, mache ihn ein bisschen stolz. Die Sammlung von Stankowski wurde am Donnerstag, 4. April, an die Universität übergeben. Die Bücher und Schriften sind künftig in der Bibliothek einzusehen. Der Katalog ist im Internet abrufbar.www.ub.uni-koeln.de/sammlungen/stankowski/index_ger.html...Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta