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Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz: "Betrunkene Männer sind gefährlicher als psychisch Kranke"

Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wendet ganze Teile des Strafvollzugs auf psychisch Kranke an. (Bild: Getty Images)
Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wendet ganze Teile des Strafvollzugs auf psychisch Kranke an. (Bild: Getty Images)

Die CSU verkündet den Rückzieher: Nach scharfer Kritik an der Einführung einer Zentraldatei zur Erfassung sämtlicher in der Psychiatrie untergebrachter Patienten macht die CSU nun einen Rückzieher. Experten zeigen sich zwar erleichtert, äußern aber weiterhin Bedenken. Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin erklärt, warum.

Bisher hatten es die Bayern mit einer Erneuerung des Unterbringungsrechts aus dem Jahr 1992 nicht eilig – und das obwohl das Bundesverfassungsgericht eine Reform dringend angemahnt hatte. Nun liegt endlich ein Entwurf vor, allerdings wurde dieser schon vor der Beratung am Mittwoch im bayerischen Landtag scharf kritisiert. Betroffene, Angehörige, Mediziner und die bayerische Opposition wehrten sich gegen das Gesetz, das psychisch Kranke in Teilen wie Straftäter behandelt.

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Ein Hauptkritikpunkt ist dieser Satz: „Ziel der Unterbringung ist die Gefahrenabwehr“. Die Kranken werden also primär als Gefahr wahrgenommen. Erst danach geht es um die Hilfe, die ihnen in der Psychiatrie zuteilwerden soll. Noch brisanter erschien vielen ein weiteres Detail: Wer gegen seinen Willen in eine Psychiatrie eingeliefert oder dort festgehalten wird, sollte in einer Datei erfasst werden. Der bisherige Gesetzentwurf sah vor, dass diese Daten fünf Jahre lang gespeichert und für mehrere Behörden, darunter die Polizei, einsehbar sein sollten.

Die Einführung einer Zentraldatei zur Erfassung sämtlicher in der Psychiatrie untergebrachter Patienten wurde nun schon vor der offiziell angesetzten Beratung gekippt. So verkündete der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Rückzieher nach der heutigen Kabinettssitzung und begründete den Entschluss mit den Worten: „An erster Stelle soll die Hilfe für die Betroffenen und Familien stehen.“

Darum wäre eine Zentraldatei gefährlich gewesen

Zu den Experten, die an der bayerischen Reform des Unterbringungsrechts größere Gefahren als Nutzen gesehen haben, zählt auch Prof. Dr. Andreas Heinz. Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin sagt gegenüber Yahoo Nachrichten: „Die Sorge war groß, dass sich Menschen gar nicht erst in Behandlung begeben, gerade bei Selbstgefährdung.“ Schon jetzt vergehen oft fünf bis zehn Jahre, bis sich Kranke professionelle Hilfe suchen. Müssten Betroffene fürchten, in einem Register erfasst zu werden, könnte sich die Hürde weiter erhöhen und damit die Wahrscheinlichkeit steigen, dass sich Menschen erst gar nicht in eine Klinik begeben.

Weitere Kritikpunkte an dem geplanten Gesetz bleiben bestehen

Zwar wird die zentrale Erfassung der Patientendaten vorerst wohl nicht kommen. Doch das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ist damit nicht frei von weiteren Kritikpunkten. Völlig unüblich seien beispielsweise auch die geplanten Überwachungsvorschläge wie die Kontrolle von Bild- und Tonträgern. Dass das neue Gesetz ganze Teile des Strafvollzugs auf psychisch Kranke anwendet, ist für Dr. Heinz ein Knackpunkt, der aber durchaus symptomatisch sei:

„Wenn in den Nachrichten steht, dass der Täter in die Psychiatrie eingeliefert wurde, dann ist damit der Maßregelvollzug – also eine forensische Klinik als Unterbringung für psychisch kranke Straftäter – gemeint. Dies wird leider oft mit akuten Krankenhäusern verwechselt, in die ein kleiner Teil der Patienten, die keine Straftäter sind, auch gegen ihren Willen eingeliefert wird.“ Eine Zwangseinweisung könne erfolgen, wenn Menschen durch ihre psychische Erkrankung nicht mehr einsichtsfähig oder selbstgefährdend seien.

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Das trifft auf etwa 5 Prozent seiner Patienten zu, sagt der Mediziner und nennt typische Beispiele: „Wenn jemand in einer Psychose glaubt, die Lebensmittel wären vergiftet, nichts mehr isst und droht, zu verhungern. Oder jemand will sich im Rahmen einer Depression das Leben nehmen weil er meint, er hat sich endlos verschuldet, obwohl das gar nicht der Fall ist.“

In der Regel seien diese Patienten vor allem eine Gefahr für sich selbst. Und wenn es doch einmal zu Fremdgefährdungen anderer Personen komme, handele es sich meistens um Rangeleien oder Schlägereien, weil sich die Kranken in ihrer Situation bedroht fühlten.

Die fatale Signalwirkung des Gesetzes bleibt bestehen

Zudem hat das Gesetz, das suggeriert, andere Menschen müssten vor psychisch Kranken besonders geschützt werden, eine fatale Signalwirkung. Prof. Heinz: „Das zeigt sich daran, dass jemand, der kein Straftäter ist, einer intensiven Überwachung unterliegen soll, weil vielleicht einzelne davon irgendwann einmal gefährlich werden könnten.“

Die Polizei soll übrigens auch nach der Entschärfung des Gesetzesentwurfs künftig darüber informiert werden, wenn als gefährlich geltende und zwangsuntergebrachte Patienten aus der psychiatrischen Unterbringung entlassen werden, wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) klarstellte. Eine übertriebene Maßnahme, wie ein Beispiel zeigt: „Die meisten Gewalttaten werden von Männern unter Alkoholeinfluss begangen, aber deswegen registrieren wir auch nicht alle Alkohol trinkenden Männer.“ Die Chance, dass ein alkoholisierter Mann gewalttätig wird, sei aber höher, als bei psychisch Kranken, die normalerweise nicht gefährlicher sind als Gesunde.

Erkrankungen der Psyche würden in der Gesellschaft trotz aller Aufklärungsversuche noch immer nicht gleichwertig mit allen anderen Erkrankungen gesehen. Ein Umstand, den das für Bayern geplante Gesetz sicher nicht ändern, sondern noch verstärken dürfte.

(Interview: Ann-Catherin Karg)

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