Quotenhit „Armes Deutschland“: Hartz IV für ausschweifenden Lebensstil

Sie reden von Marmorböden und Türen aus Gold, wollen aber nicht arbeiten gehen. Bald werden Nathalie und Christian Eltern. Foto: RTL 2
Sie reden von Marmorböden und Türen aus Gold, wollen aber nicht arbeiten gehen. Bald werden Nathalie und Christian Eltern. Foto: RTL 2

Die einen rackern sich ab, die anderen bevorzugen ein Leben in der sozialen Hängematte: Die Doku-Reihe „Armes Deutschland“ begleitet Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind oder kurz davorstehen. Die Sendung ist ein Quotenhit geworden. Doch warum?

Am Dienstagabend zeigte RTL 2 gleich zwei Ausgaben „Armes Deutschland“. Die Doku-Reihe begleitet Menschen, die in Armut leben. Dass RTL 2 sich zur besten Sendezeit mit dem Thema Armut auseinandersetzt, scheint lobenswert. Und es scheint, als hätte der Sender dazugelernt: Anders als bei Formaten wie Frauentausch, wo oft gnadenlos vorgeführt und Ausraster unter Regieanweisung provoziert werden, verzichtet „Armes Deutschland“ auf überspitzte Konflikte. Vermutlich, weil die Realität Unterhaltungswert genug hat.

Obdachloser zahlt seinen Hunden eine Pension

Da ist zum Beispiel der dreifache Familienvater Alex, der nicht arbeiten möchte – und das, obwohl er etwa 90.000 Euro Schulden hat. Doch mit Hartz IV kommt er besser davon, meint er zumindest. Der Zuschauer erlebt mit, wie er einen Sanktionsbescheid nach dem anderen erhält und sich wenig einsichtig zeigt: „Wenn man nicht spurt, wird einem das Leben versaut“, wirft der Arbeitsverweigerer dem Staat vor. Wie soll es weitergehen, wenn das vierte Kind des 23-Jährigen zur Welt kommt?

Aus eigener Kraft möchte Carsten sich wieder hocharbeiten: Der Obdachlose schläft auf Parkbänken, während seine Hunde in einer Hundepension verweilen. Das Leben auf der Straße wollte der 48-Jährige den Vierbeinern nicht antun. Etwa 300 Euro zahlt er monatlich für die Pension, von Hartz IV. Er selbst lebe pro Tag von 2,50 Euro plus Pfand vom Flaschensammeln. Die Abwärtsspirale in die Obdachlosigkeit begann, als man ihm vor zwei Jahren eine Herzerkrankung diagnostizierte: Der Koch verlor seine Arbeit – und schließlich seine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Berliner Kurfürstendamm.

Der gelernte Koch Carsten ist seit einem Jahr ohne festen Wohnsitz. Er schläft auf Parkbänken, während er seinen Hunde eine Pension bezahlt. Foto: RTL 2
Der gelernte Koch Carsten ist seit einem Jahr ohne festen Wohnsitz. Er schläft auf Parkbänken, während er seinen Hunde eine Pension bezahlt. Foto: RTL 2

Emotion schafft Quote

So verschieden die Schicksale sind, so verschieden sind die Emotionen, die den Zuschauer an den Fernseher fesseln: Mitgefühl, Unverständnis, Ratlosigkeit. RTL 2 hat mit dem TV-Format „Armes Deutschland“ einen Nerv getroffen. Und ein Thema, über das geredet werden muss: Schließlich leben laut dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung knapp 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze.

Doch eine wirkliche Dokumentation ist „Armes Deutschland“ dennoch nicht: Offensichtlich werden die Teilnehmer in „gut“ und „böse“ eingestuft. Der gute Obdachlose, der sich bemüht – im Gegensatz zum bösen Vater, der nichts tut. Es scheint, als würden Grauzonen dazwischen, die ein eindeutiges Schwarz-Weiß-Bild ins Wanken geraten lassen könnten, schlicht ausgeblendet werden. Das zeigen auch die Beispiele der darauffolgenden Sendung

Ausschweifender Lebensstil trotz Hartz IV

Fassungslosigkeit rufen Nathalie und Christian hervor: Die werdenden Eltern leben von Hartz IV, arbeiten ist keine Option für die 24-Jährige und ihren zwei Jahre jüngeren Freund. Dennoch möchten sie nicht auf ihren Lifestyle verzichten: 150 bis 200 Euro gibt Christian nach eigenen Angaben monatlich für Klamotten aus. 500 Euro kosten Nathalies Haar-Extensions, 40 bis 50 Euro die Nägel, die sie sich alle vier Wochen machen lässt. Auch gehen die beiden gerne feiern: 100 Euro hat sich Christian für einen Abend von einem Freund geliehen. Das Paar ist in eine neue Wohnung gezogen. Marmorböden statt Laminat und Türen aus Gold hätten Christian besser gefallen – aber das zahle das Amt nicht.

Im Gegenzug rackert die 54-jährige Martina: Zusammen mit ihrem Mann Paul haben sie ihre Enkelin aufgenommen, damit diese nicht ins Heim muss. Die fünf-Jährige wird bald eingeschult – eine Herausforderung für die Großeltern. Dennoch fällt es ihnen schwer, dem Kind Wünsche abzuschlagen. Martina sucht nach einem dritten Job.

So sehr man zu Beginn der Sendung die unaufdringliche Art des Formats loben möchte, so sehr wird man am Ende doch enttäuscht: Eine Ehefrau rastet bei einem Ehekrach aus, der Mann haut ab. Was macht RTL 2? Hält die Kamera drauf. Eine Mutter bricht vor der Kamera in Tränen aus. Sie fragt nach einer kurzen Pause und zieht zurück. RTL 2 filmt sie heimlich von Weitem beim Weinen. Letztlich ist es vielleicht doch die pure Schaulust, was die Quote hält. Denn wäre diese schlecht, wäre Armut auch kein Thema zur besten Sendezeit.