Rücktritt der Grünen-Spitze - Angefeindet, ideologisch stur: Wie Lang Karriere machte und zum Grünen-Problem wurde
Ricarda Lang hat bei den Grünen eine steile Karriere hingelegt. Doch für die Partei wurde sie immer mehr zum Problem: teils wegen Anfeindungen gegen sie, teils wegen eigener Fehler. Dass die Politikerin zuletzt befreiter aufspielte, hat das Chef-Aus nicht mehr verhindert.
Das abrupte Ende der Amtszeit von Ricarda Lang und Omnid Nouripour überrascht. Denn (vor allem) für die nun nur noch geschäftsführende Grünen-Vorsitzende ging es lange Zeit nur in eine Richtung: nach oben.
Als sie das Amt Anfang 2022 übernommen hatte, stand die Partei noch verhältnismäßig gut da. Die Grünen hatten da gerade ein ordentliches Bundestagswahlergebnis eingefahren, das sie immerhin nach langer Zeit wieder in die Regierung führte. Weil die zu dieser Zeit alles überstrahlenden Gesichter der Partei, Annalena Baerbock und Robert Habeck, zu Ministern wurden und bei den Grünen eine Trennung von Parteiamt und Mandat gilt, brauchte es frischen Schwung in der Führung.
Den fand die Partei in der damals 28-Jährigen. Zwei Jahre als Bundessprecherin der Grünen Hochschulgruppen, zwei Jahre als Bundessprecherin der Grünen Jugend und drei Jahre als stellvertretende Bundesvorsitzende hatte sie da schon hinter sich – der Schritt an die vorderste Front war da nur die logische Konsequenz. Mit für die Grünen ordentlichen 75,9 Prozent wurde sie dann zusammen mit Omid Nouripour zur Vorsitzenden gewählt.
Lang als Feindbild der Rechtspopulisten wurde zum Strategie-Problem
Die kommenden Ampel-Krisen und Wahlniederlagen der Grünen waren da noch nicht abzusehen. Und dennoch muss Lang klar gewesen sein, dass ihr der Gegenwind nun noch stärker ins Gesicht blasen wird. Denn schon vor der Wahl zur Vorsitzenden hatte sich angedeutet, dass die aus Baden-Württemberg stammende Politikerin zum Feindbild vor allem von AfD-Politikern aber auch rechten Trollen im Internet werden könnte.
Die Angriffspunkte: Lang ist für die Spitzenpolitik noch sehr jung, gendernde Feministin noch dazu. Ihr Studium hat sie abgebrochen, Berufserfahrung außerhalb der Politik ist nicht vorhanden. Während das alles noch Teil einer harten, aber gesitteten Debatte hätte sein können, wurde Lang auch aus ganz privaten Gründen immer heftiger angegangen, unter anderem für ihr Übergewicht und ihre Bisexualität.
Das empörte zwar viele bei den Grünen und Lang erhielt dafür viel Mitgefühl. Strategisch war es dennoch ein Problem für die Partei: „Ricarda zwingt uns immer wieder Debatten über Bodyshaming und Feminismus auf. Wir kommen gar nicht mehr dazu, über unsere Inhalte zu reden“, zitiert die „Zeit“ ein Grünen-Mitglied als Beispiel dafür.
Das linke und ideologische Gesicht der Ampel
Politisch war Lang während ihrer Zeit als Vorsitzende für viele das linke und ideologische Gesicht der Ampel. Zum Beispiel in der Migrationspolitik schien es ihr zunächst sichtlich schwerzufallen, einen echten Kurswechsel einzuleiten. Kritik am Bürgergeld wischte sie beiseite: „Die Idee, der Wirtschaft gehe es besser, wenn wir unsozialer werden, ist grundfalsch und destabilisiert unser Land“, erklärte sie dem „Spiegel“. So verfestigte sich das Bild, Lang kümmere sich nicht um die Kritik an der Ampel-Politik und sei ideologisch verbohrt.
Für den Niedergang der Regierung und der Grünen hat Lang dennoch nie die Inhalte zum Kern der Fehleranalyse gemacht. Das Narrativ, das sich in der Partei festsetzte, lautete anders: Eigentlich machen wir alles richtig und müssen es nur besser kommunizieren. Und ohnehin sind wir der ultimative Sündenbock für alles.
Unbeliebt und von Habeck überstrahlt
Dabei sind zum Beispiel die Niederlagen bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland auch Teil eines Strategie-Problems der Grünen-Führung. Der ehemalige Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer hat bei X darauf hingewiesen, dass die Grünen den Kampf gegen die AfD zum zentralen Thema der Wahl gemacht hätten. Das habe dazu geführt, dass sich die Grünen-Anhänger aber lieber den aussichtsreichsten AfD-Herausforderern zugewendet hätten, also zum Beispiel der SPD mit Ministerpräsident Dietmar Woidke in Brandenburg.
In den Politiker-Beliebtheitsrankings tauchte Lang – wie auch ihr Co-Vorsitzender Nouripour – zuletzt nicht einmal mehr auf. Ohnehin hatte die grüne Ämtertrennung dafür gesorgt, dass Lang und Nouripour oftmals von Habeck und Baerbock überstrahlt wurden.
Für eine Kanzlerkandidatur 2025 standen die beiden Parteivorsitzenden niemals ernsthaft zur Debatte. Weil Lang und Nouripour schützend die Hand über den von Krisen verfolgten Habeck gehalten haben, konnten sie sich nie ernsthaft von der Kritik an ihm absetzen.
Zuletzt hat Lang befreiter aufgespielt
Wann Lang den Entschluss zum Rückzug getroffen hat, ist unklar. Auffällig ist, dass sie schon seit einigen Wochen wie befreit auftrumpfte, sich auch unideologischer als früher zeigte. Im sächsischen Landtagswahlkampf sagte sie zum Beispiel das Gendern sei ihr „persönlich ziemlich egal“ , das sei keine zentrale Frage, man müsse zudem weniger moralisierend Politik machen.
In einem Vodcast von FOCUS online äußerte Lang sich kürzlich auch zu einem viel beachteten Patzer. Bei einem früheren Talkshow-Auftritt hatte sie die deutsche Durchschnittsrente nicht nennen können. Im Talk gestand sie nun unumwunden ein, den Unmut der Leute darüber zu verstehen. Sie habe sich im Anschluss deshalb ausführlich zu dem Thema informiert.
Und schließlich änderte sich auch ihr Auftreten in den sozialen Medien: Ein Bild Langs mit einer angesetzten Bierflasche, das nach den Wahlniederlagen in Sachsen und Thüringen entstanden ist, ging regelrecht viral – auch befeuert durch den selbstironischen Kommentar der Politikerin bei X.
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Das mag ihr zwar neue Sympathien eingebracht haben. In der Partei war das für viele aber offenbar kein angemessener Umgang mit der Ernsthaftigkeit der Lage, wie die „Zeit“ berichtet. Der Rücktritt ist nun der finale Befreiungsschlag von Lang. Das endgültige Ende von Langs politischer Karriere muss er aber nicht sein. Jung genug ist sie schließlich noch – und sie weiß, wie man sich in der Politik nach oben arbeitet.