Nach dem Rücktritts-Beben - Habeck-Vertraute mit pikanter Vergangenheit: Diese Frau könnte bald die Grünen führen
Nach dem Rücktritt der Grünen-Führung muss die Partei sich neu sortieren. Der Zeitplan dafür steht – und wahrscheinlich ist auch, dass eine Habeck-Vertraute zur neuen Chefin wird. Abgesehen davon sind aber noch viele Personalfragen offen.
Obwohl der Rücktritt der Grünen-Spitze um Ricarda Lang und Omid Nouripour viele in der Partei überrascht hat, echtes Chaos hat er nicht ausgelöst. Denn zumindest der Fahrplan zu einer neuen Führung war sofort klar. Schon lange ist der nächste Parteitag für den 15. bis 17. November in Wiesbaden terminiert.
Für diejenigen, die sich um die Nachfolge von Lang und Nouripour bewerben wollen, bedeutet das: Sie müssen sich schnell aus der Deckung wagen. Es bleiben keine zwei Monate, um in der Partei für Unterstützung zu werben. Gerade bei den Grünen, wo Realos und Fundis sich teilweise noch immer kritisch beäugen, ist das essenziell.
Schon vor der öffentlichen Rücktrittserklärung kursierten Namen für die Nachfolge
Und so kursierten schon am Mittwoch, noch bevor Lang und Nouripour ihre Entscheidung öffentlich erklärt hatten, erste Namen. Einer, der mehreren Medienberichten zufolge so gut wie gesetzt ist für den Vorsitzenden-Posten, ist Franziska Brantner.
Die 45-Jährige aus Baden-Württemberg ist in der Breite der Bevölkerung noch eher unbekannt. Sie bringt aber einen entscheidenden Vorteil mit sich: Sie ist eine Vertraute von Robert Habeck. Dass der Wirtschaftsminister und Vizekanzler bei der Vorsitzenden-Wahl Einfluss nehmen wird, ist nur logisch.
Zum einen wird er auf dem Parteitag im November voraussichtlich zum Kanzlerkandidaten gekürt werden. Eine Parteivorsitzende von Habecks Gnaden hätte für ihn selbst, womöglich aber auch die Partei, den Vorteil, dass man im anstehenden Bundestagswahlkampf an einem Strang ziehen würde. Das war bei den Grünen nicht immer der Fall. Selbst ohne das Vorsitzenden-Beben hätte Brantner eine zentrale Rolle bei Habecks Kanzlerkandidatur gespielt: Er soll sie als seine Wahlkampfmanagerin auserkoren haben.
Brantner ist unter Habeck „die heimliche Ministerin“
Zum anderen hat Habeck auch bislang schon immer die nun scheidenden Vorsitzenden überstrahlt. Sein Wirtschaftsministerium ist ein Machtzentrum für ihn und damit auch der Partei. Und eben dort ist Brantner parlamentarische Staatssekretärin. Das „Handelsblatt“ bezeichnete sie in dieser Rolle als „die heimliche Ministerin“, zuständig für die entscheidenden Themen auf Habecks Agenda.
In gewisser Weise würde ein Aufstieg Brantners an ein SPD-Drehbuch erinnern: In der Großen Koalition hatte der damalige Vizekanzler Olaf Scholz das Finanzministerium zu seinem Machtzentrum ausgebaut, sein Vertrauter Wolfgang Schmidt war Staatssekretär. Später zog dieser im Bundestagswahlkampf für Scholz die Fäden. In der Ampel-Koalition stieg Schmidt schließlich zum Chef des Kanzleramts auf.
Brantner bringt Erfahrung aus Wissenschaft, Parlamenten und Partei mit
Für Brantner spricht außerdem ihre langjährige Erfahrung in Partei und Parlamenten. Mit 17 Jahren trat sie der Grünen Jugend bei, arbeitete sich sofort hoch in den Landesvorstand. Schon ein Jahr später war sie Mitglied im Bundesvorstand der Jugendorganisation.
Parallel zu ihrer politischen Karriere arbeitete Brantner an der wissenschaftlichen. In beiden Feldern liegt ihr Fokus auf internationaler Politik und Europa. 2009 kandidierte sie bei der Europawahl und arbeitete am Programm der Grünen dafür mit. Nach dem Einzug ins Parlament in Straßburg wurde Brantner gleich außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Nebenbei schloss sie 2010 ihre Promotion als Sozialwissenschaftlerin ab.
Brantner hat einen bei den Grünen umstrittenen Ex-Mann
2014 folgte dann der Wechsel in den Bundestag, wo Brantner seither sitzt. Ihren Fokus auf Außen- und Europapolitik hat sie beibehalten, auch im Wirtschaftsministerium. Dort ist sie zum Beispiel für die weltweite Suche nach Rohstoffhändlern zuständig. Zudem ist Brantner für die Bundesregierung Sonderbeauftragte für die Umsetzung der internationalen Initiative für mehr Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor.
Brantner gilt als durchsetzungsstark und strategisch klug. In der Vergangenheit hatte sie auch schon eine ganz persönliche Beziehung innerhalb der Partei: Bis 2013 war Brantner nämlich mit dem Tübinger Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer verheiratet, sie haben eine gemeinsame Tochter. Palmer ist mittlerweile in der Partei und darüber hinaus wegen seiner Ausfälle in Verruf geraten.
Ist Brantner gesetzt, greift die grüne Flügel-Logik
Wäre Brantner für die Parteispitze gesetzt, ergäbe sich daraus in der Grünen-Logik auch der mögliche Kreis für ihren Co-Vorsitzenden. Brandtner gehört wie viele in ihrem baden-württembergischen Landesverband dem Realo-Flügel an. In der Bundestagsfraktion koordiniert sie sogar die Gruppe der pragmatischen Abgeordneten.
Der linke Parteiflügel würde den zweiten Vorsitzenden-Posten also sicher für sich beanspruchen. Habeck sollte sich dem nicht entgegenstellen, wenn er um die Einheit der Partei bemüht ist. Wer für den linken Flügel zum Zug kommt, ist offenbar weniger klar. Gehandelt wird zum Beispiel Felix Banaszak. Er war vier Jahre lang Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, aktuell führt er die Gruppe der Bundestagsabgeordneten aus diesem Bundesland an.
Beim linken Flügel sind zwei rhetorisch starke Politiker im Gespräch
Dass Banaszak rhetorisches Talent mitbringen würde, hat er im vergangenen Jahr bewiesen. Auf einen AfD-Antrag erwiderte er in Reimform einer sehr kurzen Bundestagsrede: „Wer belastet so spät den Bundestag? Es ist die Fraktion, die keiner mag. Sie stellt einen Antrag, dem du nicht entkommst. Wir lehnen ihn ab – ja was denn auch sonst.“ Inhaltlich steht der Haushalts- und Wirtschaftspolitiker unter anderem für die Einführung eines Klimageldes. Zudem forderte Banaszak als einer der ersten einen Untersuchungsausschuss zum Bau von Nord Stream 2.
Neben ihm gilt Andreas Audretsch als möglicher Kandidat für den linken Teil des Parteivorsitzes. Er ist derzeit stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zuständig für die Themen Finanzen, Haushalt, Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Audretsch ist ein Gegner der Schuldenbremse. Wie Banaszak gilt er als guter Redner.
Auch ein Habeck-Nachfolger und ein Sicherheitsexperte haben Chancen
Beim Zusammenstellen einer paritätischen Doppelspitze kann aber auch Unvorhergesehenes passieren – auch bei der angeblich gesetzten Brantner. „Politico“ bringt deshalb noch weitere Namen ins Spiel, die Habeck wohl gefallen dürften: Zum einen Jan Philipp Albrecht, der ihm Schleswig-Holstein als Landwirtschaftsminister nachfolgte. Aktuell ist Albrecht nicht direkt in der Politik aktiv, sondern Vorstand der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.
Im Rennen sieht „Politico“ außerdem Konstantin von Notz., ebenfalls aus Schleswig-Holstein. Der Jurist ist seit 2009 im Bundestag und stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der Innenpolitiker gilt als profiliert in Sicherheitsfragen – sicher kein Nachteil in Zeiten heftiger Migrationsdebatten.
Trennung von Parteiamt und Mandat macht Kandidatur für manche unattraktiv
Zudem werden nun einige Landesverbände prüfen, wen sie in der Parteiführung positionieren könnten, auch bei den Stellvertreterposten. Der bayerische Dauerbrenner und ehemalige Fraktionsvorsitzende Toni Hofreiter könnte wieder einen Angriff wagen. Aus Bayern wäre außerdem die Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Katharina Schulze, ein frisches und prominentes Gesicht.
Mancher, der gerne in der Partei Verantwortung übernehmen will, wird allerdings vor einem Dilemma stehen: Denn bei den Grünen gibt es – zumindest noch derzeit – die Regel, dass Parteiamt und Mandat getrennt sein müssen. Für einen Bundesminister zum Beispiel könnte der Wechsel in die Parteiführung eher unattraktiv sein. Die Grünen-Regel wird übrigens auch Brantner treffen, wenn sie tatsächlich zu Vorsitzenden gewählt wird. Ihren Posten als Staatssekretärin müsste sie dann aufgeben.
Wer wird für die Grünen den Bundestagswahlkampf organisieren?
Neben der Wahl der Parteivorsitzenden könnte für das Wohl der Grünen auch entscheidend werden, wer den Posten des politischen Geschäftsführers übernimmt. Er ist vergleichbar mit dem eines Generalsekretärs. Bislang war das Emily Büning, die aber wenig bekannt ist und sowohl bei der internen Wahlkampforganisation als auch öffentlich glücklos agierte.
Dass Habeck schon vor einigen Wochen mit Brantner eine Wahlkampfmanagerin vor Büning setzen wollte, war Ausdruck seines Misstrauens, wie mehrere Medien berichten. Doch wenn Brantner nun zu höherem berufen ist, wird sich die Frage neu stellen, wer im Bundestagswahlkampf die Strippen ziehen soll. Als politischer Geschäftsführer im Gespräch ist unter anderem der erst 28-jährige Bundestagsabgeordnete Bruno Hönel, zudem der linke Europaparlamentarier und Flüchtlingshelfer Erik Marquardt sowie der NRW-Landesvorsitzende Tim Achtermeyer. Habeck wäre sicher nicht mit allen gleichermaßen zufrieden.
Und schließlich könnte bei dem Parteitag im November doch alles anders kommen: Wie FOCUS online berichtet hat , könnten die Grünen auch grundsätzliche über ihre Führungsstruktur nachdenken. Sogar die revolutionäre Idee, die Doppelspitze zu beenden, steht im Raum. Zwischen den beiden Parteiflügeln würde das wohl ganz neue Kämpfe auslösen.