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Ralph Siegel über heutiges Musikgeschäft: "Die Zeit der Virtuosen ist vorbei"

Früher sei nicht alles besser gewesen, aber anders: Produzentenlegende Ralph Siegel, der am 30. September 75 Jahre alt wird, blickt im Interview wehmütig auf vergangene Zeiten zurück, als Sänger noch Talent brauchten und Neuwagen über einen CD-Player verfügten.

Unzählige Schlager- und Chanson-Hits, 25 Teilnahmen am Eurovision Song Contest sowie dessen Vorgänger, ein ESC-Sieg ("Ein bisschen Frieden") und über 20.000 angemeldete Titel bei der GEMA: Ralph Siegel, der am 30. September 75 Jahre alt wird, dürfte im Musik-Business so ziemlich alles erlebt haben. Im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau registriert er jedoch einen krassen Wandel des Musikgeschäfts. Beispielsweise sei Gesangstalent, anders als früher, heute nicht mehr zwingend nötig, um einen Hit zu landen. "Man muss heute nicht mehr singen können, um Texte zu transportieren. Die Leute rappen dann eben. Oder sie erzeugen einen Loop aus einer kurzen Sequenz und verändern sie mit dem Computer." Die Songschreiber- und Produzentenlegende ist sich sicher: "Die Zeit der Virtuosen ist vorbei."

Wenn Siegel im Interview weiter beklagt, dass die klassische Welt des Liedschreibens "tot" sei, schwingt viel Wehmut mit. Inzwischen könne sich "jeder etwas mit Technik zurechtschustern, auch wenn man dafür natürlich immer noch eine musische Begabung braucht", erklärt der Komponist. Er selbst konzentriere sich mittlerweile auf das Schreiben von Musicals.

Grundsätzlich hat er seine Leidenschaft für die Musik nicht verloren, aber das Drumherum macht Siegel offenbar zu schaffen: "Das Komponieren und Produzieren macht mir noch sehr viel Spaß, aber der Beruf selbst hat sich in den letzten Jahren komplett verändert. Zum Negativen", bedauert er die aktuellen Entwicklungen in der Musikindustrie. Diese habe sich nach Ansicht des "Dschinghis- Khan"-Komponisten fundamental verändert: "Wir verkaufen heute fast keine CDs mehr. Schallplatte und Kassette stehen schon längst im Museum. Wenn ich mir heute einen neuen Mercedes kaufe, ist da gar kein CD-Player mehr drin", stellt er resigniert fest, dass die große Zeit haptischer Datenträger wohl vorbei ist.

Abgelehnt vom ESC-"Writer Camp"

Als Ewiggestriger möchte der bald 75-Jährige, der gerade eine neue Autobiografie veröffentlichte ("Mehr als ein bisschen Frieden"), aber nicht verstanden werden: "Wenn man mich fragt, ob es früher besser oder schlechter war, sage ich: Es war einfach anders. Wir sind als Kinder mit einem Bruchteil der Reize und Informationen von heute aufgewachsen." Er habe dafür eine ausgiebige musikalische Erziehung genießen dürfen: "Ich hatte Zeit, vier Musikinstrumente und vier Sprachen von der Pike auf zu lernen." Dies habe er vor allem seinen Eltern zu verdanken. "Wer würde sich heute noch die Zeit dafür nehmen?", fragt Siegel rhetorisch.

Obwohl, oder gerade weil er beim ESC schon große Erfolge feierte, ist auch der europäische Gesangswettbewerb für Siegel nach wie vor ein Thema. "Ich würde schon noch mal gerne teilnehmen, am liebsten natürlich für Deutschland", gesteht er. Das läge jedoch nicht in seiner Macht, sondern in den Händen der verantwortlichen NDR-Gremien. "Ich habe mich vor zwei Jahren mal für das sogenannte 'Writer Camp' beworben, wurde aber abgelehnt", erzählt Ralph Siegel. Die Erklärung fällt vergleichsweise kurios aus: "Man sagte mir, ich wäre zu prominent dafür."