"Rassisten sollten einsehen, dass Rassismus Zeitverschwendung ist"

Als Moderator der RTLZWEI-Politiksendung "Endlich Klartext" räumte Abdelkarim 2018 den Deutschen Fernsehpreis ab. In der zweiten Staffel fädelt der Comedian ab 18. Februar erneut "beeindruckende Begegnungen" zwischen Politikern und Bürgern ein.

Zugegeben - RTLZWEI und den Deutschen Fernsehpreis würde nicht jeder zwangsläufig miteinander in Verbindung bringen. Und dann auch noch mit einem Politikformat? Doch die Sendung "Endlich Klartext" setzte sich bei der Preisverleihung 2018 in der Kategorie "Beste Information" gegen die Konkurrenz vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch. Als Moderator führte Abdelkarim durch das Format, das Politiker direkt mit ihren Wählern zusammenbringt und mit deren Schicksalen konfrontiert. Auch in der zweiten Staffel der Sendung, die am Dienstag, 18. Februar (22.25 Uhr), startet, ist der 38-Jährige wieder mit von der Partie. Im Interview spricht der Comedian mit marokkanischen Wurzeln über den richtigen Umgang mit der AfD, erklärt, warum Satire nicht allen gefallen muss und verrät, weshalb er sich manchmal wie ein Transformer fühlt.

teleschau: Wann haben Sie sich zuletzt über Politik aufgeregt?

Abdelkarim: Was mich immer wieder ärgert, ist, dass es in der Außendarstellung oft gar nicht mehr um Politik an sich geht. Bei vielen Fernsehauftritten gewinnt man den Eindruck, dass einige Politiker nur zeigen wollen, was für geile Typen sie doch sind. Oft gilt es dann nur, den Gegner rhetorisch an die Wand zu nageln, und es geht weniger um die Sache selbst.

teleschau: Welche politischen Aspekte interessieren Sie besonders?

Abdelkarim: Ich interessiere mich eigentlich für alles, auch wenn ich nicht fünf Stunden täglich Zeitung lese. Ein Fachmann, der richtig in die Themen eintaucht, bin ich nicht. Ich sehe mich als interessierten Bürger mit ganz vielen Wissenslücken. Ich habe zum Beispiel erst durch die Sendung, die auf Sozialthemen fokussiert ist und die Vorbereitung darauf, gemerkt, wie viel wirklich im Argen liegt - ohne jetzt Schuldzuweisungen auszusprechen. Politiker sind keine Superhelden, die alleine die Welt retten können. Doch ohne Zweifel gibt es Baustellen.

teleschau: Welche der Begegnungen in "Endlich Klartext" hat Sie besonders bewegt?

Abdelkarim: Eigentlich fand ich alle Begegnungen sehr beeindruckend. Das waren Dinge, die mich nicht direkt betreffen, von denen ich durch mein Umfeld aber schon einmal gehört hatte - wenn auch nicht in der Wucht wie beim Drehen. Wie die Politiker auch bin ich in eine fremde Lebenswelt eingetaucht. Ich habe zum Beispiel eine Frau kennengelernt, die ihre beiden Eltern pflegen muss, die wiederum nicht mehr zusammenleben. Sie besucht abends trotz Job sowohl Vater als auch Mutter, obwohl das zeitlich eigentlich gar nicht möglich ist. Das war extrem krass, wie viel Einsatzwille und Durchhaltevermögen diese Frau aufbringt.

"Demokratie ist harte Arbeit"

teleschau: Was nehmen Sie aus diesen Treffen für sich selbst mit?

Abdelkarim: Wahrscheinlich mehr, als man in Worte fassen kann. Auf jeden Fall, dass man aufmerksamer durch die Welt gehen und den Leuten einfach mal zuhören sollte. Ich habe für mich gelernt, dass es wichtig ist, mehr Interesse am Leben meiner Mitmenschen zu zeigen - egal, ob das Freunde oder Nachbarn sind.

teleschau: Wie haben Sie die Protagonisten beim Aufeinandertreffen mit den Politikern erlebt - hoffnungsvoll oder eher resigniert?

Abdelkarim: Das war eine Mischung aus allem, was aber auch normal ist. Demokratie ist nun einmal harte Arbeit. Einige waren sich zwar bewusst, dass der eine Politiker nicht Schuld an ihrer persönlichen Misslage hat, trotzdem müsste die Politik mehr machen. Was viele Menschen verwunderte, ist dass viele Politiker am Lebensalltag vorbei regeln. Das haben sie ihnen teilweise sehr deutlich mitgegeben. Dass sich kurzfristig an ihrer Lage nichts verändern wird, mussten sich allerdings auch einige der Leute eingestehen.

teleschau: Welches Feedback hat Sie nach dem Sozialexperiment von den Politikern erreicht?

Abdelkarim: Die meisten von ihnen waren überwältigt, obwohl sie alle von diesen Problemen wussten. Aber wirklich in diese Welt einzutauchen und im Gespräch mit den Betroffenen Farbe zu bekennen, fiel einigen schwer. Das war nicht dieser Schonraum Talkshow, wo man mit anderen Fachleuten am Tisch sitzt und über Probleme redet, ohne dass Betroffene dabei sind. Da kann man sich leichter mit einer Floskel rauswinden. Im direkten Gespräch hört man Geschichten, die wirklich so passieren und die Protagonisten schon lange beschäftigen. Das führte teilweise bei den Politikern zur Erkenntnis: "Die Regeln, die wir machen, sind nett gemeint und in der Theorie auch gut, aber führen in diesem Fall zu nichts. Und dieser Fall ist exemplarisch für viele viele andere." Da sind einige Hausaufgaben mit nach Hause zu nehmen.

teleschau: Von Haus aus sind Sie Comedian. Hatten Sie Probleme, in der Rolle als politischer Vermittler ernst genommen zu werden?

Abdelkarim: Das kann ich schwer beantworten, weil ich natürlich nicht bei den Vorgesprächen der Politiker mit ihren Leuten dabei war. Aber klar, die meisten werden wohl sagen: "RTLZWEI und Politik - das passt gar nicht. Und dann noch ein Marokkaner als Moderator, der eigentlich Comedy macht." In der Sendung haben die Politiker aber schnell gemerkt, dass es nicht um Comedy oder mich selbst geht, sondern dass die Menschen im Vordergrund stehen, die wir besuchen.

"Reines AfD-Bashing finde ich nicht gut"

teleschau: In der ersten Staffel haben Sie ein breites Spektrum abgedeckt, waren unter anderem mit einem AfD-Mann unterwegs. In den sozialen Medien kritisieren Sie die Partei regelmäßig. Würden Sie dennoch erneut mit einem AfD-Politiker auf die Reise gehen?

Abdelkarim: Die AfD ist eine Partei, die eine Hauptrolle in Deutschland spielt und die man deswegen nicht außen vor lassen kann. Man muss auch mit Leuten sprechen, die komplett anderer Meinung sind. Es ist aber ein Unterschied, alles abzunicken, oder ganz klar zu argumentieren, dass es völliger Nonsens ist, was die Leute verbreiten. Bei der aktuellen Staffel ging es aber um Sozialthemen, und da konnten wir nur Parteien anfragen, die auch eine sozialpolitische Agenda haben.

teleschau: Sowohl die Medien als auch Politiker wirken im Umgang mit der AfD oft hilflos ...

Abdelkarim: Ich habe auch kein Paraderezept. Reines AfD-Bashing finde ich aber nicht gut. Meiner Meinung nach ist es der beste Weg, mit Argumenten und ganz viel Geduld der AfD zu zeigen: "Das, was ihr macht, ist einfach absurd, sinnlos, rassistisch und in vielerlei Hinsicht gegen die Werte im Grundgesetz." Das braucht natürlich viel Zeit, weil die AfD lieber harte Parolen wählt. Leider sind viele Menschen für solche knackigen Parolen und für einfache Lösungen empfänglich. Aber wer in einer Demokratie zu schwierigen Herausforderungen einfache Lösungen bietet, ist an Lösungen nicht interessiert.

teleschau: Die "Umweltsau"-Affäre rund um den WDR-Kinderchor sorgte unlängst für eine Kontroverse. Sie sprachen davon, dass nach Witzen mitunter "Bürgerkriegsstimmung" herrsche. Wie haben Sie diesen öffentlichen Aufschrei erlebt?

Abdelkarim: Zum Fall an sich kann ich als Außenstehender wenig sagen, weil ich nicht nachvollziehen kann, was in diesen drei, vier Tagen beim Sender los war. Ich fand krass, was da passiert ist, aber auch irgendwie lustig, dass da wegen "Umweltsau" eine Revolution angezettelt wird. Schaum vorm Mund mag zwar sexy aussehen, hat aber noch nie Probleme gelöst. Man kann Satire nach allen Regeln der Kunst kritisieren. Nicht allen muss Satire gefallen. Aber auch die, denen es nicht gefällt, sollten sich beruhigen und das Ganze einordnen. Wenn mir das nicht gefällt, dann zappe ich weg und fertig. Gleichzeitig finde ich es nicht richtig, dass Leute nach dem Entfernen des Videos vehement den Rücktritt Tom Buhrows gefordert haben. Dieser aggressive Ton bringt nichts - auf beiden Seiten.

"Ich erlebe immer wieder Vorurteile und Rassismus"

teleschau: Verstärkt durch die sozialen Medien entlädt sich immer wieder eine Empörungskultur. Auch Sie greifen mitunter in Ihren Programmen zu Provokationen und loten Grenzen aus. Haben Sie Sorge vor einem Shitstorm?

Abdelkarim: Angst vor einem Shitstorm habe ich nicht. Es wird sich immer jemand auf den Schlips getreten fühlen, egal wie man etwas ausdrückt. Wenn ich jemanden kritisiere, dann mit dem Ziel, dass diejenigen im Optimalfall am lautesten mitlachen. Mein Ziel ist es nicht, Menschen rhetorisch vorzuführen. Beispiel Rassismus ...

teleschau: Ja?

Abdelkarim: Ich möchte im Optimalfall Leute zurückgewinnen. Rassisten sollten einsehen, dass Rassismus Zeitverschwendung ist. Empörungskultur mag hier und da für Klicks oder virale Hits sorgen, aber auf Dauer hetzt das die Leute eher gegeneinander auf. Klar, eine natürliche Wut überkommt einen ab und an. Wenn man Rassismus erlebt, ist es vollkommen verständlich, dass man auch mal sauer ist und auf den Tisch haut. Aber vor allem als Unbeteiligter sollte man sich über eins klar werden: Diese Hetzspirale zu befördern, ist nur im Sinne der AfD.

teleschau: Sie sind marokkanischer Herkunft. Mussten Sie in Ihrem Alltag schon Rassismus und Diskriminierung erleben?

Abdelkarim: Schon sehr oft. Die Geschichten, die ich auf der Bühne erzähle, sind so zum Großteil auch im wahren Leben passiert, wenn auch hier und da bühnentauglich aufgepimpt. Ich erlebe immer wieder Vorurteile und Rassismus, aber die meisten Vorfälle sind lustig und machen Spaß. Trotzdem haben auch die witzigen Erlebnisse immer einen ernsten Ausgangspunkt, etwa eine ältere Dame, die ihre Handtasche 800-mal um ihr Handgelenk wickelt, wenn sie mich sieht. Oder Polizisten, die mich wegen meiner etwas dunkleren Hautfarbe aus Hunderten herauspicken. Ich versuche, da immer drüber zu stehen. Wenn mir etwas auf den Sack geht, ziehe ich es ins Lächerliche oder versuche meinem Gegenüber durch mein entspanntes Verhalten zu zeigen, dass es gerade sehr peinlich ist, was hier passiert. In der Regel reicht das, sofern die körperliche Unversehrtheit nicht in Gefahr ist.

"Ich war schon immer der Klassenclown"

teleschau: Ihr Werdegang vom marokkanischen Migrantenkind zum Politkomiker ist alles andere als gewöhnlich. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Abdelkarim: Es steckt kein Plan dahinter, das hat sich alles so entwickelt. Durch die erste Comedy-Welle, die ich mit "RTL Samstag Nacht", Volker Pispers und Ingo Appelt erlebt habe, habe ich gemerkt, dass es Comedy als Beruf gibt. Ich war schon immer der Klassenclown, aber das wusste ich nicht. Darauf das wirklich in die Tat umzusetzen, bin ich erst später gekommen, als mich Freunde dazu ermutigten.

teleschau: Gibt es Momente, in denen Sie bereuen, Ihr Jura-Studium abgebrochen zu haben?

Abdelkarim: Nein, auch wenn es schade ist, es nicht abgeschlossen zu haben. Ich hatte immer drei Traumjobs - Fußballprofi, Jurist und Comedian. Da war der Weg über Jura eigentlich der kürzeste. Dass es mit Fußball nicht klappt, war spätestens nach der zweiten Klasse klar. Comedy kam dann mit 15 oder 16 Jahren dazu, später dann zusätzlich noch Jura.

teleschau: Derzeit sind Sie mit dem Bühnenprogramm "Staatsfreund Nr. 1" unterwegs. Darin beschäftigt Sie unter anderem die Frage, ob Sie ein deutscher Marokkaner oder ein marokkanischer Deutscher sind. Haben Sie schon eine Antwort gefunden?

Abdelkarim: Keine endgültige. Wer oder was ich bin, hängt auch immer davon ab, wer gerade vor der Tür steht, wie man behandelt wird und was für einen gerade besser ist. Banal gesprochen: Ich kann mich noch so sehr als Deutscher fühlen, wenn ich nicht als solcher behandelt oder wahrgenommen werde. Man mogelt sich durch wie ein Transformer, das wechselt immer hin und her. Das finde ich aber auch gut so, dieses Multi-Kulti.