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"Reaction-Videos": Meta-Filmchen zwischen Nerdcore und Business

Für Menschen aus der Prä-Social-Media-Generation muss es sich wie die absurdeste Idee der Welt anhören. User filmen sich dabei, wie sie sich Youtube-Videos anschauen. Und diese “Reaction-Videos” werden wiederum von unzähligen Usern angeklickt.

Im "Reaction-Video" filmt sich ein Youtuber dabei, wie er sich über das Fidgetspinner-Video eines anderen Youtubers freut. (Quelle: Screenshot Youtube)
Im "Reaction-Video" filmt sich ein Youtuber dabei, wie er sich über das Fidgetspinner-Video eines anderen Youtubers freut. (Quelle: Screenshot Youtube)

Viel mehr Meta-Ebene geht eigentlich kaum. Kulturpessimisten würden in dem “Reaction-Video”-Trend das selbstreferenzielle Modell der sich in den Schwanz beißenden Schlange sehen, die das Ende des Abendlandes einläutet. Mindestens. Für andere ist es einfach harmlose Online-Unterhaltung. Doch mittlerweile hat sich aus der einstigen Nerd-Ecke für einige Youtuber ein lukratives Geschäftsmodell daraus entwickelt.

Es braucht schließlich auch nicht viel. Eine Facecam, ein Laptop mit Internetzugang und los gehts. Quellen finden sich ausreichend, auf die reagiert werden kann. Vom Computerspiel bis zu Menschen, die Serien gucken. Oder Menschen beim Nudelnessen. Eigentlich gibt es nichts, auf das nicht irgendwie reagiert werden kann. Das Phänomen ist nicht neu, doch die Zuschauerzahlen wachsen auch hierzulande rapide.

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Ein Video, in dem sich die beliebten Youtuber von ungespielt zum Beispiel ein Fidgetspinner-Video anschauen und es kommentieren, hat über fünf Millionen Views. Meistens werden auf dem Kanal Gaming-Themen behandelt, doch die größten Erfolge feiert ungespielt mit den amüsanten Kommentarvideos, wie hier zum Beispiel über das Casting des Youtube-Stars Julien Bam:

Andere deutsche Stars des Genres heißen LUCA, MonatanaBlack oder FloderFlo. Auch sie haben hunderttausende Klicks für ihre “Reaction-Videos”. 2,4 Millionen Abonnenten hat etwa MonatanaBlack, meistens erzählt er aus seinem Leben, nimmt seine Oma mit auf Spritztouren mit seinem 570 PS-starken Sportwagen oder kommentiert eben andere Youtube-Videos. Dabei legt er sich schon mal im Rap-Battle-Stil mit der Konkurrenz an, die dann wiederum ihrerseits Diss-Videos hochlädt und so weiter und so fort. Das System hält sich selbst am Laufen.

Beliebter als das Original

Dabei sind es ungewöhnlich lange Videos, die von den “Reactern” zum Teil gefilmt werden. Meistens sind sie 15, 20 Minuten lang, manchmal wird auch eine ganze Serienfolge oder ein Film in Echtzeit geguckt und besprochen. Oft schaffen es die “Reaction-Videos” auf bessere Klickzahlen als die Originale. Die Faszination dahinter liegt vermutlich in einer Mischung aus Schadenfreude und dem empfundenen Gemeinschaftserlebnis. Auch wenn die Videos wohl für die meisten User eher eine einfache Unterhaltungsquelle sind, könnte man im positiven Sinne die Auseinandersetzung mit den Meinungen und Reaktionen anderer online natürlich auch als eine Art passiven Gedankenaustausch verstehen.

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Wie international das Genre funktioniert, zeigt FloderFlo, ein weiterer erfolgreicher deutscher Reacter. Er hat mittlerweile auch einen englischsprachigen Kanal, dort widmet er sich zum Beispiel KPOP-Gruppen wie den weltweit erfolgreichen BTS. Das sieht dann so aus, dass der 19-jährige Flo sich die Musikvideos anguckt und seine Reaktion dazu filmt. Sein erfolgreichstes Video hat fast eine halbe Millionen Klicks.

Begonnen hat der Trend einst in den USA. Dort ist die daraus erwachsene Industrie inzwischen millionenschwer. Auch in Japan gibt es schon seit langem “Reaction Videos”. Dort werden sie zum Beispiel bei TV-Shows eingeblendet, oft sind es Prominente, die dort auf die Showinhalte reagieren. Es soll zum Mitlachen animieren, ähnlich wie die unterlegten Konservenlacher in amerikanischen Sitcoms. Auf Youtube war das erste virale “Reaction-Video”-Thema das Ekelvideo “2 Girls 1 Cup”, zu dem es unzählige Reaktionsaufnahmen gab.

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Doch aus der Schmuddel- und Nerd-Ecke ist das Genre längst entwachsen. Mittlerweile ist der Markt so groß geworden, dass ein Youtube-Kanal wie FineBros. aus den USA über 20 Millionen Abonnenten hat und ständig neue “Reaction-Videos” produzieren kann. Ganz so groß ist der deutsche Markt noch nicht. Doch während die Älteren die Hände über dem Kopf zusammenschlagen vor so viel Sinnleere, ist es nicht zu verleugnen, dass für eine ganze Generation das “Reaction Video” längst völlig normaler Bestandteil der Kulturrezeption geworden ist.