Rechtlich nicht machbar - FDP will Bürgergeld kürzen: Das müssen Sie dazu wissen
Die aktuellen Regelsätze für das Bürgergeld fielen 14 bis 20 Euro pro Monat zu hoch aus, sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Er plädiert dafür, das Bürgergeld entsprechend im kommenden Jahr zu kürzen – ohne die Folgen zu bedenken.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat am Wochenende der Bild-Zeitung ein Interview gegeben. Darin behauptet er, die aktuellen Regelsätze für das Bürgergeld fielen um 14 bis 20 Euro pro Monat zu hoch aus. Auf diesen Betrag kommt er dadurch, dass die Inflation geringer ausgefallen sei, als bei der letzten Erhöhung der Regelsätze angenommen wurde. Entsprechend müsste das bei der nächsten Anpassung der Sätze zu Januar 2025 korrigiert werden. Dürr wirbt damit, dass der Bundeshaushalt damit um rund 850 Millionen Euro pro Jahr entlastet würde und die Arbeitsanreize für Bürgergeld-Empfänger höher liegen, weil der Abstand zwischen der Sozialleistung und Gehältern wieder größer wäre.
Wie werden die Regelsätze für das Bürgergeld berechnet?
Zu Januar 2024 stiegen die Bürgergeld-Regelsätze um 12 Prozent. Diesen Anstieg hatte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht willkürlich ausgedacht. Die Regelsätze werden jedes Jahr neu berechnet, da sie das Existenzminimum abbilden sollen. Um wie viel Euro sich dieses Minimum verschiebt, hängt unter anderem von der Inflation ab, aber auch von der Entwicklung der Löhne.
Betrachtet wird dabei nicht die allgemeine Inflationsrate. Stattdessen werden anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) die tatsächlichen Ausgaben von Menschen mit niedrigem Einkommen ermittelt und verglichen. Für Bürgergeld-Empfänger spielt es kaum eine Rolle, wie sich die Preise für Pferdehaltung, Fernreisen oder Autos entwickelt haben, da sie sich diese in aller Regel sowieso nicht leisten können. Stattdessen sind Ausgaben für Miete, Heizung und Lebensmittel stärker gewichtet. Maßgeblich für die Berechnung der Regelsätze ist diese spezifische Inflation von Juli bis Juni verglichen mit dem Vorjahr. Für die Berechnung der Regelsätze 2025 würden also die spezifischen Ausgaben von Haushalten mit niedrigen Einkommen im Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 mit dem Zeitraum Juli 2022 bis Juni 2023 verglichen und die Preissteigerung ermittelt.
Diese spezifische Inflation für niedrige Einkommen macht 70 Prozent der Summe aus, um die das Bürgergeld jedes Jahr angepasst wird. Weitere 30 Prozent stammen aus der allgemeinen Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter im selben Zeitraum. Gibt es in dieser Zeit also hohe allgemeine Lohnsteigerungen, sollen davon aus Bürgergeld-Empfänger teilweise profitieren – auch, weil höhere Gehälter auf kommende Preissteigerungen hindeuten.
Der so ermittelte Wert für den neuen Regelbedarf wird dann noch mit der aktuellen Inflationsrate abgeglichen, wieder spezifisch für Menschen mit niedrigem Einkommen. Dabei wird die Preissteigerung im zweiten Quartal eines Jahres mit dem Vorjahr verglichen und für das kommende Jahr fortgeschrieben. Für die Anpassung im Januar 2025 wird also so getan, als würden die Preise im Jahr 2025 so stark steigen, wie sie es im Zeitraum April bis Juni 2024 verglichen mit April bis Juni 2023 getan haben. Der Sinn dahinter ist, dass das Bürgergeld so nicht hinter die kommende Inflation zurückfällt, sondern quasi mit ihr ansteigt.
Hat Dürr mit seinen Zahlen also Recht?
Dürr argumentiert wie auch FDP-Parteichef Christian Lindner, das bei der Berechnung der Regelsätze für 2024 die Inflation überschätzt worden sei. Das ist insofern ein problematisches Statement, als dass die Inflation eben nicht geschätzt, sondern nach sehr engen Regeln berechnet wird.
Richtig ist, dass bei der Berechnung der 2024er-Sätze eine viel höhere Inflation angenommen wurde als dann tatsächlich eintrat. So lag etwa die Preissteigerung von Lebensmitteln vom zweiten Quartal 2022 bis zum zweiten Quartal 2023 noch bei 14,9 Prozent, was dann als Grundlage für die Fortschreibung benutzt wurde. Die tatsächliche Inflation von Lebensmitteln vom zweiten Quartal 2023 bis zum zweiten Quartal 2024 betrug, denn aber nur 1,3 Prozent – 13,6 Prozent weniger als zuvor berechnet. Noch höher fiel die Differenz bei Strom mit 20 Prozent und Erdgas mit 43,6 Prozent aus. Hier sanken die Preise sogar gegenüber 2023 leicht, anstatt weiter zu steigen. Bei Mieten und Heizöl hingegen blieben die Raten so stabil wie angenommen.
Davon ausgehend lässt sich jetzt trotzdem schwer nachrechnen, ob die 14 bis 20 Euro, die Dürr in den Raum wirft, exakt stimmen. Er hat aber Recht, wenn er sagt, dass das Bürgergeld 2024 stärker erhöht wurde, als es der tatsächliche Inflation später angemessen gewesen wäre.
Dann sollten wir das Bürgergeld jetzt also entsprechend kürzen?
Dürrs Schlussfolgerung aus der zu starken Erhöhung des Vorjahres ist, diese jetzt durch eine entsprechende Kürzung zu korrigieren. Das widerspricht jedoch den Regeln der Berechnung der Regelsätze. Diese werden nicht nachträglich angepasst, sondern für jedes Jahr nach obenstehenden Regeln neu berechnet. Dabei können Bürgergeld-Empfänger Glück haben und wie dieses Jahr etwas mehr bekommen als tatsächlich notwendig gewesen wäre. Sie können aber auch Pech haben, wenn sich die Inflation viel stärker verschärft als nach den Berechnungs-Regeln angenommen. Das wäre zum Beispiel im Jahr davor der Fall gewesen. Damals stiegen die Preise für Nahrungsmittel von 2021 auf 2022 im Berechnungs-Zeitraum nur um 10,1 Prozent, tatsächlich von 2022 auf 2023 dann aber eben um 14,9 Prozent. Weil das Bürgergeld 2023 aber erst eingeführt wurde, gab es für 2023 noch keine Erhöhungsberechnung. Trotzdem wird in den kommenden Jahren auch häufiger der Fall eintreten, dass die Bürgergeld-Erhöhung nach der obenstehenden Formel zu gering berechnet werden wird. Es ist schwer zu glauben, dass Dürr und Lindner dann einen nachträglichen Bonus für Bürgergeld-Empfänger vorschlagen würden. Genau um solche Willkür in beide Richtungen zu verhindern, gibt es ja die gesetzlich vorgeschriebene Formel.
Also wird das Bürgergeld auch 2025 wieder erhöht?
Das ist noch nicht sicher. Die Berechnung für 2025 ist insofern besonders, als dass sie auf die Ergebnisse der neuen EVS von 2023 zurückgreifen kann. Diese wird, weil sie sehr aufwendig ist, nur alle fünf Jahre erhoben. Das Bundesarbeitsministerium kann also auf aktuelle Verbrauchsdaten von Menschen mit niedrigen Einkommen zurückgreifen. Inwiefern das die Bürgergeld-Sätze beeinflussen wird, ist noch nicht sicher.
Da aber weiterhin Faktoren wie Lebensmittel, Mieten und Heizkosten den größten Anteil der Ausgaben ausmachen werden, hatte Heil schon Anfang Juli angekündigt, die nächste Erhöhung werde wohl „sehr, sehr niedrig“ ausfallen. Das liegt daran, dass etwa die Preise für Strom, Erdgas und Heizöl in den relevanten Berechnungszeiträumen von 2022 auf 2023 gesunken sind. Die Preise für Lebensmittel haben sich zudem nur leicht erhöht. Da allein dies 70 Prozent der Erhöhung ausmacht, wird es einen starken Einfluss haben. Dass es am Ende doch ein bisschen mehr Geld für Bürgergeld-Empfänger geben könnte, liegt einzig an der Lohnentwicklung. Die Werte für das zweite Quartal 2024 fehlen noch, aber in den relevanten drei Quartalen davor stiegen die Löhne im Schnitt um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das schlägt sich eben mit 30 Prozent in der Berechnung der Regelsätze wieder.
Müssen wir beim Bürgergeld nicht langsam mal sparen?
Für die Auszahlung der Regelsätze hat das Bundesarbeitsministerium in diesem Jahr 26,5 Milliarden Euro veranschlagt. Das sind rund 5,6 Prozent aller Ausgaben des Bundes. Hinzu kommen noch einmal 11,1 Milliarden Euro für die Zuschüsse für Wohnung und Heizung, aber an denen will Dürr nichts ändern. Der FDP-Politiker argumentiert, dass sich durch eine Kürzung des Bürgergeldes um eben 14 bis 20 Euro pro Monat im Jahr 850 Millionen Euro einsparen ließen. Das wären etwa 3,2 Prozent der Bürgergeld-Kosten und würde den gesamten Haushalt um 0,18 Prozent entlasten. Wenngleich also 850 Millionen Euro für ein Individuum eine enorm hohe Summe sind, spielen sie im Kontext des Bundeshaushaltes kaum eine Rolle. Ginge es Dürr um Einsparungen, um die existierenden Milliardenlücken im Bundeshaushalt für das kommende Jahr zu schließen, gäbe es wesentlich größere Hebel.
Würde eine Kürzung des Bürgergeldes denn zu mehr Arbeit animieren?
Dürrs zweites Argument für eine Bürgergeld-Kürzung ist, dass es stärkere Arbeitsanreize setzen würde. Das ist eine äußerst zynische Sichtweise. Zur Erinnerung: Das Bürgergeld stellt das gesetzliche Existenzminimum dar. So schreibt es das Bundesverfassungsgericht vor. Was Dürr also vorschlägt ist, Menschen absichtlich unter dem Existenzminimum leben zu lassen, damit ihr Leidensdruck so groß wird, dass sie arbeiten gehen. Wir reden hier vom Leidensdruck für Dinge wie grundlegende Ernährung und soziale Teilhabe, nicht vom Leidensdruck, sich nicht ein neues iPhone oder eine Reise mit der gesamten Familie nach Tahiti leisten zu können.
Das Ifo-Institut hatte in einer großen Studie für das Bundeswirtschaftsministeriums erst in der vergangenen Woche festgestellt, dass die wirksamste Methode, mehr Bürgergeld-Empfänger in Arbeit zu bringen, wäre, die Transferentzugsraten zu verringern. Gemeint ist damit, dass Bürgergeld-Empfänger mehr von der Sozialleistung behalten dürfen, wenn sie arbeiten gehen, aber damit noch nicht über die Regelsätze kommen. Im bisherigen System kann es zu oft vorkommen, dass ein Bürgergeld-Empfänger trotz Vollzeitjob am Ende weniger oder kaum mehr Geld zur Verfügung hat als mit der Sozialleistung. Das Ifo-Institut errechnete, dass die von ihm vorgeschlagenen Reformen den Bundeshaushalt um 1,14 bis 3,6 Milliarden Euro pro Jahr entlasten würden – also ein Vielfaches der von Dürr vorgeschlagenen Bürgergeld-Kürzung.
Welche Auswirkung hätte eine Bürgergeld-Kürzung auf andere Gruppen?
Das Bürgergeld ist nicht der einzige Indikator in Deutschland, der das Existenzminimum abbilden soll. Ein zweiter ist der steuerliche Grundfreibetrag. Aktuell liegt er bei 11.784 Euro, soll aber für 2025 auf 12.084 Euro und 2026 auf 12.336 Euro angehoben werden. Grundlage für seine Berechnung ist der Existenzminimumbericht, den die Bundesregierung alle zwei Jahre erstellen lassen muss. Darin wird das Existenzminimum etwas anders berechnet als für die Bürgergeld-Regelsätze, weil statt tatsächlichen Kosten Durchschnittskosten angenommen werden, kommt aber am Ende zu einem ähnlichen Ergebnis.
Es ist also merkwürdig, wenn die FDP das eine Existenzminimum – Bürgergeld – senken möchte, gleichzeitig das andere – den Grundfreibetrag – erhöht. Dass letzterer das Existenzminimum abbilden soll, ist ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Theoretisch müsste also, wenn das Bürgergeld gekürzt wird, auch der Grundfreibetrag sinken. Schließlich kann es nicht zwei unterschiedliche Existenzminima geben, die sich unterschiedlich entwickeln. Ein geringerer Grundfreibetrag erhöht aber die Einkommensteuer für alle Arbeitnehmer und verringert sich Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Von einer Bürgergeld-Kürzung wären also auch arme Rentner und kranke oder behinderte Menschen betroffen.
Lässt sich Dürrs Vorschlag umsetzen?
Nein. Da die Bürgergeld-Erhöhungen an eine feste Regel gebunden sind, muss diese auch durchgezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte genau das gefordert, um Willkür zu verhindern. Dürr möchte sich also direkt dem obersten deutschen Gericht widersetzen. Seine Koalitionspartner SPD und Grüne werden das sowieso nicht mitmachen, aber selbst, wenn sie würden, hätte eine Kürzung keinen langen Bestand. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht eine Kürzung eines rechnerischen Existenzminimums zustimmen würde, während mit dem Grundfreibetrag ein anderes parallel erhöht wird. Schließlich lässt sich nicht argumentieren, dass Bürgergeld-Empfänger zum Überleben weniger Geld brauchen als jemand, der einen Job hat – oder, dass Kinder von Bürgergeld-Empfängern weniger wert sind als Kinder von Millionären.
Was sich ändern ließe, wäre die Berechnungs-Grundlage von Bürgergeld-Erhöhungen, aber da ginge es maximal um Kleinigkeiten, sagt der Verfassungsrechtler Joachim Wieland dem ZDF . „Grundsätzlich eignet sich das Bürgergeld aufgrund der Vorgaben der Verfassung und des Bundesverfassungsgerichts kaum dazu, viel Geld einzusparen.“