"Rechtsextremismus ist heute schwerer zu erkennen als früher"

Emma Bading gehört zu den großen deutschen Nachwuchshoffnungen in Sachen Schauspiel. Im sechsteiligen Thriller "Westwall" spielt die 23-Jährige ihre erste Serienhauptrolle. Als Polizeischülerin Julia wird sie mit rechten Anschlagsplänen und dunklen Familiengeheimnissen konfrontiert.

23 Jahre alt - und auf dem Weg nach oben: Schauspielerin Emma Bading, die in der ZDF-Produktion
23 Jahre alt - und auf dem Weg nach oben: Schauspielerin Emma Bading, die in der ZDF-Produktion "Westwall" ihre erste Serienhauptrolle spielt. (Bild: Jeanne Degraa)

Rote Haare, freche Mundpartie - vielleicht ist es auch ein bisschen ihr Äußeres, dass Emma Bading schon in jungen Jahren Rebellinenrollen im gefühlten Dutzend bescherte. Exemplarisches Highlight: Im empfehlenswerten Jugendfilm "Meine teuflisch gute Freundin" spielte sie 2018 gar die Tochter Mephistos, also des Leibhaftigen.

Ganz so schlimm traf es die Tochter eines Schauspielehepaares in ihren anderen Rollen nicht: Da war sie die rebellische Enkelin von Katrin Saß im "Usedom-Krimi" oder eine spielsüchtige 17-Jährige im viel beachteten Virtual-Reality-Drama "Play", für das sie 2019 den "Hessischen Filmpreis" erhielt.

Neuerung: Darum zeigt das ZDF erstmals eine Serie nicht im TV zu Ende

Nun wird die Bühne für Emma Bading noch etwas größer. In der ZDF-Miniserie "Westwall" ist die 23-Jährige als Polizeischülerin im Kampfmodus gegen rechte Verschwörer zu sehen. Ungewöhnlich ist der Ausstrahlungsmodus, denn nur die ersten beiden Folgen zeigt das ZDF linear (Samstag, 27. November, 21.45 Uhr), den Rest gibt es allerdings schon ab Samstag, 20. November, in der Mediathek. Noch eine Alternative: ZDFneo sendet die komplette Serie linear an zwei Abenden: am Dienstag, 7. Dezember, und Mittwoch, 8. Dezember, jeweils um 21.45 Uhr.

teleschau: Ist es Zufall, dass Sie früher als Jugendliche und nun als junge Frau so oft für widerborstige Charaktere besetzt werden?

Emma Bading: Hoffentlich nicht. Ich trage schon seit meiner Geburt ein paar Borsten mit mir herum. Ich bin jemand, der kritisch ist und bestehende Systeme hinterfragt. Irgendwie wollte ich schon immer wissen, ob die Dinge, wie sie gemacht werden, auch sinnvollerweise so gemacht werden. Deshalb habe ich es auch nicht bis zum Ende an der Schule ausgehalten. Das Widerborstige ist also immer ein Teil von mir und so auch ein Teil meiner Rollen.

teleschau: Meinen Sie die Schauspielschule oder die "richtige" Schule?

Emma Bading: Die klassische Schule. Da habe ich nach der elften Klasse aufgehört, weil ich fand, dass ich meine Kraft woanders effektiver einsetzen könnte. Und auf die Schauspielschule bin ich ja gar nicht erst gegangen (lacht). Irgendwie war mein Aufwachsen in einer Schauspielerfamilie genug Ausbildung.

Emma Bading als Kölner Polizeischülerin Julia, die in ein rechtes Komplott gerät: Die sechsteilige Miniserie
Emma Bading als Kölner Polizeischülerin Julia, die in ein rechtes Komplott gerät: Die sechsteilige Miniserie "Westwall" ist nach "Furia" die zweite ZDF-Produktion im Herbst 2021, die sich mit der neuen Rechten in Thrillerform auseinandersetzt. (Bild: ZDF / Krzysztof Wiktor)

 

teleschau: Sie sagen es, Ihre Eltern sind beide Schauspieler. So kamen Sie schon früh in den Job. Doch wie reagierten Ihre Eltern, als Sie die Schule vor dem Abi schmeißen wollten?

Emma Bading: Sie haben toll reagiert, denn sie meinten: 'Du arbeitest bereits. Du verdienst dein eigenes Geld. Na dann schau mal, ob du es schaffst, ohne einen sicheren Schulrahmen, der dich durch den Tag strukturiert, zu leben.' Und das habe ich getan, was nicht leicht war. Jetzt fällt mir mein fehlendes Abi ab und zu auf die Füße. Zum Beispiel, wenn ich mich für ein Regiestudium bewerben möchte.

"Der Abiturstempel zählt offenbar immer noch mehr"

teleschau: Kann es denn trotzdem klappen, dass Sie einen Studienplatz bekommen?

Emma Bading: Es gibt ein paar wenige Ausnahmeplätze für Menschen ohne Abitur, aber da muss man dann tatsächlich eine besondere Begabung und Eignung nachweisen. Dass meine jahrelange Erfahrung bei Filmprojekten dabei keine große Rolle spielt, ist nicht leicht zu verstehen. Der Abiturstempel zählt offenbar immer noch mehr.

teleschau: Sie haben eine kleine Schwester, die auch als Schauspielerin aktiv ist. Ging es bei Ihnen zu Hause meistens ums Spielen?

Emma Bading: Ja, das Thema war sehr präsent. Es ging um Filme, Theater, Kunst und Kultur. Ich habe mich in diesem Umfeld immer wohlgefühlt. Wirklich genervt hat es mich nie. Meine Eltern können mich und meinen Beruf total nachvollziehen. Die fangen mich auch mal auf, wenn ich mich zu tief in eine Rolle reingeschmissen habe. Meine Schwester ist 14 und spielt, seitdem sie fünf Jahre alt ist. Mal sehen, worauf es bei ihr später hinausläuft.

Kein Mädchen von der Stange: Emma Bading als Polizeischülerin Julia in
Kein Mädchen von der Stange: Emma Bading als Polizeischülerin Julia in "Westwall". (Bild: ZDF / Krzysztof Wiktor)

teleschau: Gibt es auch Konkurrenzgefühle?

Emma Bading: Nein, überhaupt nicht. Jeder gönnt dem anderen den Erfolg. Unsere Eltern gehören nicht zu denen, die ein Leben lang den Kindern sagen müssen, wo es langgeht, weil sie niemals die klassische Elternrolle abgeben können. Ich glaube, unsere Eltern hätten kein Problem damit, uns über sie selbst hinauswachsen zu sehen.

"Das Schulsystem ist einfach hoffnungslos veraltet"

teleschau: Also gibt es für Sie eigentlich keinen Grund zu rebellieren?

Emma Bading: Ich glaube, meine Rebellion richtet sich nicht gegen die Eltern, sondern gegen bestimmte gesellschaftliche Tabuthemen und Systeme wie jenes, das wir Schule nennen.

teleschau: Was stinkt Ihnen am Schulsystem?

Emma Bading: Es ist einfach hoffnungslos veraltet. Die Dokumentation "Alphabet" zeigt sehr gut, wie wir die kleinen Genies in unseren Kindern strukturell kaputt machen. Kein Wunder. Die Klassen sind einfach zu groß, sodass die Lehrenden gar nicht die benötigte Aufmerksamkeit geben können und die Lehrpläne oft so eng getaktet sind, dass kein Platz für Eigeninitiativen besteht. Frontalunterricht und Noten wirken sich meiner Meinung nach nur kontraproduktiv auf das Heranwachsen von selbst denkenden Schülerinnen und Schülern aus.

In
In "Westwall" muss Emma Bading (rechts) als Polizeischülerin Julia gegen die Rechten und mit der eigenen Vergangenheit kämpfen (Szene mit Jeanette Hain als Ira). (Bild: ZDF / Krzysztof Wiktor)

teleschau: Würden Sie Noten abschaffen wollen?

Emma Bading: In bestimmten Bereichen auf jeden Fall. Ich mache gerade eine Maltherapie und finde es absolut erstaunlich, was passiert, wenn man frei und ohne Druck einfach nur malt. Es entstehen tolle Dinge. Doch was passiert im Kunstunterricht? Man soll Kunstformen möglichst gut imitieren - und dann bekommt man eine gute Note. Ziel müsste doch sein, die Kreativität der Kinder und Jugendlichen zu fördern und nicht, sie bereits existierende Kunst nachmachen zu lassen. Dass es Quatsch ist, sieht man ja auch daran, dass wirklich große Künstler fast immer etwas anderes gemacht haben als das, was es schon gab. Freies Denken, finde ich, muss gefördert werden.

teleschau: Sie sprachen von gesellschaftlichen Tabuthemen, die Sie nerven ...

Emma Bading: Ach ja, da gibt es viele. Mein Debüt-Kurzfilm "Unerhört" setzt sich mit dem Tabuthema Menstruation auseinander. Ich finde, dass darüber viel zu wenig gesprochen wird - in der Gesellschaft. Deshalb war es mir wichtig, mich damit zu beschäftigten und es auch öffentlich in Form eines Filmes zu tun. Ich plane, ihn unter anderem als Bildungsfilm an Schulen einsetzen zu lassen.

Gefragt: Emma Bading, hier auf einer älteren Aufnahme, die während der Berlinale 2018 entstand. (Bild: 2018 Matthias Nareyek/Matthias Nareyek)
Gefragt: Emma Bading, hier auf einer älteren Aufnahme, die während der Berlinale 2018 entstand. (Bild: 2018 Matthias Nareyek/Matthias Nareyek)

teleschau: Kommen wir zu Ihrer Serienhauptrolle in "Westwall". Hat man Sie aus einer großen Menge an Bewerberinnen gecastet oder Ihnen die Rolle direkt angeboten?

Emma Bading: Es war eine ganz komische Geschichte. Eigentlich gab es ein großes Casting, aber irgendwie bin ich von der Liste gerutscht. Da ich mit der Regisseurin Isa Prahl zuvor schon gearbeitet hatte, trafen wir uns eines Tages und sie erzählte mir vom Castingprozess und ich dann so: 'Warum castest du nicht mich?' Und sie so: 'Ja warum eigentlich nicht?' Ich durfte dann in der letzten Auswahlrunde noch mal mitmischen - und bekam die Rolle.

"Dafür musst du fit sein! Mach'n Kampfsportkurs!"

teleschau: Erinnern Sie sich noch an jenen Moment, als Sie die Zusage bekamen?

Emma Bading: Ja, klar. Ich weiß noch, dass das Wetter richtig schlecht war. Es regnete in Strömen, ich stand mit Kapuze draußen und habe dann erst mal eine Zigarette geraucht - was ich gar nicht so oft tue. Ich habe mir damals gedacht: 'Emma, das wird eine spannende Herausforderung! Dafür musst du fit sein! Mach'n Kampfsportkurs!' Und danach ging's ab nach Krakau.

teleschau: Ist die Serie dort entstanden?

Emma Bading: Ja, unser Köln der Serie liegt eigentlich in Polen (lacht).

teleschau: In der Serie geht es um die "moderne Rechte". Um Gruppen und Einzelpersonen mit Nazi-Gedankengut, die in ihrer Gesinnung nicht gleich zu erkennen sind. Ist das ein neues Phänomen unserer Zeit?

Emma Bading: Rechtsextremismus ist heute schwerer zu erkennen als früher. Damals hatte man die Skinheads mit ihren Bomberjacken, Springerstiefeln und Glatzen. Diese Zeiten sind vorbei. Rechtes Gedankengut findet sich nun in allen Gesellschaftsschichten und auch hinter ganz unterschiedlichen Outfits. Das macht Rechtsextremismus sehr viel gefährlicher, finde ich. Es ist spannend, sich über die Serie damit auseinanderzusetzen.

Emma Bading in
Emma Bading in "Westwall": Wer bist du? Sag die Wahrheit! Julia (Bading) will endlich wissen, woran sie bei Nick (Jannik Schümann) ist. (Bild: ZDF / Krzysztof Wiktor)

teleschau: Wie haben Sie sich inhaltlich mit dem Thema auseinandergesetzt?

Emma Bading: Ich habe viel gelesen und bin dabei auf soziologische Begriffe wie GMF gestoßen. Das heißt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. GMF ist für viele Dinge verantwortlich: Rassismus, Sexismus, Nationalismus, Behindertenfeindlichkeit und vieles mehr. Alle Menschen neigen zu GMF. Wir wollen einer überlegenen Gruppe angehören. Sie soll uns beschützen und liefert uns ein Gemeinschaftsgefühl. Andere Gruppen werden im Zuge dieses Gefühls abgewertet.

"Natürlich fühlen sich die Leute dort schnell angegriffen"

teleschau: Auch in der deutschen Polizei oder der Bundeswehr wurden immer wieder rechte Gruppen und Denkmuster identifiziert. Finden Sie, dass dies in Filmen öfter thematisiert werden sollte?

Emma Bading: Natürlich gibt es in der Polizei und auch beim Verfassungsschutz rechtes Gedankengut. In "Westwall" wird dies auch thematisiert. Ich bin erst kürzlich in einer Polizeischule gewesen und habe länger mit Ausbildern und Auszubildenden über "Westwall" gesprochen. Natürlich fühlen sich die Leute dort schnell angegriffen und auch ungerecht behandelt, wenn es um Themen wie in unserer Serie geht. Nach dem Motto: Keiner vertraut mehr der Polizei, dabei machen wir hier nach bestem Wissen und Gewissen einen schwierigen Job. Ja, das stimmt natürlich. Trotzdem muss man auch aushalten können, als gesellschaftliche Institution auf den Prüfstand gestellt zu werden, um Schwachstellen im System zu identifizieren.

VIDEO: Rechtsextremismus ist größte Gefahr für Sicherheit in Deutschland