„Regt euch doch auf“ - die Kolumne von Julia Ruhs - 2015 half ich – heute würde ich Asylheime in Grünen-Hochburgen hineinsetzen

Julia Ruhs half 2015 selbst bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Heute schaut sie kritischer auf das Thema.<span class="copyright">Ruhs/Imago</span>
Julia Ruhs half 2015 selbst bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Heute schaut sie kritischer auf das Thema.Ruhs/Imago

Die Zeit der großen Flüchtlingswelle habe ich in Passau verbracht – im „Lampedusa Deutschlands“. Auch ich war ein Teil der Willkommenskultur. Aber es ist längst nicht mehr 2015. Und es kommen immer noch verdammt viele. Warum kriegen wir es einfach nicht gebacken?

„Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, ABER…“ Das war ein Satz, den ich im Jahr 2015 häufig hörte. Ich lebte damals in Passau, nicht weit von der österreichischen Grenze. Also dort, wo jeden Tag tausende Flüchtlinge ankamen.

„Lampedusa Deutschlands“ lautete der Spitzname der Stadt. Nirgendwo kamen 2015 so viele Flüchtlinge nach Deutschland wie hier, sie wurden mit Bussen vor die Grenze transportiert.

Passau war sozusagen das Einfallstor nach Deutschland. Es kamen so viele, dass sie sich an den Grenzübergängen stauten.

„Wie finden Sie, dass so viele kommen?“

Über Monate war „Schaffen wir das?“ die beherrschende Frage. Eine Kommilitonin und ich waren in dieser Zeit beim Uniradio. Wir versuchten beide unsere ersten unbeholfenen Schritte in der Politik-Berichterstattung.

Und was lag in einer Grenzstadt wie Passau, direkt am Ende der Balkanroute, näher als das Thema Flüchtlinge? Also zogen wir eines Tages los in die Fußgängerzone.

Wie finden sie, dass so viele kommen, fragten wir die Einheimischen. Und da kam sie, die Antwort, die man auch sonst nicht selten zu Ohren bekam: „Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, ABER…“.

Wir machten uns ein wenig lustig darüber, weil der Satz natürlich ein Widerspruch in sich war. Aber jeder wusste wohl intuitiv: Man hatte „weltoffen“ zu sein. Und Passau, von manchen verlacht als niederbayerische Provinzstadt, war damals die „Wir schaffen das“-Stadt.

Auch ich war ein Teil der Willkommenskultur

Auch ich war vorbildlich. Ich war nicht nur beim Uniradio, sondern ich gab einige Wochen einem Flüchtling ehrenamtlich Deutsch-Nachhilfe. Dort, wo sich sonst die Studenten zum Lernen trafen.

Mein Deutschschüler war Syrer, 24 Jahre alt und eigentlich ganz okay – weder ein Überflieger noch ein Schlendrian. Organisiert wurde der Kurs über die evangelische Studierendengemeinde. Obwohl ich eigentlich katholisch bin, aber die Konkurrenz hatte halt einfach besser geflyert.

Ich war also ein kleiner Teil der Willkommenskultur. Viele haben damals etwas gemacht. Meine WG-Mitbewohnerin half mit in den Notunterkünften, teilte Essen aus, ließ sich ständig in Schichten eintragen.

Es ging den Leuten nicht darum, ihre Tugendhaftigkeit zur Schau zu stellen, sondern darum, wirklich zu helfen. Den Satz: „Die Münchner haben ihre Fähnchen geschwenkt, die Passauer haben die Arbeit gemacht“, habe ich noch im Kopf. Münchner kamen bei den Leuten in Passau selten gut weg, sie galten als hochnäsig.

Und immer noch ist Krise

Etwa neun Jahre ist das nun her. Ein halbe Ewigkeit – und immer noch ist Krise. Richtig viel getan hat sich nicht. Außer, dass die Balkanroute irgendwann dicht war und Passau nicht mehr Dreh- und Angelpunkt.

In der Zwischenzeit stritt die EU über Quotenregelungen. Ungarns Präsident Orban baute an seinem Zaun. Horst Seehofer forderte seine Obergrenze, freute sich über 69 abgeschobene Afghanen an seinem 69. Geburtstag.

Er kritisierte Angela Merkels Politik der offenen Grenzen, riskierte einen Fraktionsbruch zwischen CDU und CSU und wurde dafür verspottet.

Asylheime bitte in die Grünen-Hochburgen!

Ich wohne mittlerweile da, wo die Fähnchen geschwenkt wurden. Also bei den Hochnäsigen, aber es sind natürlich nicht alle so. Heute finde ich die EU schrecklich tatenlos (trotz Asylreform), Orbans Zaun recht pragmatisch, Angela Merkel sehe ich kritisch, weil sie die AfD entstehen und wildern ließ. Und Seehofer, der für viele damals als Unmensch galt, der hatte – finde ich jetzt – von Anfang an Recht.

Heute wäre ich eisern in Sachen Asylpolitik. Könnte ich, würde ich die Asylunterkünfte in die Hochburgen der Grünen hineinsetzen. Und nein, diese Hochburgen sind nicht auf dem Land. Mal schauen, wie lange sie dann noch grün wählen.

Warum ich jetzt so hart bin? Weil es einfach nicht mehr 2015 ist. Ich würde mich nicht mehr lustig machen, wenn jemand bei einer Umfrage „ich habe nichts gegen Flüchtlinge, ABER…“ sagt. Ich würde mich wundern, warum er den ersten Teil des Satzes nicht gleich ganz weglässt.

Verschwiegene Wahrheiten werden irgendwann giftig

Dieses „aber“ ist mit jedem Jahr Flüchtlingskrise offensichtlicher geworden: Natürlich sind Flüchtlinge irgendwann eine Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Und natürlich halten sich nicht alle an die Regeln, manche werden kriminell.

Natürlich integriert sich nicht jeder so vorbildlich, vor allem, wenn die Communities vor Ort immer größer werden. Natürlich liegen auch nicht wenige dem Staat auf der Tasche. Und: Es kommen einfach sehr viele junge Männer. Darunter Antisemiten und islamistische Terroristen.

Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig, hat Friedrich Nietzsche mal gesagt. Bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen haben wir gesehen: Sie sind verdammt giftig geworden.

Es war die x-te Quittung fürs Abtun von berechtigten Sorgen, die seit neun Jahren nun mal da sind. Die Stimmen gehen an die, die sich trauen, das „Aber“ glaubwürdig zu thematisieren.

Schluss mit moralischem Größenwahnsinn

Auch ich finde, dass die Wahlen im Osten ein Weckruf waren. Dafür, endlich damit aufzuhören, im Alleingang die Welt samt Flüchtlingen zu retten, sondern sich selbst zu schützen und in Ordnung zu bringen.

Den sozialen Frieden wiederherzustellen, weil niemand mehr leugnen kann, dass es Verteilungskämpfe gibt. Man könnte es auch so sagen: Deutschland braucht jetzt dringend ein wenig „Selfcare-time“, ohne dass ständig jemand anklopft.