„Regt euch doch auf“ - Kolumne von Julia Ruhs - Ich kann es nicht glauben: Der woke Wahnsinn einer Bundeszentrale
Fußballfans in die rechte Ecke stellen, ist eine miese Idee. Die Bundeszentrale für politische Bildung brachte das trotzdem fertig. Das Sommermärchen 2006 könnte Mitschuld am Rechtsruck sein, behauptete sie in einem Video. Weil: zu viel Schwarz-Rot-Gold!
Es gibt Dinge, zu denen muss man sich gedanklich regelrecht verirren. Die Bundeszentrale für politische Bildung war darin kürzlich sehr talentiert. Das ist die Behörde, die Bürgern dabei helfen soll, das zu kitten, was der Schulunterricht liegen gelassen hat. Von der auch Annalena Baerbock einst für ihr Buch abkupferte.
Jene Bundeszentrale veröffentlichte ein etwa einminütiges Video auf Instagram und qualifizierte sich damit, wie ich finde, als einer der größten Spielverderber dieser EM.
Wie kommt man auf so etwas?!
„2006 – ein Sommermärchen für den Nationalismus?“ heißt das Video. Und allein der Titel zeigt schon die gedankliche Peinlichkeit. „Sind Poldi, Klinsi und Co. schuld am Rechtsruck in Deutschland?“ fragt die Presenterin allen Ernstes und erläutert: Bei der WM 2006 sei ein neues Phänomen entstanden – der Party-Patriotismus! Hier trafen sich Fans zum gemeinsamen Public Viewing in Deutschlandfarben.
Tadelnd beklagt sie daraufhin, dass die Patriotismus-After-Hour auch nach dem Fußballturnier noch weiter ging.
„Etwas weniger als zehn Jahre später laufen mit Pegida patriotische Europäer mit Deutschlandfahnen durch Dresden“, folgt dann ein bizarrer Gedankensprung. „Ohne die WM 2006 wäre das so nicht möglich gewesen“, zitiert sie dafür noch einen passenden Politikwissenschaftler und schließt mit: „Und Pegida war erst der Anfang für die Radikalisierung der Rechten in Deutschland.“
Wahnsinn. Die Fußball-WM 2006 als Auslöser für den Rechtsruck in Deutschland? Das war dann doch zu viel für einige Fußballfans.
Rache der empörten Fußballfans
Als die Rache der empörten Fans auf den Instagram-Post niederging, löschte die Bundeszentrale das Video. Und schrieb: Die Veröffentlichung sei ein Fehler gewesen. Man habe die übrigen Videos der Serie ebenfalls aus dem Netz genommen und unterziehe sie jetzt einer „kritischen Qualitätsprüfung“.
Ich würde meine frisch gekaufte Deutschlandfahne darauf verwetten, dass ein paar Chefs der Bundeszentrale erst da spitzgekriegt haben, was genau ihre Behörde auf Instagram so verzapft. Und erstaunt feststellen mussten, dass der eigene Laden dort anders tickt als bei den Printpublikationen.
Volle Dröhnung mit dem Jugendmagazin
Die Zeitschriften der Bundeszentrale kenne ich gut. Ich hatte sie früher stapelweise. Ich habe mit ihnen fürs Abitur und Studium gelernt. Für jedes Thema gibt es ein schlaues Heft. Alles etwas hölzern, aber für mich eine Bank des Vertrauens. Wie es jetzt, ein paar Jahre später um die Neutralität der neuen Hefte steht, weiß ich nicht. Aber was ich jetzt sehe, ist: Instagram. Und da trifft einen der Schlag.
Wer sich die volle Dröhnung geben will, schaut am besten nicht nur auf dem Hauptkanal nach befremdlichen Inhalten. Sondern geht auf den Kanal des Jugendmagazins der Bundeszentrale namens „fluter“. Da muss man gar nicht erst anfangen mit dem Suchen.
Wie viel woke ist noch zu ertragen?
Das Magazin hat nämlich stets Bemerkenswertes zu verkünden. Bleiben wir mal beim Fußball.
Schwarz-Rot-Gold, das wissen wir ja jetzt, ist ein Problem. Aber nicht das einzige, findet „fluter“. Konventioneller Fußball sei nämlich generell „binär, hierarchisch und autoritär“. Seine Regeln spiegelten die patriarchalen und kapitalistischen Strukturen unserer Gesellschaft wider, liest man da. Und weil Maskulinität das Körperbild beim Fußball präge, würden queere, weibliche und Körper mit Behinderungen benachteiligt.
„Wie spielt man postpatriarchal Fußball?“ fragt sich der Kanal also, und wer sich bei so viel woker Anwandlung schon fassungslos die Augen reibt, muss nur weiter wischen: Es wird noch schlimmer. Kritisiert der Kanal doch ernsthaft: „Fußball ist ein Wettbewerb. Er konzentriert sich auf Siege, im besten Falle als Summe individueller Erfolge. Wer viel leistet, wird belohnt.“
Der Traum von einer Gesellschaft ohne Leistung
Deshalb gebe es auch ein Konzept, wie alles anders ablaufen könnte. Ohne den Leistungsdruck des Kapitalismus. Dafür mit viel Inklusion, Fairplay und Solidarität. Männer und Frauen stehen hier gemeinsam auf dem Platz. Schiedsrichter gibt es nicht. Die Regeln legen die Spieler am Anfang selbst fest und sanktionieren auch selbst. Nach dem Kicken vergeben sie gegenseitig Fair-Play-Punkte, die für den Sieg mitzählen.
Weg vom Wettbewerb, von körperlicher Höchstleistung, hin zu Werten wie Kooperation und sozialer Gerechtigkeit ist das Ziel, erfährt man im weiterführenden „fluter“-Artikel. Willkommen im „Postpatriarchat“. Und die Spielwiese für solche utopischen Gedankengänge ist nicht die „taz“ – nein, sondern die Bundeszentrale für politische Bildung.
Nicht die einzige Entgleisung
Wer jetzt glaubt, das wäre die einzige Entgleisung – nein. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Dieser Kanal ist ein wokes Paradies. Wer sich unter Fat-Aktivisten, Antirassismus-Verfechtern und Klimabesorgten besonders wohl fühlt, dem sei dieser Kanal ans Herz gelegt.
„Auch die Psychotherapie ist nicht frei von Rassismus“, schallt es einem da entgegen oder: „Wir wären alle freier, wenn wir dick sein dürfen“. Himmel. Oder diese Perle hier: „Wieso ist es problematisch, wenn wir auch kapitalistisch sprechen?“
Aktivisten aus der Queer-Bewegung werden interviewt, „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ erzählen von ihrem Leid, es geht um Klimanotstand, Outings, Essstörungen, Körpernormen, „Pretty privilege“ und Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung. Achja, und um den Feminismus, der angeblich zu weiß ist.
Sollte sich jetzt jemand fragen, weshalb junge Leute nicht alle dieses top Jugendmagazin lesen, sondern im schlimmsten Fall entnervt zu AfD-Tiktok-Kanälen abwandern – na, wenn da der Groschen nicht fällt.
Gegen die schwarz-rot-goldene Verklemmtheit
Ich hoffe, das gesamte Social-Media-Team der Bundeszentrale muss jetzt ordentlich nachsitzen. Ich würde ein wenig Schocktherapie empfehlen. Sie dazu verdonnern, sich ein Beispiel an Thomas Müller zu nehmen. Einmal so inbrünstig die Nationalhymne mitschmettern wie er, das wäre doch was. Im Vergleich mit ihm fühle selbst ich mich beim Hymnesingen regelrecht verkrampft.
Vielleicht sollte sich auch einfach jemand Vernünftiges aus dem eigenen Haus ihrer erbarmen. Ihnen nahebringen, dass auch das mit der herrschaftslosen Gesellschaft eine Schnapsidee ist. Dass es auf dem Fußballplatz ist wie in einem Staat. Gibt es keinen Schiedsrichter mehr und keine unabhängig festgelegten Regeln, endet das zu häufig im Chaos. Der Stärkere setzt sich dann durch – und wie das wohl aussähe?
Schlecht für schützenswerte Minderheiten. Und ganz sicher ist da nix mit postpatriarchal.