„Regt euch doch auf“-Kolumne von Julia Ruhs - Wir blicken auf die AfD wie auf eine Naturgewalt – ein fataler Irrtum

Julia Ruhs findet: "Viel zu häufig blicken wir auf die AfD, als wäre sie eine Art Naturgewalt. Als verstehe sie es einfach verdammt gut, den „strukturellen Rassismus“ in den Hirnen der Menschen anzuzapfen. Und ihn dann in Wahlergebnisse umzulenken".<span class="copyright">privat/dpa</span>
Julia Ruhs findet: "Viel zu häufig blicken wir auf die AfD, als wäre sie eine Art Naturgewalt. Als verstehe sie es einfach verdammt gut, den „strukturellen Rassismus“ in den Hirnen der Menschen anzuzapfen. Und ihn dann in Wahlergebnisse umzulenken".privat/dpa

In einer Woche wird im Osten gewählt. Deutschland ist wieder mal hochnervös und fragt sich: Wie viel AfD verkraftet das Land? Dabei wissen wir doch, was den Populismus stark macht. Warum stellen wir die Frage also nicht mal richtig rum: Wie viel Einwanderung verträgt unsere Demokratie?

Das Wort „Vielfalt“ geht mir mittlerweile schrecklich auf die Nerven. Auch momentan wieder. Schuld daran sind 40 Unternehmen, die zusammen eine Kampagne gestartet haben: „Made in Germany, made by Vielfalt“ heißt sie. Und wer hätte es geahnt, zu vierzigst stehen sie alle ein für ganz viel Vielfalt, gegen Populismus und Fremdenhass.

Mit dabei sind unter anderem Deichmann, Dr. Oetker, Miele, Bahlsen, Trigema und Jägermeister. Sie glauben, mit vereinter Kraft könnten sie der AfD kurz vor den Ost-Wahlen einen Dämpfer verpassen. So sieht sie wohl aus, die geballte Torschlusspanik im Kampf gegen „rechts“.

Angst um die Demokratie – oder doch Angst vor der Demokratie?

Der Initiator der Kampagne sagte ganz aufgewühlt in einem „Welt“-Interview, ihm gehe der „Arsch auf Grundeis“, wenn er die Tendenzen in Thüringen und Sachsen sehe. Auch andere Unternehmerfamilien hätten Bammel, dass die Demokratie und unsere Wirtschaft vor die Hunde gingen, erzählte er.

 

Angst um die Demokratie haben sie also. Wenn ich es mir recht anschaue, ist es aber wohl eher Angst VOR der Demokratie – schließlich geht es um die Wahlen nächsten Sonntag. Man muss halt nicht immer gut finden, was rauskommt.

Nicht alles läuft optimal in unserem „vielfältiger“ werdenden Land

Es ist für manche offenbar immer noch unerklärlich, woher der Rechtsdrall ihrer Mitmenschen kommt. Die seltsame Angst vor Veränderung, an der vor allem konservative Geister so doll zu leiden scheinen.

Doch wer so wie ich diese Woche brav die ZDF-heute-Nachrichten geschaut hat, der sollte allerspätestens da hoffentlich bemerkt haben, dass in unserem immer „vielfältiger“ und „bunter“ werdenden Land nicht alles optimal läuft. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte nämlich den Jahresbericht der Bundespolizei vor. Der unter anderem offenbarte, dass es 2023 an Bahnhöfen, Flughäfen und an den deutschen Grenzen so viele Straftaten gab wie seit 2012 nicht mehr.

Asyl-Aktivisten dürften bei diesen Worten zusammengezuckt sein

Einen Höchststand gab es auch bei Messerdelikten. Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, sagte dazu, „dass in Relation zur Gesamtbevölkerung Nicht-Deutsche statistisch sechs Mal häufiger bei einem Angriff zum Messer greifen als deutsche Staatsangehörige“. Ich traute meinen Ohren kaum.

Während ich mich über die Aufrichtigkeit des Polizeipräsidenten und die Ehrlichkeit eines TV-Berichts freute, dürften ein paar Asyl-Aktivisten mächtig zusammengezuckt sein. Allein die Gruppen „deutsch“ und „nicht-deutsch“ miteinander zu vergleichen, ist für manche ja ein moralisches Vergehen. Gewisse Auffälligkeiten dann auch noch öffentlich auszusprechen, fast schon ein rassistischer Eklat.

Das Land wird „bunter“, aber auch krimineller

Alle, die sich jetzt schon daran machen, die Zahl schönzureden (weil sie generell ein paar ernste Schwierigkeiten mit dem Wahrhaben der Realität haben), müssen jetzt stark sein. Und können sich gleich noch mehr ins Zeug legen, um die folgenden Zahlen ebenfalls totzuargumentieren.

Bevor ich für die Arbeit nach München gezogen bin, habe ich nämlich in Regensburg studiert. Eine wunderschöne Stadt – nur der Bahnhof war schon immer Herumlunger-Zone. Und gerade mausert er sich zur No-go-Area.

Schuld daran ist eine Problemgruppe: Tunesische Asylbewerber aus dem dortigen Ankerzentrum, die so gut wie keine Chance auf Asyl haben. Nur 0,14 Prozent beträgt ihr Anteil an der Regensburger Bevölkerung. Aber insgesamt begingen sie vergangenes Jahr 14,5 Prozent aller Straftaten: Sachbeschädigung, Raub, Diebstahl, sexuelle Belästigung. Was wieder eindrücklich zeigt, genau wie die jüngste Messerattacke in Solingen: Unser Land wird „bunter“, aber auch krimineller.

Die AfD ist keine Naturgewalt

Die AfD profitiert von genau solchen Wahrheiten. Weil sie in manchen Ecken der Republik so schmerzlich offensichtlich sind. Viel zu häufig blicken wir auf die AfD, als wäre sie eine Art Naturgewalt. Als verstehe sie es einfach verdammt gut, den „strukturellen Rassismus“ in den Hirnen der Menschen anzuzapfen. Und ihn dann in Wahlergebnisse umzulenken.

Aber so gewieft sind die Typen auch wieder nicht. Eher sind wir anderen zu feige. Weil wir so gern nach dem Motto leben: Was nicht sein darf, kann nicht sein.

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hat mich vor einigen Wochen positiv überrascht. Schrieb er doch in seinem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch von einem „unverkennbaren Zusammenhang“ zwischen einer „schnellen und unkontrollierten Einwanderung und den Wahlerfolgen von Populisten“. Abzulesen an den Wahlerfolgen der AfD in Deutschland, aber auch an denen in anderen europäischen Ländern.

Das ist jetzt wirklich nicht neu. Aber er folgert die richtige Frage daraus. Er fragt nicht, wie es ständig alle überall tun: Wie viel AfD verträgt unsere Demokratie? Sondern: „Wie viel Einwanderung verträgt eine Demokratie?“

Ich finde, so herum sollten wir uns das viel häufiger fragen.