„Regt euch doch auf“-Kolumne von Julia Ruhs - Schlaue gegen dummer Pöbel: Wenn Linke glauben, sie wissen alles besser

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Julia Ruhs.FOCUS online/Imago

Linke halten sich gern für besonders schlau. Viele von ihnen glauben, sie haben den Weg zur Erkenntnis schon erklommen. Leute, die anders denken, hätten diesen selbstverständlich noch vor sich: Weil „Rechte“ ja nur deshalb rechts seien, weil ihnen Wissen fehlt. Wer nur macht sich hier die Welt zu einfach?

Am liebsten würde er den „dummen Pöbel“ gar nicht wählen lassen, meinte letztens ein loser Bekannter zu mir. Man sehe ja, was dabei rauskommt. Ich hatte mich mal wieder (unnötigerweise) in eine Diskussion verwickeln lassen.

Links gegen rechts: intelligent gegen doof

Um es kurz zu machen: Er ist einer von denen, die sich absolut sicher sind, Recht zu haben. Der glaubt, an der Wahlentscheidung ablesen zu können, wer Ahnung hat von Politik und wer nicht. Rechts ist gleich doof, links ist gleich reflektiert. Wie könnte es auch anders sein.

Er finde es ungerecht, fügte er hinzu, dass ein Mensch, der auf AfD-Politiker „hereinfällt“, an der Wahlurne genauso viel mitbestimmen darf wie er, erklärte er. Reinfallen, wurde mir da klar, kann man offenbar nur auf bestimmte Parteien. Bei allen anderen steckt ganz bestimmt immer eine wohl durchdachte Wahlentscheidung dahinter.

Deren Parolen können auch nicht „verfangen“, das tun irgendwie auch nur die von Rechtsaußen. Wer also auf solche Politiker „hereinfällt“ oder bei wem etwas „verfängt“, der bekommt gleich qua Wortwahl attestiert: Da oben im Hirn kann es nicht ganz so hell erleuchtet zugehen.

Das Helfersyndrom der Linken

Viele von denen, die sich links verorten, finden, dass auch bei mir so einiges „verfängt“. Schließlich gehöre ich laut ihnen nicht zu den „anständigen Konservativen“, wie ich mir schon häufiger anhören durfte. Merke: „anständig“ ist Merkel-Kurs oder weiter links davon. Immerhin bin ich laut linker Weltsicht nicht Teil der ganz Doofen, weil nicht AfD. Das bedeutet für sie: Ich bin bemitleidenswert, aber vielleicht ja noch zu retten.

Das erklärt auch die hilfsbereiten, gut gemeinten Mails und Nachrichten, die mich regelmäßig erreichen. Ich habe mich zum Gendern, zu Flüchtlingen, zum seltsam verdrehten Feminismus dieser Tage geäußert? Hier ist ein Buchtipp, hier ist ein Podcast, hier ein YouTube-Video – bitte informiere dich mal gescheit, danach wirst du es ganz anders sehen!

Nach fast jeder Kolumne, die ich schreibe, fühlt sich jemand dazu berufen, mir die Welt erklären zu müssen, was ich noch nicht richtig verstanden habe. Unterstellt mir eine Bildungslücke. Schreibt, dass mir die Kompetenz und die Qualifikation als Journalistin fehlt. Dabei habe ich doch den Journalismus unter anderem im hochanständigen ÖRR gelernt: also ehrlich, was will man mehr.

„Mansplaining“ für Konservative

Offenbar denken sie, sie müssten dem verstaubten Blondchen etwas erklären. Ich sollte vielleicht nachzählen, ob es vor allem Männer sind. Heißt es doch gerade auf der linken Seite immer, dass Frauen sogenanntes „Mansplaining“ erleiden müssen: Männer, die den Welterklärer spielen, weil sie glauben, sie hätten qua Geschlecht mehr Ahnung von einfach allem.

In meinem Fall wären das dann linke Männer, was irgendwie seltsam ist. Aber vermutlich kommt trotz ausgiebiger Sexismus-Aufklärung beim politischen Feindbild diese alte Angewohnheit wieder durch – Frau und oh Gott, nicht links – das ist einfach zu viel. Wäre ich total woke unterwegs, würde ich sagen: klarer Fall von Doppel-Diskriminierung.

Der angebliche Evolutionsprozess der Meinung

Ich beobachte das jetzt schon etwas länger. Und was mir auffällt, ist: Linke glauben an eine Art Evolutionsprozess der Meinung. „Ich habe auch mal so gedacht wie du“ ist so ein Satz, der gerne fällt. Als wäre das mit der eigenen Meinung ein stetiger Weg hin zur Erkenntnis. Und diese Erkenntnis befindet sich selbstverständlich auf der linken Seite. Dort sind die, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben.

Doch selbst wenn ich mir manche Lese-, Hör- und Guck-Tipps zu Herzen nehme – ich will ja nicht verstockt sein – ein politisches Erweckungserlebnis hatte ich dadurch bislang nie. Ich komme trotzdem nicht unbedingt da raus, wo sie mich haben wollen. Und so langsam, glaube ich, ist der Zug abgefahren.

Vorsicht bei Neunmalklugen

Ich bin sowieso vorsichtig bei Menschen, die sich für besonders klug halten. Ein nicht unerheblicher Teil leidet in meinen Augen stark am sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Das bedeutet: Sie überschätzen das eigene Wissen. Sie sehen gar nicht, wie groß der Berg des Wissens ist, den sie sich noch gar nicht angeeignet haben. Weshalb sie sich für die größten Checker halten.

Kürzlich hat das jemand ganz treffend unter einen meiner Artikel geschrieben: Er erzählte, dass er in den letzten Jahren an seiner Doktorarbeit im Fach VWL gearbeitet hat. Dass er viel gelernt, programmiert und seine statistischen Fähigkeiten aufgebessert hat. Während des Schreibens stellte er fest, dass sein Thema eigentlich nur ein kleiner Tropfen im Ozean der Wissenschaft ist. Jetzt, am Ende der Doktorarbeit angekommen, weiß er, dass er eigentlich sehr wenig weiß.

Unwissenheit führt deshalb häufig zu mehr Selbstvertrauen als Wissen – eine paradoxe Sache. Vorsicht also bei den Neunmalklugen. Vor denen, die glauben, die eigene Meinung wäre die einzig richtige. Das gilt selbstverständlich für jede politische Richtung.

Was, wenn man selbst Teil des „dummen Pöbels“ ist?

Wer vom „dummen Pöbel“ spricht – der sollte also erst mal auf Nummer Sicher gehen, ob er nicht eigentlich dazu gehört. Nur zu doof ist, um die eigene Doofheit zu erkennen. Und im zweiten Schritt lohnt ein Blick auf die US-Präsidentschaftswahl 2016. Lange her, aber Trump steht ja wieder vor der Tür.

So ein bisschen hat mich der Pöbel-Satz meines losen Bekannten nämlich an die Hillary Clinton von damals erinnert. Im Wahlkampf bezeichnete sie Trump-Unterstützer als „deplorables“, also als die „Erbärmlichen“, „Kläglichen“. Das Wort zeigte ihre ganze Verachtung. Eine gute Idee war das nicht, Ausgang bekannt.

Man sollte also lieber die Finger vom Wähler-Bashing lassen. Auch den Menschen, von denen man nichts hält, mit etwas Respekt begegnen. Aber auch in Deutschland sehen wir ja: Manche plakatieren dieses Wort lieber, als es anschließend zu leben.