Reportage aus Leipzig - AfD-Schock für Ost-Grüne: „Da merkt man, in was für einer Blase man lebt“

Zeigt sich ratlos, was die Zukunft der Grünen in Sachsen betrifft: Sophie Sülzle, die in einer Grünen-Hochburg ein Café betreint.<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Zeigt sich ratlos, was die Zukunft der Grünen in Sachsen betrifft: Sophie Sülzle, die in einer Grünen-Hochburg ein Café betreint.Ulf Lüdeke / FOCUS online

Leipzig gilt als eine der wenigen Hochburgen der Grünen im Osten. Bei der Landtagswahl in Sachsen gewann die Partei dort erneut zwei Direktmandate. Doch was die Zukunft der Partei betrifft, herrscht dort vor allem eines: Ratlosigkeit.

Es ist nicht leicht, im Sommer das Café Alma zu entdecken, wenn man auf der König-Johann-Brücke steht. Die schmale Terrasse mit den dunklen Stühlen und Tischen aus Holz wird fast vollständig geschluckt vom Grün der Hecken und Kletterpflanzen, die an der Hauswand hochwachsen. Ein kleines Stück Urwald mitten in Leipzig, unfassbar ruhig, gediegen, schön.

Grün ist im Leipziger Stadtteil Plagwitz die dominierende Farbe, auch in politischer Hinsicht. Denn Plagwitz zählt zu einem von zwei Wahlkreisen, in denen Sachsens Grüne Direktmandate erringen konnten. Das hätte gereicht, um in den Landtag einzuziehen - auch ohne Erreichen der 5-Prozent-Hürde.

Am Ende ergatterten die Grünen in Sachsen sieben Mandate. Doch die Freude darüber ist getrübt. Und zwar mindestens doppelt.

„Da merkt man, in was für einer Blase man lebt“

Zum einen rutschten die Grünen von 8,6 Prozent im Jahr 2019 auf nunmehr 5,1 Prozent ab. Zum anderen hatte der amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer schon vor der Wahl erklärt, dass seine CDU mit den Grünen nicht mehr koalieren wolle. Und dies, obwohl parteiinternen Quellen der Grünen zufolge die Zusammenarbeit in den letzten fünf Jahren eigentlich „ziemlich gut gelaufen“ sein soll.

Das alles sorgt dafür, dass die Stimmung im Café Alma an diesem sonnigen und warmen Septembertag nach der Wahl gedrückt ist - vor allem wegen des starken Abschneidens der AfD. „Da merkt man erst mal, in was für einer Blase man lebt“, sagt Sophie Sülzle, die das Café seit einem Jahr betreibt. „Und kaum fährt man aus Leipzig raus aufs Land, scheint es andere Parteien außer der AfD nicht mehr zu geben.“

Sülze gönnt sich eine kleine Atempause mit dem Reporter auf der Bank vor dem Eingang des Cafés. Drinnen und auf der Terrasse sitzen die Gäste vor Laptops, hier und da haben sie einen Caffè latte oder eine vegane Torte vor sich stehen.

Unerwartet, sagt die 31-Jährige, sei das starke Abschneiden der AfD in Sachsen zwar nicht gewesen. Aber 30,6 Prozent für eine Partei, die vom sächsischen Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird - damit tut sich Sülze einfach schwer. „Wenn man das schwarz auf weiß sieht, dann tut es noch mehr weh.“

Café-Chefin nicht zufrieden mit der Wahl

Sie selbst habe bei der vorletzten Wahl für die Grünen gestimmt, erzählt die 31-Jährige. Doch diesmal habe sie ihre Stimme den Linken gegeben. Ihr war wichtig, dass die Partei, die viele Stimmen an das BSW verloren hat, in jedem Fall über zwei Direktmandate in den Landtag einzieht.

Doch zufrieden ist die Chefin des Cafés Alma mit dieser Wahl am Ende nicht. Denn das BSW ist keine Alternative für sie, und eine Neuauflage der Kenia-Koalition plus sechs Mandate der Linken geht auch nicht auf, da Kretschmer ja eine erneute Regierungsbeteiligung der Grünen ausgeschlossen hat.

Sorge um mehr Populismus in den Reihen von CDU und SPD

„Tief erschrocken“ zeigt sich auch Clara über den Ausgang der Sachsen-Wahl. Die Frau Anfang 30 sitzt arbeitend am Laptop in einer Wandnische im Innenraum des Cafés und sagt zunächst, dass sie eigentlich keine Zeit habe, Fragen zum Wahlausgang zu beantworten. Doch dann ringt sie sich zu einem kurzen Kommentar durch. „Ich mache mir vor allem Sorgen darüber, dass populistische Rhetorik weiter zunehmen wird.“

Als Beispiel führt sie Michael Kretschmer an, der für die CDU bei Themen wie Migration und Ukraine Töne anschlage, die „eher zur AfD oder dem BSW passen“. Und mit Blick auf die Bundestagswahl sei nicht einmal mehr die SPD davor gefeit. „Das hat Bundespräsident Steinmeier mit seinem scharfen Kommentar zur Migration nach dem Attentat in Solingen bewiesen“, findet sie. Dies sein „kein gutes Zeichen“.

Wie es jetzt aber in Sachsen weitergehe bei den schwierigen Voraussetzungen zur Koalitionsbildung, das mache sie ratlos. „Wir werden sehen.“

„Wird spannend, wie sich das BSW entwickelt“

Von dem Wahlergebnis „wenig überrascht“ zeigt sich die 19-jährige Alma, die mit zwei Freundinnen auf der Terrasse sitzt. Sie könne nachvollziehen, dass viele Menschen vor allem im Osten das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren hätten. Alma schiebt gleich voraus, dass sie nicht zur „klassischen Klientel in der Grünen-Hochburg“gehöre. Mit ihren „marxistischen Einstellungen“, darüber sei sie sich bewusst, gehöre sie zu einer kleinen Minderheit.

Dennoch ist der jungen Frau die Brandmauer gegen die AfD ein Dorn im Auge. „Ich finde es heuchlerisch, dass wegen des Vertrauensverlustes in die Alt-Parteien nun alle auf die AfD zeigen.“ Ihrer Meinung nach sei es „nicht richtig“, die AfD von allem auszuschließen.

Alma wünscht sich, dass wieder mehr Sozialpolitik gemacht werden. Mit der CDU sei das nicht zu erwarten, glaubt die 19-Jährige und hofft auf jemand anderen: „Es wird spannend, wie sich das BSW entwickelt“.

„Vielleicht kann Westen verhindern, dass die AfD noch stärker wird“

Café-Chefin Sülzle zeigt sich ebenfalls ratlos, wie es mit Sachsen nach diesem schwierigen Ergebnis der Landtagswahl weitergehen soll.

Ihre beiden Mitarbeiterinnen, die aus Portugal und Argentinien kommen, seien jedenfalls „total entsetzt“ am Tag nach der Wahl über das gute Abschneiden der AfD gewesen. „Die Argentinierin meinte, dass sie das an die Verhältnisse in ihrer Heimat erinnere, wo Javier Milei an die Macht gekommen ist.“

Sülzle hofft, dass die Wahlen in Sachsen und Thüringen zu einem „Weckruf“ vor der Bundestagswahl werden. Zwar habe das im Osten nach der Europawahl nicht funktioniert. „Aber vielleicht kann der Westen ein bisschen mehr Druck aufbauen, um zu verhindern, dass die AfD noch stärker wird.“