Coronavirus: Geldscheine sind weniger ansteckend als ihr Ruf

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Viele Menschen fürchten, sich an der Kasse anzustecken. Auch wenn Experten die Gefahr für gering halten, könnten sich Zahlungsgewohnheiten ändern.

„Bitte mit Karte zahlen!“: Viele Menschen lassen das Bargeld lieber in der Tasche, wenn es derzeit beim Bäcker oder im Supermarkt ans Bezahlen geht. Denn könnte es nicht sein, dass am 20-Euro-Schein das Coronavirus haftet? Entwarnung kommt nun von Experten, die zu Geld von Berufs wegen eine besondere Beziehung pflegen. Drei Ökonomen der Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der „Notenbank der Notenbanken“, haben sich in die Debatte eingeschaltet.

Ein Fazit ihres Arbeitspapiers zum Bargeld in der Coronakrise: „Die wissenschaftliche Evidenz lässt vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung über Banknoten gering ist.“ Trotzdem könnte die Corona-Pandemie den Wandel hin zum elektronischen Bezahlen beschleunigen, sagen Notenbanker.

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Es geht um große Summen: Allein in der Euro-Zone waren zuletzt Geldscheine im Volumen von mehr als 1200 Milliarden Euro im Umlauf. Die Deutschen haben zum Bargeld ein besonders inniges Verhältnis, gerade in schwierigen Zeiten wächst die Nachfrage. Schließlich gilt gedrucktes Geld auch als eine Art Krisenversicherung.

Doch in der Coronakrise könnte sich diese Wahrnehmung ändern, vermuten die BIZ-Ökonomen. Denn viele Menschen fürchten offenbar, dass Bargeld ein möglicher Übertragungsweg für das Virus sein könnte. Die Forscher verweisen auf eine Auswertung von Suchanfragen, denen zufolge sich Menschen rund um den Globus nach den Begriffen „Virus“ und „Bargeld“ erkundigen. Zugleich rufen Ladenbesitzer ihre Kundschaft zum bargeldlosen Bezahlen auf.

Die Angst vor einer Ansteckung scheint auf den ersten Blick durchaus berechtigt. Bargeld geht durch viele Hände und bietet Krankheitserregern mit seiner großen Oberfläche ein dankbares Zuhause. Schon seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftler deshalb zu der Frage, wie Krankheitserreger über Münzen und Scheine übertragen werden. Manche Ergebnisse dürften Hypochondern schlaflose Nächte bereiten.

So zeigt ein Forschungsüberblick der medizinischen Fakultät der Universität Marseille aus dem Jahr 2014 , dass sich auf Bargeld das Who’s who der Krankheitserreger nachweisen lässt – von Coli-Bakterien über mehrfach resistente Staphylokokken-Stämme bis zu Salmonellen. Einer Studie zufolge finden sich beispielsweise auf 94 Prozent aller amerikanischen Ein-Dollar-Noten bakterielle Kontaminationen.

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Nicht nur Pilze und Bakterien, sondern auch Viren könnten über Bargeld übertragen werden. Das lässt etwa eine Studie von Forschern am Zentrallabor für Virologie der Universität Genf aus dem Jahr 2008 vermuten. Die Wissenschaftler machten 50-Franken-Geldscheine im Labor absichtlich ansteckend: Sie bestrichen sie mit Viren verschiedener Grippetypen und versuchten, mit den Viren nach mehreren Tagen Zellen in einer Zellkultur anzustecken. Mit Erfolg: So erwiesen sich Influenza-A-Viren, die auf den Scheinen eine Zwischenstation einlegten, unter Laborbedingungen auch nach drei Tagen noch als infektiös.

Versuch mit Nasensekret

Doch gilt das auch unter realistischeren Bedingungen? Um das zu klären, fanden die Forscher eine wenig appetitliche, aber kreative Lösung. Sie wiederholten den Versuch mit Nasensekret von Kindern, bei denen im Labor eine Grippe nachgewiesen worden war. Durch den Schleim konnten sich die Viren noch viel länger halten: In einem Fall behielt das Influenzavirus seine Fähigkeit, Zellen zu infizieren, auch nach zwölf Tagen noch bei.

Das Fazit der Forscher dürfte Bargeld-Muffel bestätigen: „Unsere Hauptbeobachtung ist, dass das humane Influenzavirus mehrere Tage überleben und ansteckend bleiben kann, wenn es auf Banknoten deponiert wird.“

Angesichts solcher Ergebnisse fürchten manche Experten, dass auch das Coronavirus über Bargeld übertragen werden könnte. Der Seuchenschützer Mark Wichti vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit warnt etwa: „Viren auf Banknoten können eine Gefahr darstellen, wenn man sich nach dem Anfassen nicht die Hände wäscht und ins Gesicht greift.“

Und auch manche Notenbanken sehen Bargeld offenbar als potenzielles Coronarisiko. Die US-Notenbank Fed schickt Geldscheine, die aus Asien stammen, zunächst in Quarantäne. Und in China, Südkorea, Ungarn, Kuwait und anderen Ländern lassen Notenbanken das Bargeld sogar desinfizieren.

Schlummert das Virus also womöglich in unseren Geldbörsen? Forscher aus Deutschland halten das Risiko einer Corona-Übertragung über Bargeld für gering. „Das auf dem Geldstück klebende Virus würde ich mal weitgehend vergessen“, sagte etwa der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité.

Zwar lässt sich das Coronavirus in Studien auf Oberflächen auch nach langer Zeit noch nachweisen. Doch bislang gelang es Forschern noch nicht, es danach auch wieder anzuzüchten. Die Übertragung über Oberflächen gilt deshalb als wenig wahrscheinlich. Wer sich nach dem Bezahlen nicht ins Gesicht fasst und sich die Hände wäscht, dürfte demnach wenig zu befürchten haben.

Sorgen bereitet Forschern vielmehr die Tröpfcheninfektion, bei der die Krankheitserreger beim Sprechen oder Husten in die Umgebung geraten und von anderen Menschen eingeatmet werden. Gefährlich wäre demnach beim Einkaufen nicht so sehr das Bargeld – sondern eher der enge Kontakt zu anderen Kunden und dem Kassierer.

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In ihrem Arbeitspapier gehen auch die BIZ-Ökonomen von einem geringen Ansteckungsrisiko beim Bargeld aus: „Bis heute gibt es keinen bekannten Fall einer Covid-19-Übertragung über Geldnoten oder Münzen“, stellen sie fest. Trotzdem glauben die BIZ-Experten, dass die Coronakrise den Wandel zu digitalen Zahlungsmethoden beschleunigen könnte. Dafür spricht, dass Ladenbesitzer in vielen Ländern ihre Kunden dazu aufrufen, vorsichtshalber bargeldlos zu zahlen. Vor allem das kontaktlose Zahlen per NFC-Chip gewinnt an Beliebtheit. So wollen die Banken in Deutschland das Limit für PIN-freie Zahlungen auf 50 Euro erhöhen.

Manche Notenbanker sehen den Trend zum bargeldlosen Zahlen aber mit gemischten Gefühlen. Die Bank von England weist etwa darauf hin, dass das Risiko durch Bargeld nicht größer sei als beim Berühren von Geländern, Türknöpfen oder Kreditkarten. Und in Kanada hat die Notenbank Händler dazu aufgerufen, Bargeldzahlungen nicht weiter zu verweigern. Auch die deutsche Bundesbank weist darauf hin, dass die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus über Bargeld äußerst gering ist.

Die BIZ-Ökonomen gehen sogar noch weiter. Sie warnen vor einer Spaltung der Gesellschaft. Denn nicht jeder kann bargeldlos zahlen. Manche ältere Leute misstrauen der Technik. Und manche Menschen haben erst gar kein Bankkonto. So halten sich Schätzungen zufolge etwa 20 Millionen Amerikaner nur mit Bargeld und Schecks über Wasser. Wer auf die Frage „Mit Bargeld oder Karte?“ nur eine Antwort hat, der bekommt bei einem Bargeldverbot an der Kasse ein Problem.

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