„Romance Scamming“ im Internet - Frau zahlte 700.000 Euro an Liebesbetrüger „und glaubt ihm immer noch“
Es ist angeblich die ganz, ganz große Liebe. Doch hinter vermeintlich perfekten Internetprofilen stecken Betrüger, die nur eines im Sinn haben: ihren Opfern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Helga Grotheer kämpft seit Jahren gegen das sogenannte „Romance Scamming“.
Vor 16 Jahren meldete sich bei Helga Grotheer der perfekte Mann. Steve Thomson, 50 Jahre alt, alleinerziehender Straßenbauingenieur und wohnhaft in London. Seine Frau: leider verstorben.
Der angebliche Ingenieur verhielt sich einfühlsam, aufmerksam, geduldig. Irgendwann tauschte sich Helga Grotheer täglich mit ihm aus. Am Telefon oder per Mail, nie persönlich. Echt fühlte es sich trotzdem an.
„Ich war verliebt in ihn“, sagt die heutige Rentnerin im Gespräch mit FOCUS online. Als sie eine Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer Hannover ablegen musste, rief ihr vermeintlicher Freund an und wünschte viel Glück.
Helga Grotheer hat sich in einen Betrüger verliebt
Doch so unbeschwert blieb die Beziehung nicht. Steve behauptete irgendwann, er müsste für ein Projekt nach Nigeria reisen. „Er sagte, beim Zoll sei etwas schief gelaufen und bat mich um Geld. Da bin ich skeptisch geworden.“
Durch Zufall entdeckte Grotheer Steves E-Mail-Adresse in einem sogenannten Scambaiter-Forum - einer Seite, die vor Betrügern warnt. Die Rentnerin wusste jetzt, dass sie auf einen „Romance Scammer“, einen Liebesbetrüger, hereingefallen war. Sie war schockiert.
Liebesbetrüger sind Kriminelle, die mit gefälschten Profilen auf Singlebörsen oder in sozialen Netzwerken nach Opfern suchen. Sie gestalten ihre Fake-Profile so, dass sie erfolgreich und attraktiv wirken, oft mit gestohlenen Bildern. Ihre Opfer überhäufen sie zunächst mit Komplimenten und spielen die ganz große Liebe vor.
Irgendwann treten Probleme auf. Ein unerwarteter Krankenhausaufenthalt, ein Überfall, eine Verhaftung auf Geschäftsreise. Das Opfer, das inzwischen eine Bindung zum Betrüger aufgebaut hat, soll aushelfen. „Wer einmal bezahlt hat, kann sich direkt auf die nächste Forderung einstellen“, sagt Grotheer.
Keine deutschlandweite Erfassung von Liebesbetrug
Wie viele Menschen in Deutschland jährlich Liebesbetrügern zum Opfer fallen, ist schwer zu beziffern. Das Bundeskriminalamt (BKA) schreibt auf Anfrage: „Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst zwar den Straftatbestand des Betrugs, die konkrete Begehungsform Liebesbetrug bzw. „Romance- oder Love-Scamming“ wird jedoch nicht separat ausgewiesen.“
Grundsätzlich würden die angesprochenen Fälle von den jeweiligen Landespolizeien erfasst. Dass „Romance Scamming“ ein großes Problem ist, zeigt aber schon der Blick auf einzelne Bundesländer.
Auf der Webseite des bayerischen Innenministeriums heißt es, allein 2023 sei durch Liebesbetrug ein Schaden von mehr als fünf Millionen Euro entstanden - bei etwas mehr als 450 angezeigten Fällen. Das Landeskriminalamt Sachsen berichtet von 368 Love-Scamming-Fällen und einem Gesamtschaden in Höhe von rund 4,6 Millionen Euro.
So viel zu den offiziellen Zahlen. Experten gehen aber auch von einer hohen Dunkelziffer aus. Wer auf einen Internet-Betrüger hereingefallen ist, meldet das nicht immer der Polizei, weil er sich schämt. Wahrscheinlich sind also weit mehr Menschen von „Love Scamming“ betroffen, als bisher bekannt ist.
„Ich kenne sogar Polizisten, die auf die Masche hereingefallen sind“
Dass Menschen überhaupt bereit sind, Personen, die sie nur übers Internet kennen, finanziell zu unterstützen, führt Helga Grotheer auf mehrere Faktoren zurück. „Die Profile der Scammer sind gut gemacht, die Informationen stimmig“, sagt sie.
„Dazu kommt: Alle Opfer, mit denen ich Kontakt hatte, haben ein Helfersyndrom. Viele sind nicht dumm, eher im Gegenteil. Ich kenne sogar Polizisten, die auf die Masche hereingefallen sind.“
Grotheer ist vom ahnungslosen Opfer zur Expertin geworden. Als sie merkte, dass „Steve Thomson“ es nur auf ihr Geld abgesehen hatte, fing sie an, ihn an der Nase herumzuführen. Sie füllte gemeinsam mit ihren Freundinnen Fake-Überweisungen aus und schickte Bilder davon an den Betrüger. Der war zuerst glücklich und fragte sich später, warum das Geld nie ankam.
„Nach ein paar Monaten sagte ich Steve, dass ich weiß, dass er ein Betrüger ist. Ich forderte ihn auf, sich zu zeigen. Und das tat er dann auch“, sagt die Rentnerin. Steve war in Wirklichkeit ein 34-jähriger Student aus Nigeria, jedenfalls behauptete er das.
Plausibel wäre es jedenfalls. Immerhin gilt Nigeria neben Ghana, Togo und der Elfenbeinküste als Love-Scamming-Hotspot. Nachdem „Steve“ aufgeflogen war, blockierte er Helga Grotheer, sie konnte ihn nicht mehr kontaktieren.
Grotheer gründet Forum für Liebesbetrugsopfer
Der Rentnerin lässt ihr Erlebnis mit einem Liebesbetrüger bis heute keine Ruhe. Schon während des Kontakts mit „Steve“ gründete sie ein eigenes Forum, es heißt „Romance Scambaiter“.
Betroffene können sich an Grotheer und ihr ehrenamtliches Team wenden. Einmalig vier Euro kostet der Zugang zum Mitgliederbereich. Wer freigeschaltet wurde, kann einen Beitrag mit allen Informationen über einen potenziellen Scammer, die ihm zur Verfügung stehen - etwa Fotos, Textnachrichten, Social-Media-Profile - erstellen. Grotheer und ihre Mitarbeiter schauen sich das Ganze dann genau an.
Sie versuchen, zu ermitteln, woher zum Beispiel die Profilbilder eines vermeintlichen Fake-Accounts stammen. Dafür nutzen die „Romance Scambaiter“ teure Bilder-Such-Programme. Es ist nur ein kleiner Teil ihrer Arbeit. Die Gruppe meldet auch gefälschte Internet-Seiten.
Denn „Love-Scammer“ sind gerissen. Grotheer erinnert sich an eine Masche, bei der Betrüger falsche Online-Banking-Seiten aufsetzen. Sie geben den Opfern die Zugangsdaten zu ihren angeblichen Konten. „Dann sollen sie Überweisungen durchführen. Natürlich sind die Konten immer prall gefüllt“, sagt die Rentnerin.
Eine Frau verlor 700.000 Euro
„Am nächsten Tag fällt den Betrügern dann ein, dass sie eine Überweisung vergessen haben. Sie bitten ihre Opfer, sich nochmal in ihren Account einzuloggen - was nicht mehr funktioniert.“ Die Folge: Das Opfer soll Geld vorstrecken und die angeblich offene Rechnung bezahlen.
Aus ihren Gesprächen mit Betroffenen weiß Grotheer, wie hoch der finanzielle Schaden sein kann, der Love-Scam-Betroffenen entsteht. „Ich kenne eine Frau, die 700.000 Euro an einen Liebesbetrüger verloren hat - und ihm immer noch glaubt“, erzählt die Rentnerin.
Grotheer hatte versucht, Aufklärungsarbeit zu leisten. Der Frau zu zeigen, dass die Fotos des Profils von einem bekannten dänischen Moderator stammen. Dass er viele private Fotos auf Instagram veröffentlicht, auf die natürlich auch Betrüger zugreifen können. Grotheer organisierte sogar ein Telefonat mit der Ehefrau des Moderators.
Aber die Frau wollte ihr am Ende nicht glauben. „Sie war der Meinung, sie würde wirklich mit dem Moderator schreiben. Und zu mir hat sie gesagt, ich würde überall nur noch Betrüger sehen.“
Grotheer hat eine Mission
Grotheer weiß, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Aber es ist ihr wichtig, über „Romance Scamming“ zu informieren. Und möglichst viele Menschen vor gebrochenen Herzen und leeren Bankkonten zu bewahren.
In ihrem Forum veröffentlicht sie E-Mai-Adressen, Bilder und Kontonummern bekannter Betrüger. Gemeinsam mit mehr als 15 anderen Frauen schreibt sie außerdem mit Scammern. Ihr Ziel ist nicht nur, die Betrüger zu beschäftigen, sondern auch Teile ihres Netzwerks dingfest zu machen.
Zum Beispiel Geldübergaben in die Wege zu leiten und die Boten von der Polizei verhaften zu lassen. „Zwar kommen nur wenige hinter Gitter. Aber wir haben schon mehr als 70 Verhaftungen erreicht“, sagt Grotheer.
Wenn sie spricht, wird klar, dass sie eine Mission hat. „Jemanden im Internet kennen zu lernen, ist völlig okay. Manche haben sich so verliebt, verlobt, verheiratet. Aber man sollte vorsichtig sein – gerade, wenn sich bekannte Scam-Muster abzeichnen“, sagt sie.
An diesen Mustern erkennen Betroffene Romance-Scamming
Die hat die zentrale Geschäftsstelle der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes auf der Internetseite „Polizei-Beratung“ zusammengefasst.
Demnach kommunizieren Liebesbetrüger oft in gutem Englisch: „Insider gehen davon aus, dass rund 95 Prozent der englisch sprechenden Kontakte auf deutschen Dating-Seiten Romance- oder Love-Scammer sind.“
Auch die Bilder, die verwendet werden, können ein Hinweis sein. Laut „Polizei-Beratung“ sind auf weiblichen Fake-Profilen häufig leicht bekleidete Frauen zu sehen, während männliche Fake-Profile oft uniformierte Männer zeigen.
Wenn sich Liebesbetrüger mit ihren Opfern austauschen, kommt es in der Regel schnell zu „schwülstigen Liebesschwüren“, heißt es auf der Präventionswebseite weiter. Oft geht es in den Gesprächen auch um Gott. Vielleicht am wichtigsten ist aber der letzte Hinweis: Scammer bitten irgendwann um Geld.
Zwei Dinge findet Grotheer besonders schlimm
Davor warnt auch Helga Grotheer: „Niemals Geld an Menschen überweisen, die man noch nie persönlich getroffen hat. Niemals die eigenen Kontodaten an Fremde weitergeben oder ins Internet stellen.“
Die Frage, die bleibt, ist, warum trotz aller Warnungen, trotz aller Berichte über „Love Scamming“ und einem schlechten Bauchgefühl so viele Menschen auf Liebesbetrüger hereinfallen. Sollte nicht schon die Freundschaftsanfrage eines völlig Fremden auf Facebook, Instagram oder Linkedin stutzig machen?
Dieser Punkt macht Grotheer traurig. „Warum Menschen auf Liebesbetrüger eingehen, ist unterschiedlich. Manche sind gerade in Rente gegangen und haben plötzlich viel Zeit. Manche haben ihren Partner verloren und fühlen sich einsam“, sagt sie.
„Schlimm finde ich zwei Dinge: Dass Menschen, die sowieso schon in einer psychischen Ausnahmesituation sind, ausgenutzt werden. Und dass ihnen nicht nur Geld, sondern auch das Vertrauen in andere genommen wird.“