„Roter Sheriff“ beliebter als Scholz - Wird Deutschland von Scholz erlöst? Jetzt gibt es zwei Pistorius-Szenarien
Setzt die SPD im Wahlkampf jetzt auf Pistorius statt Scholz? Der Verteidigungsminister ist beliebter und kommuniziert klarer. Den Kandidatencheck gewinnt er – doch es gibt nur zwei Szenarien, die zur Kür von Pistorius führen.
Eigentlich hat Rolf Mützenich nur ausgesprochen, was ohnehin allen klar ist. Dennoch ist bemerkenswert, was der SPD-Fraktionsvorsitzende am Dienstag im ZDF sagte: „Ja, Grummeln ist da. Natürlich gibt es auch diese Stimmen.“ Gemeint sind Stimmen, die fordern, Verteidigungsminister Boris Pistorius anstelle Regierungschef Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu küren.
Solche Gerüchte wabern schon lange, nach dem Ampel-Aus ist die Debatte nun richtig in Fahrt gekommen. Doch was spricht für Scholz, was für Pistorius – und welche Chancen hätten die Sozialdemokraten mit einem Kandidatenwechsel?
Umfragewerte: An Pistorius kommt keiner vorbei
Die SPD ist ausweislich aktueller Umfragen weit entfernt davon, überhaupt den nächsten Kanzler stellen zu können. Das ist eng verknüpft mit Scholz selbst: Waren zu Beginn seiner Kanzlerschaft im ZDF-Politikbarometer noch mehr Leute mit seiner Arbeit zufrieden als unzufrieden, kippte das im Spätsommer 2023. Aktuell finden fast zwei Drittel, dass er seine Arbeit nicht gut macht.
Anders sieht es bei Pistorius aus. Er ist nicht nur einer der beliebtesten Politiker der Republik – diese Umfragewerte sind seit Amtsantritt im Januar 2023 auch stabil. Im Insa-Beliebtheitsranking der „Bild“ führt Pistorius auch nach dem Ampel-Aus die Liste an , er kommt auf rund 53 Prozent. Scholz hingegen stürzt auf rund 33 Prozent ab – unbeliebter ist nur noch AfD-Chef Tino Chrupalla.
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger direkt danach, wer für die SPD antreten soll, ist die Lage noch eindeutiger: In einer Umfrage von Civey für FOCUS online präferieren 44 Prozent Pistorius und nur elf Prozent Olaf Scholz. Der Punkt geht also klar an Pistorius. Jedoch ist offen, wie sich der Blick der Wählerinnen und Wähler auf ihn verändern würde, wenn er plötzlich Kanzlerkandidat wäre.
Kommunikation: Technokrat vs. Klartext-Politiker
Pistorius‘ Beliebtheit und Scholz‘ Unbeliebtheit dürften zu großen Teilen damit zusammenhängen, wie sie kommuniziert haben – insbesondere zur Ampel. Oft schwieg der Kanzler zunächst zu Konflikten in der Koalition, dann schien es manchmal, als wolle er die Konflikte nicht wahrhaben. Schließlich verkaufte er mühsam verhandelte Kompromisse sehr technokratisch. Und zuletzt platzte es dann aus Scholz heraus und er rechnete öffentlich mit FDP-Chef Christian Lindner ab.
Boris Pistorius hingegen mischte sich kaum in die Ampel-Streitereien ein. Deshalb sehen ihn viele Wählerinnen und Wähler auch nicht als Teil dieser geplatzten Koalition. In der Kommunikation besann sich Pistorius vor allem auf die Verteidigungspolitik – und fiel dabei mit klaren Worten auf. Zum Beispiel mahnte er, „Deutschland müsse wieder kriegstüchtig“ werden. Diese Ansprache ist es, die auch die beiden Hamburger SPD-Rebellen aufführen, wenn sie fordern, Scholz durch Pistorius als Kanzlerkandidat zu ersetzen. Auch dieser Punkt geht also an Klartext-Politiker Pistorius.
Regierungserfahrung: Zwei Exekutiv-Erfahrene, einer mit langer Skandal-Liste
Regierungserfahrung ist für eine Kanzlerkandidatur zwar nicht unabdingbar – zum Beispiel Unions-Kandidat Friedrich Merz hat keine – bringt aber Pluspunkte. Olaf Scholz bringt zweifelsohne Erfahrung mit: als Bürgermeister von Hamburg, als Bundesminister, als Kanzler. Zugleich werden seine Amtszeiten mit einigen Skandalen verbunden: in Hamburg beispielsweise die G20-Ausschreitungen und die Cum-Ex-Geschäfte, als Finanzminister zum Beispiel die Wirecard-Machenschaften.
Boris Pistorius hat zwar noch keine Kanzlerschaft in seinem Lebenslauf stehen, aber ebenfalls reichlich Exekutiv-Erfahrung. Sieben Jahre lang regierte er als Bürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück, anschließend machte er sich zehn Jahre lang als Innenminister von Niedersachsen einen Namen. Im Bund wird er bis zur Bundestagswahl allerdings nicht viel mehr als zwei Ministerjahre angesammelt haben.
Der Vorteil von Pistorius: Von den ganz großen Skandalen konnte er sich bislang fernhalten. Einer der größten Aufreger war es, als die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vielen Menschen unrechtmäßig Asyl gewährt haben soll. Pistorius lagen als Landesinnenminister dazu Informationen vor, die er jedoch nicht verwertete. Unterm Strich liegt Scholz zwar bei der Regierungserfahrung wegen seiner Kanzlerschaft hauchdünn vorne, macht aber einige Minuspunkte aufgrund der Skandale.
Inhaltliche Aufstellung: Der „rote Sheriff“ kann mit Ukraine-Kurs punkten
Zwischen Olaf Scholz und Boris Pistorius gibt es einige Gemeinsamkeiten, so zählen zum Beispiel beide weniger zum linken und eher zum pragmatischen Teil der SPD. Beide sind von Haus aus Juristen. Beide haben klare inhaltliche Schwerpunkte – die aber durchaus verschieden sind.
Scholz kennt sich aus in der Finanzpolitik, er betont, sich auch als Kanzler noch in die Tiefen des Haushalts eingearbeitet zu haben. Bei allen Problemen mit den Ampel-Finanzen – die letztlich die Regierung auch zum Platzen gebracht haben – ist sein Fachwissen deshalb von Vorteil, weil er im Wahlkampf Angriffe auf diesen Schwachpunkt der Koalition souverän beantworten kann. Spätestens seit dem Wahlerfolg 2021 versucht sich Scholz auch als Politiker zu verkaufen, der Sozialpolitik für alle macht. Vieles spricht dafür, dass die SPD diesen Wahlkampfschlager neu auflegen will.
Pistorius hat bislang kein ausgeprägtes sozialpolitisches Profil. Er ist Sicherheitspolitiker durch und durch. Zum einen war er lange in der Innenpolitik unterwegs, in Niedersachsen stand er für eine rigorose Linie, erarbeitet sich den Spitznamen „roter Sheriff“. Er war maßgeblich am zweiten NPD-Verbotsverfahren beteiligt, setzte sich für die Vorratsdatenspeicherung ein und plädierte auch für eine Identifizierungspflicht in sozialen Medien.
Seit fast zwei Jahren kümmert sich Pistorius auch um die äußere Sicherheit. Beim Amtsantritt warf ihm die CDU noch Verbindungen zur „Russland-Connection“ der SPD vor – doch die Kritik verstummte schnell. Pistorius steht klarer als Scholz für die Unterstützung der Ukraine, auch mit Waffen. Dem Verteidigungsminister kommt zudem einen Satz über die Lippen, den der Kanzler nicht aussprechen will: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.“
Mit dieser klaren Haltung könnte Pistorius einige Wählerinnen und Wähler für die SPD zurückgewinnen, die Scholz mit seiner verpatzten Zeitenwende verloren hat. Ob Pistorius darüber hinaus auch in anderen Politikfeldern glänzen kann, müsste er erst noch beweisen. Einen eindeutigen Vorteil hat Pistorius in diesem Punkt daher nicht.
Unterstützung in der Partei: Erste Absetzungsbewegungen von Scholz
Selbst wenn alle bisherigen Punkte eindeutig für Pistorius sprächen, einen entscheidenden müsste er noch machen: Denn ohne die nötige Unterstützung in der Partei wird er nicht Kanzlerkandidat. Erste öffentliche Absetzungsbewegungen von Scholz gab es am Montag; zwei Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete fordern den Kandidatentausch. SPD-Politiker Markus Schreiber sagte FOCUS online : „Die Leute sagen sich mit Pistorius eher: Jetzt gebe ich der SPD noch eine Chance.“
Seither hat sich Mützenich vorsichtig vorgewagt, mehrere Kommunalpolitiker sind in die Offensive gegangen. Die Landräte von Groß-Gerau und Nordhausen haben sich im „Stern“ für Pistorius ausgesprochen. Weitere denken offenbar ähnlich, halten sich öffentlich aber noch zurück. Rebell Schreiber glaubt, dass es an der Basis eine Mehrheit für den Kandidatentausch gäbe. Dafür sprechen auch Umfragen: Laut Forsa wollen knapp 60 Prozent der SPD-Anhänger Pistorius, nur 30 Prozent Scholz.
Aus dem Parteivorstand gibt es bislang zwar keine öffentlichen Pistorius-Unterstützer. Auffällig ist aber, dass kaum jemand mit vollem Einsatz für Scholz in die Bresche springt. Am deutlichsten ist da noch ein Tweet des Münchner Bundestagsabgeordneten und Bundesvorstandsmitglieds Sebastian Roloff, der warnt, man solle nicht „über das Stöckchen einer Personaldebatte im (Vor-) Wahlkampf springen“.
Zwei Szenarien könnten zum Kandidatentausch führen
Trotz des Grummelns in der Partei wird voraussichtlich die Haltung des Parteivorstands entscheidend sein. Solange die Stimmung nicht völlig kippt, werden sie zunächst zu Scholz halten. Nur zwei Varianten werden deshalb zu einer Pistorius-Kandidatur führen: Entweder Scholz verzichtet selbst – was unwahrscheinlich ist – oder die Parteivorsitzenden kippen Scholz in einem Biden-Szenario.
Wohl auch nur dann würde Pistorius nach der Kandidatur greifen. Bislang hat er Austausch-Überlegungen stets dementiert – aber nicht, dass er ablehnen würde, wenn die Sozialdemokraten ihm die Kanzlerkandidatur andienen.
Surftipp: Kommentar von Leadership-Profi - SPD würde Pistorius verbrennen, wenn er statt Scholz als Kanzlerkandidat antritt